Sandstein oder Beton? – Stadtratbrief #12
Sitzung vom 24.8.2023 – die Themen: Hochwasserschutz; Wohnstrategie; Telefonie; Geschäftsreglement; Wartehallen; Bahnhofplatz; Aareschwimmen.
Hochwasserschutz ist in der Stadt Bern ein politischer Langstrecken-Schwumm. Nach den Aare-Hochwassern von 1999 und 2005 bewilligte das Stadtberner Stimmvolk 2013 einen Kredit von elf Millionen Franken, damit der Gemeinderat ein Projekt für Schutzmassnahmen entlang der Aare zwischen Gaswerkareal und Altenberg erarbeiten lässt. Geschlagene zehn Jahre lang beschäftigte sich die Verwaltung mit dem Vorhaben, das nach Protesten aus der Bevölkerung mehrmals angepasst wurde.
Gestern debattierte der Stadtrat das fixfertige Massnahmenset, das die Stadt «einen auch für unsere Verhältnisse hohen Frankenbetrag» kosten wird, so Kommissionssprecherin Barbara Nyffeler (SP): 150 Millionen Franken, von dem die Stadt wegen Bundes- und Kantonsbeiträgen jedoch «nur» 55 bis 75 Millionen wird berappen müssen.
Zwei neuralgische Punkte des Pakets weckten Emotionen.
Der Hochwasserschutz wühlt das Altenbergquartier auf. Nach heftigen Anwohner*innenprotesten wurden die geplanten Schutzmauern am Aareufer bereits auf Sitzhöhe abgesenkt. Trotzdem gibt es noch immer hartnäckige Gegner*innen. Laut Lionel Gaudy (Mitte) beeinträchtigen die Mauern «die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum», weshalb die Mitte wie Teile der SVP dafür plädierte, die fixen Schutzmassnahmen im Altenberg aus dem Projekt zu streichen. Nora Krummen (SP), im Altenberg aufgewachsen, hielt dagegen. Die Opposition sei nur eine besonders lautstarke Minderheit.
Noch höher schlugen die Wogen, als es um Sandstein ging. Gemäss Projekt soll die massive Schutzmauer in der Matte, aus denkmalpflegerischen Gründen, aus Sandstein gefertigt werden. Sandstein ist erosionsanfällig und obendrein einen einstelligen Millionenbetrag teurer als eine Beton-Lösung. Das brachte vor allem Tanja Miljanović und Francesca Chukwunyere (beide GFL) auf die Palme. «Wir sollten aufhören, uns selber aus ästhetischen Gründen teure Denkmäler zu setzen», sagte Miljanović. Ursula Stöckli (FDP) entgegnete ironisch, warum ausgerechnet Grüne auf das ökologische Naturprodukt Sandstein verzichten wollen. Und Timur Akçasayar (SP) fragte sich angesichts der Sandstein-Beton-Debatte: «Was hat euch eigentlich alle geritten, den Fachleuten der Verwaltung zu misstrauen?».
Gemeinderätin Marieke Kruit (SP) blieb cool. Hochwasserschutz könne man nicht mit der Brechstange machen, sagte sie, das Massnahmenpaket sei austariert und bewilligungsfähig, jede Änderung würde wohl eine weitere Verzögerung bedeuten. Der Stadtrat folgte ihr anstandslos, die Änderungsanträge wurden abgelehnt – einzig das Wörtchen «nur» strich der Rat an einer Stelle aus der Abstimmungsbotschaft.
Die städtische Volksabstimmung im November ist jedoch bis zu einem gewissen Grad eine demokratiepolitische Trockenübung. Sollte die Vorlage vom Volk abgelehnt werden, würde der Kanton sie später wohl trotzdem mit den gleichen Kostenfolgen für die Stadt umsetzen, weil er seit 2015 für den Hochwasserschutz zuständig ist.
Darüber debattierte der Stadtrat weiter:
Wohnen: Seit 2020 hat die Stadt Bern eine Wohnstrategie, die konkrete Massnahmen vorschlägt. Eine davon ist ein neues Beratungs- und Vermittlungsangebot für Menschen mit Unterstützungsbedarf am Wohnungsmarkt, für das die Stadt einen vierjährigen Pilot starten will. Corina Liebi (GLP) und Bettina Jans-Troxler (EVP) bezeichneten das Projekt als Symptombekämpfung, die keine der fehlenden günstigen Wohnungen auf den Markt bringe. Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) zeigte sich konsterniert. Es sei ein «Armutszeugnis», wenn man ausgerechnet bei Menschen, die am Wohnungsmarkt diskriminiert würden, das Gefühl habe, eine Unterstützung von 88’000 Franken jährlich sei zu viel. Der Rat stimmte dem Kredit von 352’000 Franken für den vierjährigen Versuch zu.
Telefonie: Die Telefonanlage der Stadtverwaltung befindet sich am Ende der Lebensdauer, offenbar sind noch 1000 althergebrachte Telefonapparate in Betrieb (oder stehen herum), für die der Wartungsvertrag Ende 2023 ausläuft. Die Verwaltung soll deshalb auf die Computertelefonie-Software Teams von Microsoft umgerüstet werden. Raphael Joggi (PdA/AL) warnte davor, sich auch in der Telefonie einem US-Giganten an die Brust zu werfen. Aber Gemeinderat Michael Aebersold (SP) machte klar, dass der Rollout der neuen Geräte bereits angelaufen sei. Der Rat genehmigte die entsprechenden Kredite anstandslos.
Genderneutralität: Das Geschäftsreglement des Stadtparlaments wird in genderneutraler Sprache umformuliert. Das kann man wohl voraussagen, obschon der Stadtrat gestern erst die erste Lesung zur Teilrevision des Reglements absolvierte. Ein Nichteintretens- und Rückweisungsantrag der SVP, der laut Stadtrat Alexander Feuz der Maxime «Wehret den Anfängen» gehorchte, wurde deutlich abgelehnt. Die inhaltliche Debatte folgt in der zweiten Lesung, Matteo Micieli (PdA) kündigte aber schon mal an, dass man bei der Umformulierung auf den Genderstern verzichtet und sich für neutrale Begriffe entschieden habe.
Bahnhofplatz: Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse logischerweise überwies der Stadtrat eine überparteiliche Motion aus dem rot-grünen Lager, die fordert, die Planung eines autofreien Bahnhofplatzes «jetzt an die Hand zu nehmen». Grosse Wirkung dürfte der Vorstoss nicht entfalten, weil der rot-grüne Gemeinderat ohnehin Richtung «autoarmen Bahnhofplatz» arbeitet, wie sich Marieke Kruit ausdrückt. Sie bestätigte einmal mehr, dass die Stadt beim Bahnhofplatz auf die Anliegen der Agglomerationsgemeinden Rücksicht nehmen müsse, weil er Teil des regionalen Strassen-Basisnetzes sei.
Wartehallen: Die Wartehäuschen von Bernmobil in der Stadt Bern heissen im Fachjargon Wartehallen und sind ein Unikat, auf dem ein Urheberrecht besteht. 160 Exemplare sind in Betrieb. Das Architekturbüro «Schütz+Schütz» ist deshalb seit 20 Jahren als Totalunternehmung von der Stadt Bern mit einem Exklusivvertrag ausgestattet, um die Wartehallen Typ «Stadt Bern» zu liefern, aufzustellen oder Einzelteile zu ersetzen. Im Vergleich mit anderen Städten leistet sich Bern damit eine teure Lösung, ein Wartehäuschen kostet 270’000 Franken. Weil die Stadt sparen müsse, will der Gemeinderat die Beschaffung der Wartehallen neu ausschreiben und hat in eigener Kompetenz einen Projektierungskredit von 150’000 Franken genehmigt. Die Krediterhöhung von 310’000 Franken, um ein «qualitätssicherndes Verfahren» vorantreiben zu können, winkte der Stadtrat nun durch.
PS: Passend zum Haupttraktandum Hochwasserschutz belebte SVP-Stadtrat Ueli Jaisli gestern den traditionellen stadträtlichen Aareschwumm wieder. Er führte in der Ratspause eine überparteiliche Delegation von etwa einem Dutzend Parlamentarier*innen mit dem Velo ins Marzili, wo sie sich in den Fluss warfen. Mit dabei war Ratspräsident Michael Hoekstra (GLP), der sich nach dem Schwumm allerdings beeilen musste, rechtzeitig wieder oben im Rathaus zu sein. Bei ihm war der Abkühlungseffekt rasch verpufft. Die anderen Schwimmer*innen liessen es gemütlicher angehen und trudelten im Lauf der zweiten Sitzungshälfte wieder ein. Versöhnlich gestimmt, wie es schien.
Ratsmitglied der Woche: Simone Machado
Simone Machado, 54-jährig, sitzt seit 2020 für die Grün-alternative Partei (GaP) im Stadtrat. Sie war als Landwirtin unter anderem auf Alpen im Lauterbrunnental tätig, ehe sie in Bern und Freiburg Recht studierte. Die Sozialarbeiterin und Juristin arbeitet beim Sozialdienst Region Jungfrau in Interlaken. Von 2014 bis 2018 war sie Grossrätin.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Um in der Stadt Bern mitzugestalten.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Seltenes Reptil: linke Massnahmenkritikerin.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Weiss nicht.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Ich bin auf nichts stolz.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Ich mag Bümpliz und Bethlehem, weil sie lebendig und vielseitig sind.