Herr Bucher, gibt es hier überhaupt genügend Sonne?

Bis vor kurzem waren alpine Solaranlagen für Photovoltaik-Professor Christof Bucher keine Option. Warum das geändert hat – und was er auf kritische Fragen kontert. Interview, Teil 2.

221125134527_lom
Photovoltaik-Professor Christof Bucher in einer Versuchsanlage an der Berner Fachhochschule in Burgdorf. (Bild: Manuel Lopez)

Herr Bucher, was ist eigentlich im Winter, wenn die Sonne nicht scheint?

Auf diese Frage gibt es nicht eine Antwort. Es gibt einen grossen Blumenstrauss an Massnahmen, die gemeinsam umgesetzt werden müssen.

Und was ist die wichtigste Blume in diesem Strauss?

Die wahrscheinlich wichtigste Massnahme ist, den Winter-Energieverbrauch zu senken. Und das heisst: Die Gebäude energetisch sanieren. Dort ist das Potential riesengross. Zudem der Ausstieg aus den fossilen Energien, dafür mehr Wärmepumpen.

Die brauchen doch Strom…

Stellen wir für die Wärme auf Wärmepumpen um, braucht es zwar etwas mehr Strom, aber insgesamt deutlich weniger fossile Energie. Diese importieren wir heute zu 100 Prozent aus dem Ausland.

Photovoltaik in aller Munde

2022 war das Jahr der Sonnenenergie. Die «Hauptstadt» zeigt: Wo liegt das Potenzial? Wo stockt die Entwicklung? Und wie geht es weiter? In einem zweiteiligen Interview äussert sich Photovoltaik-Professor Christof Bucher zu Chancen und Stolpersteinen bei der Solarenergie. Bucher ist seit 2020 Photovoltaik-Professor an der Berner Fachhochschule in Burgdorf. Zuvor war er während 12 Jahren als Projektleiter in der Solarbranche tätig.

Und warum nennen Sie alpine Solaranlagen nicht?

Ich war bis vor zwei, drei Jahren ein sehr starker Verfechter davon, dass PV-Module auf Gebäude gehören. Dass sie nicht aufs Feld gehören, weil es auf den Dächern genügend Potenzial gibt. Die neue Option ist für mich nicht wegen des Potenzials eine, sondern wegen der Dringlichkeit. Eine höhere Zubaurate wird vor allem durch den langsamen Sanierungszyklus bei den Gebäuden und den Fachkräftemangel ausgebremst.

Helfen da alpine Solaranlagen?

Nicht nur sie, auch die Agri-Photovoltaik im Berner Mittelland. Beide haben diese Abhängigkeiten nicht. Sie brauchen andere Fachkräfte.

Die es hier aber auch nicht gibt.

Ja, auch diese Fachkräfte werden wir am Anfang aus dem Ausland holen. Vielleicht irgendwann, wenn es eine nachhaltige Option ist, werden wir sie auch im Inland ausbilden. Das sind aber andere Fachkräfte als die Dachdecker*innen, die es für die Dächer braucht.

Sie hoffen also dadurch auf eine Beschleunigung des Zubaus?

Ja, so hat man ein zweites Gleis, um die Geschwindigkeit massiv zu erhöhen. Bis vor zwei, drei Jahren dachte ich, es reicht, allein auf den Dächern PV-Anlagen zu bauen, weil ich damals der Meinung war, ein tieferes Zubautempo genügt. Die Energiekrise ist zwar nicht erst seit Februar 2022 da, sie hat sich seit Monaten und Jahren abgezeichnet. Aber jetzt merkt man plötzlich: Wir haben ein Versorgungsproblem, wenn wir nicht schneller vorwärts machen. Und beim Tempo auf den Dächern harzt es.

221125134139_lom
Die Feinverteilung des Solarstroms sei weder teuer noch aufwändig, findet Christof Bucher. (Bild: Manuel Lopez)

Sie ziehen die anderen Optionen nur wegen der Geschwindigkeit in Betracht?

Nein, seit sehr kurzem auch wegen der Winterstrom-Thematik. PV-Anlagen, steil aufgestellt in den Bergen, produzieren mehr als die Hälfte ihres Stroms im Winterhalbjahr. Das ist nicht einfach ein bisschen mehr als die anderen, das ist viel mehr. Wir müssen uns bewusst werden, dass jedes PV-Element, das wir in den Bergen installieren, einen überproportional grossen Beitrag zum Schliessen der Winterstromlücke leistet.

Und was ist mit der Landschaftszerstörung bei alpinen Grossanlagen?

Die Landschaft wird nicht zerstört. Es werden bis auf kleinere Infrastrukturbauten keine Böden versiegelt. Die Biodiversität dürfte im Schutz der PV-Module sogar zunehmen, verschiedene Forschungsprojekte untersuchen das derzeit. Und das Wichtigste ist: Wenn wir dereinst eine bessere Lösung haben, können wir die Anlagen in wenigen Monaten fast rückstandslos zurückbauen.

Wird das mit den ganzen Zuleitungen für die Feinverteilung nicht wahnsinnig aufwändig und teuer?

Ich würde sagen, das ist weder wahnsinnig aufwändig noch wahnsinnig teuer. Es ist bis jetzt einfach politisch wahnsinnig unmöglich gewesen, es zu realisieren. Doch es gibt andere Dinge, die waren politisch auch unmöglich, zum Beispiel Restaurants schliessen aus Pandemiegründen, und im März 2020 war es plötzlich möglich. Wenn man sieht, dass es diese Leitungen braucht, dann ist das weder technisch noch finanziell ein Problem, dann werden die einfach gebaut.

«Die meisten Module werden heutzutage mit Elementen aus Regionen von China hergestellt, die punkto Menschenrechte nicht zu unseren gesellschaftlichen Vorbildern zählen.»

Christof Bucher

Solarenergie gilt als teure Energie.

Nein, Solarenergie ist heute global gesehen die billigste Kraftwerkstechnologie, die man neu bauen kann. In der Schweiz ist das ein bisschen anders: Photovoltaik auf Dächern ist naturgemäss teurer als Photovoltaik im Giga-Massstab in der Wüste. Vergleicht man die Photovoltaik in der Schweiz mit den Alternativen, die wir noch vor fünf Jahren hatten, nämlich dem praktisch unbegrenzten Stromimport von bestehenden europäischen Kraftwerken, dann ist Photovoltaik auf Dächern teuer. Wenn aber die Alternative Atomstrom aus neuen Atomkraftwerken ist, geht man davon aus, dass er doppelt so teuer wie Solarstrom vom Dach wäre, und zehnmal so teuer wie der günstige Solarstrom aus der Wüste.

Aber Photovoltaikzellen haben nur eine Lebensdauer von 25 Jahren.

Ich würde sagen, eher 30 Jahre. Aber Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Punkt. Die meisten Module werden heutzutage mit Elementen aus Regionen von China hergestellt, die punkto Menschenrechte nicht zu unseren gesellschaftlichen Vorbildern zählen.

Und die Frage ist, mit welcher Energie sie dort hergestellt worden sind…

Zum grössten Teil mit Kohlestrom. Und das ist neben dem sozialen Aspekt der zweite Grund, warum Solarpanels punkto Nachhaltigkeit Abstriche machen müssen. Darum hat Solar von allen erneuerbaren Energien die schlechteste CO2-Bilanz. Wenn man aber genau hinschaut, dann ist sie immer noch dreimal besser als der Durchschnitt des Stroms, den wir in der Schweiz brauchen.

Wie ist das möglich?

Weil eine Photovoltaik-Anlage etwa 15 Mal mehr Strom produziert, als für Herstellung, Transport und Installation benötigt werden. Wasserstrom und Kernkraft schneiden besser ab punkto CO2. Aber wir substituieren mit Solarstrom Verbrauchsstrom aus dem Ausland, und der ist über zehnmal stärker CO2 belastet als Solarstrom. In der Schweiz verbrauchen wir einen Mix aus europäischem und Schweizer Strom, und der ist rund dreimal stärker CO2-belastet als lokaler Solarstrom. Man könnte sagen: Alles, was wir zusätzlich produzieren in der Schweiz, reduzieren wir im Ausland, und im Ausland haben wir viel stärker CO2 belasteten Strom als Solarstrom aus der Schweiz.

221125135302_lom
Der Status Quo sei in der Energiefrage einfach nicht mehr verfügbar, sagt Christof Bucher. (Bild: Manuel Lopez)

Sie finden es also vertretbar, dass die Schweiz Module in China einkauft, die mit Kohlestrom hergestellt werden von Menschen, die unter schlechten Bedingungen arbeiten?

Schwierig. Ich würde da nicht flach mit Ja antworten. Aber wir müssen schauen, was die Alternativen sind. Ich würde sagen, im Moment kaufen wir lieber in China Solarmodule, als in Russland Gas. Ich finde es aber sehr wichtig, dass wir auf das zeigen, was nicht den Schweizer Sozialstandards entspricht.

Konkret?

Wenn wir Zustände in der Schweiz so nicht tolerieren würden, sollten wir auch nicht unbedingt Produkte kaufen, die unter diesen Umständen hergestellt sind. Deshalb denke ich, dass die Schweiz gut beraten wäre, wenn sie relevante Industriezweige wieder zurück ins Land holen und darin investieren würde – mit einer ähnlichen Überzeugungskraft wie momentan die USA.

Aber es wäre viel teurer, wenn die Solarpanels hier hergestellt würden.

Vermutlich würde es teurer werden. Aber der Status Quo ist einfach nicht mehr verfügbar – und das gilt nicht nur für die Solarenergie. Wir haben für die nächsten 100 Jahre nicht das gleiche energetische Wachstum zur Verfügung.

Zum Beispiel gibt es gar nicht mehr so viel Erdöl im Boden, wie wir bis jetzt verbraucht haben.

Ja, Energie wird teurer werden, aber nicht wegen der Photovoltaik. Ich denke sogar, Photovoltaik ist eine starke Kostenbremse im Vergleich mit den Alternativen, die wir hätten, neue Atomkraftwerke, Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke. Vielleicht könnten wir mit mehr Öl die Wand, auf die wir zufahren, in den nächsten zehn Jahren noch ein bisschen hinausschieben, aber wenn wir schon nur auf die nächste Generation schauen, dann glaube ich, der Mehrpreis, den wir für die Solarenergie zahlen, ist der kleinste Mehrpreis, den wir zahlen können.

«Ich bin zu wenig Patriot, um zu sagen, wir brauchen alle Module aus der Schweiz, es könnte ein gesunder Mix aus verschiedenen Ländern sein.»

Christof Bucher

In der Vergangenheit versuchte man, Solarpanels hier herzustellen, war aber nicht konkurrenzfähig.

Das ist ein politischer und gesellschaftlicher Entscheid.

Es bräuchte also Subventionen.

Ja, oder man müsste die Marktrahmenbedingungen entsprechend setzen. Ich glaube, es zweifelt niemand daran, sicherheitsrelevante Zweige in der Schweiz zu behalten. Denken Sie nur, das Billigste, was die Schweiz machen könnte, wäre die eigene Kommunikationsinfrastruktur aufzugeben und alles Huawei zu überlassen. Wir hätten eine billigere Kommunikation, vielleicht sogar mehr Bandbreite. Aber ich bin überzeugt, dass keine Partei dafür wäre, auch wenn es billiger wäre. Denn niemand möchte mit den Konsequenzen, die das hätte, leben.

Sind wir mit der Energie an einem ähnlichen Punkt?

Vielleicht müssten wir sagen: Ja, es wäre billiger, auf alle Ewigkeiten Solarmodule in China zu beziehen, aber Solarmodule sind uns dermassen wichtig, dass wir bereit sind, gewisse Mehrkosten dafür zu bezahlen? Ich bin zu wenig Patriot, um zu sagen, wir brauchen alle Module aus der Schweiz, es könnte ein gesunder Mix aus verschiedenen Ländern sein, europäischen und aussereuropäischen.

Wobei wir in Europa zu wenig Fachkräfte im Solarbereich haben.

Ja, es gibt einen Fachkräftemangel. Wir müssen die Fachkräfte ungefähr verdoppeln. Deshalb wird es ab 2024 zwei neue Berufslehren in der Solarbranche geben. Eine Verdoppelung ist ein Kraftakt, aber es ist realistisch.

Warum sollte der Fachkräftemangel gerade in Ihrer Branche leichter zu beheben sein?

Im Moment erleben wir einen gesellschaftlichen Wandel. Der Beruf soll auch eine gewisse Sinnstiftung geben, es geht nicht mehr nur um die finanzielle Maximierung. Das sehe ich schon nur bei uns im Labor, wo die wenigsten 100 Prozent arbeiten. Und in der Solarbranche geht man gesellschaftliche Probleme an, man kann aktiv bei diesem Prozess dabei sein. Das ist viel Wert und einem hohen Lohn gegenzurechnen. Darum glaube ich, dass unsere Branche Leute anziehen wird.

Haben wir überhaupt genug Sonne hier, um auf die Solarenergie zu setzen?

Definitiv. Die 25 Quadratmeter pro Person berücksichtigen schon, dass wir im Winter hier wahnsinnig viel Nebel haben, dass es im Sommer in den Ferien regnet. Und trotzdem brauchen wir nur 25 Quadratmeter.

Aber in Spanien würden wir vielleicht nur 10 brauchen.

Nein, überhaupt nicht. Das ist ja das Schöne. Die besten Standorte der Welt sind vielleicht doppelt so gut wie in der Schweiz. In der Wüste holen wir doppelt so viel Energie raus, und in Schweden vielleicht 30 oder 40 Prozent weniger. Aber das sind Extremwerte. Deshalb kann man sagen, es ergibt Sinn, Solarmodule in der Schweiz zu installieren, kurze Zuleitungen zu machen und den Strom dort zu brauchen, wo er auch produziert wird.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Diskussion

Unsere Etikette
Thomas Koeppel
19. Dezember 2022 um 10:14

Danke! Sehr spannendes Interview!

Ruedi Krähenbühl
18. Dezember 2022 um 10:44

Absolut richtig, unbedingt Solarstrom erzeugen. Und die Panels auch wieder hier herstellen. Auch wenn die Produktionskosten höher sind. Wir haben ja auch die höheren Löhne als fast alle andern Länder . Das gilt eigentlich für alle Produkte. Auch die Lebensmittel sollen bei uns teurer sein als im Ausland, sonst stimmt das Verhältnis nicht mehr. Alles auslagern und dafür billig importieren ist keine Option(mehr). Es leidet alles darunter. Arbeitsplätze und Lehrstellen gingen verloren. Höchste Zeit das Heft wieder selber in die Hand zu nehmen und zeigen, dass wir das selber auch können. Wir in der Ladwirtschaft hätten schon lange mehr Energie produziert und auch Biogasanlagen erstellt, wenn uns nicht von allen möglichen Behörden und X Schützern Knebel in die Speichen geworfen worden wären. Da müssten wir jetzt weniger Hauruckübungen machen. Doch lieber spät als nie.

Hoffe einfach dass jetzt mal vorwärtsgemacht wird, auch mit den KWO werken. Denn AKWs sind keine Option fremden Uran.

Rahel Burckhardt
17. Dezember 2022 um 07:25

Beim montieren von Solarzellen können Laien problemlos unterstützen, so dass ein*e Expert*in pro Solardach problemlos genügt. Solche community-Projekte (wie sie z.B. bei e-wende praktiziert werden) können das Problem des Fachlräftemangels massiv entschärfen.