Konsumieren fürs Klima

Zusätzliche Menschen für den Klimaschutz begeistern – das will eine Sonderschau an der BEA. Das Konzept überzeugt nicht, stimmt aber trotzdem hoffnungsvoll.

Impressionen der BEA fotografiert am Donnerstag, 2. Mai 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Die BEA ist eine Industriemesse. Es überrascht nicht, dass die Ausstellenden ihre Produkte verkaufen wollen. (Bild: Manuel Lopez)

Wer die Drehtüren beim Haupteingang der Messehallen passiert, läuft stracks auf die Sonderschau «Netto-Null 2050» zu. Ein prominenterer Ort ist kaum denkbar. Auf einer Fläche von 650 Quadratmetern, so steht es in der Medienmitteilung, reihen sich zahlreiche Stellwände aus Karton aneinander. Sie sollen den Messebesucher*innen zeigen, wie der Kanton Bern mit Partnern aus der Wirtschaft Klimaneutralität erreichen kann.

Auf der ersten Stellwand sind die Logos der Mitwirkenden abgebildet. Darunter: Amag, Post, BKW, Nestlé, Agrola.

Ein paar Schritte weiter geht es um die Luftfahrt. «Ist klimaneutrales Fliegen möglich?», steht auf der Stellwand des Paul Scherrer Instituts. Darunter werden Alternativen zu Kerosin aufgelistet: Lithium-Ionen-Batterien, Wasserstoff, Nachhaltiges Kerosin. Die Stellwand daneben gehört dem Electrifly-Inn, dem internationalen Treffen für Elektroflugzeuge. Die Frage laute nicht ob, sondern wann emissionslose Flugzeuge die Normalität sein werden. Grosszügig wird auf die nächste Veranstaltung von Electrifly-Inn im Belpmoos und die dort buchbaren eSchnupperflüge aufmerksam gemacht.

Die BKW regt dazu an, über eigene Visionen einer nachhaltigen Zukunft nachzudenken. Sie schlägt dazu Windräder, Solaranlagen und Wasserkraftwerke vor. Wer will, kann die eigene Vision am Lego-Modell erbauen. Während des Medienrundgangs fährt dort zum Beispiel eine Kuh in einem Boot über den Fluss.

Alle tragen Verantwortung

Hinter der Sonderschau «Netto-Null 2050» steht das Amt für Umwelt und Energie (AUE) des Kantons Bern. Als Amtsleiter Ulrich Nyffenegger von der BEA angefragt worden sei, ob er eine Ausstellung zum Klima machen wolle, habe er sofort zugesagt: «Die Bevölkerung hat Netto-Null beschlossen, jetzt geht es darum, ihr zu zeigen, wie sich das umsetzen lässt», wird Nyffenegger im Programmheft zitiert.

Am Medienrundgang präzisiert er: Alle Menschen würden Verantwortung tragen, ihre Emissionen zu reduzieren. Die Sonderschau zeige, dass es bereits Lösungen gebe, die kein Vermögen kosten. «Über die Ernährung und die Mobilität zum Beispiel können alle jeden Tag viel Einfluss nehmen.»

Impressionen der BEA fotografiert am Donnerstag, 2. Mai 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Das Lego-Modell der BKW: Sieht so eine nachhaltige Zukunft aus? (Bild: Manuel Lopez)

Nach eigenen Angaben will die BEA eine Brücke bauen zwischen Stadt und Land. Mehr als 300’000 Besucher*innen zählt sie jedes Jahr. Viele von ihnen dürften nicht zu jenen gehören, die an Klimademos mitmarschieren und auf sofortiges Handeln von Politiker*innen pochen. Die Messe bietet eine Chance, Teile der Bevölkerung abzuholen, die vorher wenig Kontakt hatten mit Klimazielen.

Bildschirme als «Erlebnis»

Die Stellwände des AUE erinnern an die Grundlagen: Der Klimawandel wirke sich im Kanton Bern bereits heute aus. Mit Hitzewellen, mehr Trockenheit, starkem Regen, weniger Schneetagen und sinkendem Gletschervolumen. Der Lösungsweg laute: keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr nutzen; stattdessen auf elektrische Energie umstellen und genügsam damit umgehen.

Um diesen Weg zu beschreiten, hat die Stimmbevölkerung 2021 einer Verfassungsänderung zugestimmt: Darin steht, dass der Kanton bis 2050 mindestens so viele Treibhausgase aus der Atmosphäre entfernt wie er ausstösst – Netto Null eben.

Als «Erlebniswelt der Zukunft» preist die BEA die Sonderschau. Man soll erleben können, wie der Alltag im Jahr 2050 aussehen könnte. Sofern unter «Erlebnis» mehr verstanden werden soll als die Lektüre unzähliger Stellwände, erfüllt die Ausstellung diesen Anspruch nicht. Das Höchstmass an Abwechslung bieten einige Bildschirme, an denen sich Webseiten von Kanton oder WWF aufrufen lassen. Um nachhaltige Jobs zu finden oder nachzulesen, wie man im Alltag weniger Emissionen ausstösst.

Mehr Pflanzen essen, dafür weniger Fleisch und Milchprodukte, rät zum Beispiel der WWF. Wer seine Augen vom Bildschirm löst, blickt durch eine Scheibe in das Untergeschoss der Messehalle. Wo sich die grossen Fleisch- und Milchverarbeiter ausgebreitet haben und ihre Produkte zum sofortigen Verzehr verkaufen. Bei diesem Angebot könne man sich getrost einen «Cheat Day» gönnen, kommentiert Messeleiter Adrian Affolter auf dem Medienrundgang. In seiner Stimme liegt keine Ironie.

Widersprüche hinterfragen

Diese Situation zeigt eine Schwierigkeit der Sonderschau: Sie ist ein abgeschlossenes Gefäss, das man besuchen und erkunden kann – um es dann zu verlassen und in die sogenannte Normalität zurückzukehren.

Wie anregend wäre es, würden die Netto-Null-Inhalte auf die ganze Ausstellung verteilt: Das Thema Ernährung neben den Milchproduzent*innen etwa oder die Kreislaufwirtschaft in der Halle, wo Möbel und Hausbau-Dienstleistungen präsentiert werden.

Impressionen der BEA fotografiert am Donnerstag, 2. Mai 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Mehr Pflanzen essen, weniger Milch trinken. So spart man Emissionen. (Bild: Manuel Lopez)

So muss darauf vertraut werden, dass die Messebesucher*innen sich bei der Sonderschau die Netto-Null-Brille aufsetzen und über die ganze Ausstellung hinweg tragen.

Und dass sie selber auf den Gedanken kommen, sich zu fragen, in welchem Verhältnis die Emissionen von Nestlé, Amag oder Agrola stehen zu den an ihren Stellwänden gepriesenen Klimazielen.

Die BEA ist eine Industriemesse. Wer hier ausstellt, will seine Produkte verkaufen oder zumindest seinen guten Ruf. Andere Absichten wären eine Überraschung, selbst wenn es um den Klimaschutz geht.

So lässt einen die Sonderschau mit dem Gefühl zurück, dass auch die Klimakrise ein Problem ist, das sich mit der richtigen Technologie, dem richtigen Produkt, lösen lässt. Der Konsum soll weitergehen, halt einfach mit anderem Inhalt.

Abhängig von der eigenen Perspektive auf die Klimakatastrophe lässt die Sonderschau den Zynismus hochkochen. Oder aber sie stimmt einen zuversichtlich, weil sich Menschen durch die Ausstellung vielleicht erstmals vertieft auf das Thema einlassen. Auf jeden Fall ruft sie in Erinnerung, dass wir alle Verantwortung tragen für den Klimaschutz – und es fast so viele Umsetzungswege gibt wie Menschen.

Sonderschau «Netto-Null 2050», vom 3. bis am 12. Mai an der BEA.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren