Leihvelos – Stadtrat-Brief #1

Sitzung vom 2. Februar – die Themen: Publibike, Betreuungsgutsprachen, Anstand, Wohnen, Abstimmungstermin.

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(Bild: Silja Elsener)

Was gehört für dich zum Stadtbild von Bern? Das Münster vielleicht, oder das Bundeshaus? Für Michael Sutter (SP) und David Böhner (Alternative Linke) sind es die Publibikes, die Mietvelos mit den kleinen Rädern. Das geht aus den Voten der beiden Stadträte hervor, die sie gestern Abend gehalten haben. Der Rat verhandelte, ob die Stadt das Veloverleihsystem (VVS) weiterführen und ausbauen soll.

Seit Juni 2018 sind die Publibikes auf Berns Strassen unterwegs. Die Firma PubliBike hatte zuvor die öffentliche Ausschreibung für ein VVS gewonnen. Für die Stadt Bern fallen keine Betriebskosten an. Jedoch kommt sie auf für Planung, Weiterentwicklung, Begleitung und Controlling des VVS. Um diese Aufgaben weiterführen zu können, genehmigte der Rat gestern einen Kredit in der Höhe von 330’000 Franken.

Zusätzliche 95’000 Franken sprach der Rat für den Ausbau des Publibike-Netzes. Damit sollen auch in Oberbottigen, Riedbach und der Felsenau Verleihstationen entstehen.

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Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung, Stadtratsmitglieder und Lehrer*innen der städtischen Schulen fahren gratis Publibike. Etwas mehr als 37 Prozent von ihnen machen Gebrauch von diesem Angebot, das sind rund 2350 Personen. Alexander Feuz (SVP) spannte den Bogen zu den Berichten über Walliser Politiker*innen, die Skiabos gratis oder stark vergünstigt erhalten haben. Er witterte «Bestechung» und forderte seine Ratskolleg*innen auf zu überlegen, ob sie nicht persönliche Interessen verfolgen würden bei der Abstimmung über diesen Kredit.

Feuz’ Worte verfehlten die Wirkung. Das Angebot für städtische Angestellte wird weitere zweieinhalb Jahre weitergeführt, der Rat genehmigte einen Kredit über 766’500 Franken.

Abgelehnt wurde der Vorstoss der Jungen Alternative. Sie verlangte, dass das VVS während den ersten 30 Minuten für alle gratis zu nutzen sei. Mehrere Ratsmitglieder und Gemeinderätin Marieke Kruit (SP) warnten aber vor den für die angeschlagenen Stadtfinanzen untragbaren Kosten.

Der Betrieb des VSS ist nun bis Ende 2025 aufgegleist. Für die Zeit danach will die Stadt eine neue Ausschreibung durchführen. Dieses Mal gemeinsam mit Nachbargemeinden.

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(Bild: Romy Streit)

Ratsmitglied der Woche: Sara Schmid

Sara Schmid, 31-jährig, sitzt seit Januar 2021 für die SP im Stadtrat. Sie hat Politikwissenschaft und Nachhaltige Entwicklung studiert und arbeitet als Co-Geschäftsführerin des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Lange konnte ich mir nicht vorstellen zu kandidieren. Ausschlaggebend war wohl der feministische Streik 2019: Mir wurde klar, wie wichtig es ist, dass mehr junge Frauen für politische Ämter kandidieren. Gleichzeitig war es mir schon immer wichtig, mich für Themen wie Gleichstellung oder Chancengerechtigkeit einzusetzen. So wollte ich versuchen, dies über eine Wahl in den Stadtrat zu tun.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Ich finde es schwierig, dies selbst zu beantworten. Zunächst wohl als eine der vielen jungen Frauen, die 2020 neu in den Stadtrat gewählt worden sind. Darüber hinaus hoffentlich auch für meine zuverlässige Arbeit und Kollegialität in Kommission, Fraktion und Rat. Aktuell sicherlich auch als eine von vier Stadträtinnen, die beinahe gleichzeitig Mütter werden.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Ich hadere mit der Erkenntnis, dass die Vereinbarkeit von Politik, Beruf und Familie für viele – mich gerade auch als werdende Mutter eingeschlossen – herausfordernd ist und ich gleichzeitig (noch) keine klare Lösung dafür sehe. Wichtig ist sicherlich, dass wir rasch eine Stellvertreter*innenlösung einführen. Aber es braucht sicher noch mehr.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Mir ist es sehr wichtig, stets respektvoll und sachlich miteinander zu diskutieren sowie auch anderen Meinungen zuzuhören. Im Zentrum meiner Ratsarbeit stehen für mich die Inhalte und eine konstruktive Zusammenarbeit.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Als ich 2015 für den Master nach Bern zog, hatte ich nicht vor zu bleiben. Doch es kam völlig anders. Ich kann ehrlich sagen: Ich habe mich in Bern als Stadt und nicht in einen einzelnen Stadtteil verliebt. Aktuell wohne ich im Norden von Bern und fühle mich – wie in ganz Bern – einfach sehr wohl hier. 

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Senior*innen: Alte Menschen, die in bescheidenen Verhältnissen leben, sollen von der Stadt Geld erhalten, damit sie sich zum Beispiel Haushaltshilfen, Notrufsysteme oder einen Mahlzeitendienst leisten können. Eine entsprechende Revision des Altersreglements hat der Stadtrat gestern in erster Lesung beraten, Entscheide sind noch keine gefallen. Das geplante System hat die Stadt in einem dreijährigen Pilotversuch getestet. Lebensqualität und Wohlbefinden der Beitragsempfänger*innen haben sich in dieser Zeit gesteigert, wie eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt. Alle Fraktionen im Rat stehen hinter dem Vorhaben. Allerdings fordern die FDP/JF- und die Mitte-Fraktion eine Begrenzung auf fünf Jahre und die GLP schlägt vor, dass die Berner Regelung ausser Kraft tritt, sobald Bund und Kanton Betreuungsgutsprachen für Senior*innen einführen. In der Stadt Bern wären zirka 400 Leute bezugsberechtigt, sagte Gemeinderätin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis).
  • Anstand im Parlament: Kurz vor Sitzungsende, einige Ratsmitglieder waren bereits aufgebrochen, stellte Stadtratspräsident Michael Hoekstra (GLP) Erich Hess (SVP) das Mikrofon am Rednerpult ab. Hoekstra berief sich auf Artikel 54 des Geschäftsreglements: Verletzung des parlamentarischen Anstands. Der Rat behandelte Geschäfte, in denen es um die Aufnahme von Geflüchteten ging. Die rote Karte an Hess hat sich über den Abend angebahnt. Bereits bei einem anderen Geschäft sprach Michael Hoekstra eine Verwarnung an Erich Hess aus. Hess hatte Frauen mit Worten beschrieben, die Hoekstra «nicht dulden will» während seiner Ratspräsidentschaft.
  • Städtische Mietwohnungen: Maximal 1100 Franken bezahlt, wer in einer vergünstigten städtischen Mietwohnung wohnt. Bei der Wohnungsvergabe gelten Höchstgrenzen für Einkommen und Vermögen. Ein SRF-Beitrag hat gezeigt, dass womöglich nicht berücksichtigt wird, ob jemand wegen eines freiwillig gewählten Teilzeitpensums wenig verdient. Stadträt*innen der Fraktionen SVP, FDP/JF, GLP/JGLP und Mitte finden diese Praxis ungerecht. Die Stadt würde so Personen subventionieren, die sich ein tiefes Pensum leisten können. In einer Kleinen Anfrage wollten sie wissen, ob die Stadt etwas dagegen unternehmen werde. Wird sie nicht, geht aus der Antwort des Gemeinderates hervor. Bereits heute werde bei der Vergabe darauf geachtet, ob jemand «mit guten Gründen» auf eine Vergünstigung angewiesen sei. Sechs Mitte/Rechts-Stadträt*innen geben sich damit nicht zufrieden und haben an der gestrigen Sitzung eine Motion eingereicht mit der Forderung, der Beschäftigungsgrad und der Grund für ein allfälliges Teilzeitpensum sei in den Vergabekriterien zu berücksichtigen.
  • Abstimmungstermin Gemeindefusion: Am 22. Oktober finden die Eidgenössischen Wahlen statt. Auch die Abstimmung über die geplante Fusion von Ostermundigen und Bern fällt auf diesen Termin. Thomas Fuchs (SVP) erkundigte sich mit einer Kleinen Anfrage, ob die Stadt an diesem Abstimmungsdatum festhalten werde. Sie wird, wie der Gemeinderat in seiner Antwort schreibt. Zwar würden Abstimmungen in der Stadt Bern «in der Regel» nicht auf den gleichen Termin wie Eidgenössische Wahlen gelegt. Rechtlich sei es aber zulässig. Die Gemeinden hätten den Termin gewählt, um im Fall einer Annahme genügend Zeit zu haben, die ersten gemeinsamen Wahlen und das Budget vorzubereiten.
  • Feedback: Du liest die allererste Ausgabe des Stadtrat-Briefes. Wie gefällt er dir? Was fehlt? Gerne kannst du mir eine Mail schreiben. Ich bin gespannt auf deine Rückmeldung.

PS: Bei ihren Voten zu Publibike offenbarten einige Ratsmitglieder ihre persönliche Velobeziehung. Alexander Feuz (SVP) ist in der Unteroffiziersschule zwei Mal hingefallen und seither «traumatisiert, was den Gebrauch von Velos betrifft.» Claude Grosjean (GLP) hingegen ist derart begeistert vom städtischen Veloverleihsystem, dass er nach eigenen Angaben kürzlich sein privates Velo verkauft hat.

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Diskussion

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Ruedi Muggli
05. Februar 2023 um 19:18

Gefällt mir sehr gut ! Unterhaltsam geschrieben trotz der zuweilen trockenen Materie. Fehlt bei den Mainstreammedien !