Ausgabenbarometer – Stadtrat-Brief #13
Sitzung vom Donnerstag, 14. September 2023 – das Thema: Budget 2024
«Wir sind hier, um einen guten Eindruck zu hinterlassen», sagte Johannes Wartenweiler (SP), Sprecher der stadträtlichen Finanzkommission. Der Berner Stadtrat tagte am Donnerstag ausnahmsweise im schwülwarmen, akustisch anstrengenden Tell-Saal in Ostermundigen, weil das Rathaus vom Kantonsparlament besetzt war. Ein guter Eindruck ist wichtig: Am 22. Oktober entscheiden die Stimmberechtigten von Bern und Ostermundigen über die Fusion der beiden Gemeinden.
Zu diskutieren hatte das Stadtparlament das Budget 2024. Der Saisonhöhepunkt. Die Ausdauer wird aufs Maximum herausgefordert. Sieben Stunden diskutierte der Rat über den Voranschlag, und das Ziel rückte kaum näher: Erst rund zwei Drittel des Riesenbergs an Änderungsanträgen sind durchgekaut. Am kommenden Donnerstag muss das Parlament das Budget laut Stadtratspräsident Michael Hoekstra (GLP) um jeden Preis zu Ende beraten, sonst können die gesetzlichen Fristen für die Volksabstimmung am 19. November nicht eingehalten werden.
Worin Wartenweiler Recht hat: Die Budgetdebatte gibt ein Sittenbild der verfestigten Positionen in der Stadtberner Politik ab. Ein Symptom des latenten Leerlaufs: Mehrere (chancenlose) Anträge aus der Budgetdebatte des letzten Jahres wurden identisch erneut gestellt.
Am prägnantesten formulierte es Francesca Chukwunyere (GFL): «Insgesamt ergibt sich das Bild eines Parlaments, das sich der Finanzlage bewusst ist. Es ist aber nicht bereit, Abstriche zu machen, vor allem, wenn es ums eigene Gärtchen geht», sagte sie. Die Stadt gibt pro Jahr 1,4 Milliarden Franken aus. Für 2024 rechnet der Gemeinderat trotz steigender Steuereinnahmen mit einem Defizit von 37 Millionen Franken.
Ernste Sorgen von rechts bis weit in die sonst ausgabefreudige SP hinein macht der hohe Investitionsbedarf der nächsten Jahre. Mangels eigener Mittel wird dafür die Verschuldung kräftig erhöht. Man müsse die Investitionen endlich priorisieren, forderten Milena Daphinoff (Mitte), Janina Aeberhard (GLP) und Ingrid Kissling-Näf (SP). Wie genau, blieb jedoch offen: Die Schüler*innenzahlen steigen, die städtischen Bäder bröckeln. Was tun?
Ursina Anderegg (GB) wiederholte im Rat die schon im «Hauptstadt»-Interviewdargelegte linksgrüne Haltung, die rot-grüne Stadtregierung verfolge eine bürgerliche Sparpolitik. «Es hat mehr Spielraum», sagte sie – etwa für entschlossenere Klimamassnahmen. «Faktenresistent» sei das, konterte Dolores Dana (FDP): «Es ist zum Weinen.»
Den interessantesten Vorschlag des Abends machte die Alternative Linke (AL): Sie forderte eine Steuererhöhung. Chancenlos zwar. Aufschlussreich war aber, dass sowohl Ursina Anderegg wie Barbara Keller (SP) festhielten, es sei jetzt «nicht der richtige Zeitpunkt» dafür. Was den Verdacht nährt: Nach der Fusionsabstimmung 2023 und den städtischen Wahlen 2024 könnte es anders aussehen. Ein bürgerlicher Antrag, den aktuellen Steuerfuss für die nächsten vier Jahre verbindlich zu fixieren, wurde jedenfalls abgelehnt.
Zusätzliches Geld will die Ratsmehrheit weiterhin einsetzen (Details siehe unten). Gemäss dem inoffiziellen «Hauptstadt»-Ausgabenbarometer hat der Stadtrat bei rund zwei Dritteln der Detailberatung die vom Gemeinderat für 2024 vorgesehenen Ausgaben bereits um rund 1,8 Millionen Franken erhöht. Das Defizit betrüge mittlerweile 39 Millionen Franken. SVP, FDP, GLP und Mitte haben ihr Nein zum Budget bereits angekündigt. Übersteigen die vom Rat beschlossenen Zusatzausgaben 2 Millionen Franken, erwägt auch die GFL, immerhin Teil des regierenden Rot-Grün-Mitte-Bündnisses, ein Nein. Viel fehlt nicht mehr bis zu dieser Marke.
Das schlug in der Budgetdebatte bis jetzt zu Buche:
Reitschule: Auf Antrag von AL/PdA erhöht der Stadtrat exklusiv den Betriebskredit der Reitschule um 60’000 Franken zur Abfederung der gestiegenen Energiepreise. Tom Berger (FDP) hatte vergeblich eine Grundsatzdiskussion darüber angeregt, bei allen Leistungsvertragsnehmern der Stadt zu prüfen, inwieweit sie unter den Preiserhöhungen für Öl oder Gas leiden.
Seenotrettung: Trotz hitziger Debatte nicht nehmen liess sich der Stadtrat sein grosses Herz: Obschon sich die städtischen Finanzen in schwerer See befinden, hiess er einen kurzfristig eingereichten Antrag von David Böhner (AL) gut und sprach bisher nicht budgetierte 70’000 Franken zur Unterstützung eines Seenotrettungsschiffs «gegen das Sterben von Migrant*innen im Mittelmeer».
Kulturkommission: Abgelehnt hat der Stadtrat eine von der Linken geforderte Erhöhung der Entschädigung für die Mitglieder der Kulturkommission. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) sagte, die Gemeinderat sei daran, die Entschädigung aller Kommissionen der Stadt zu überprüfen.
Stellenausbau: Auf Antrag von Sofia Fisch/Paula Zysset (Juso) hiess der Stadtrat eine Erhöhung des Etats des städtischen Amts für Erwachsenen- und Kindesschutz um 12 Vollzeitstellen gut. Die Zusatzkosten von 1,5 Millionen Franken werden jedoch erst ins Budget 2025 einfliessen. Es ehre ihn aussergewöhnlich, dass er als einziger bürgerlicher Gemeinderat mit mehr Geld ausgestattet werde als er sich gewünscht habe, sagte Reto Nause (Mitte).
Gewalt gegen Frauen: Auf Antrag von AL/PdA gut hiess der Stadtrat einen Beitrag von 10’000 Franken an die feministische Friedensorganisation cfd für die Koordination der Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen».
Häusliche Gewalt: Auf Antrag von SP/Juso erhöht der Stadtrat den Beitrag an die Fachstelle «Häusliche Gewalt» um 70’000 Franken.
Tagesschulen: Für die Verbesserung des Betreuungsschlüssels und der Löhne in den Tagesschulen setzt der Stadtrat zusätzlich 850'000 Franken ein. Er hatte 2022 beschlossen, den Betreuungsschlüssel in den Tagesschulen innerhalb von vier Jahren auf 1 zu 6 zu verbessern, damit die Kinder angemessen betreut würden. Der Gemeinderat hatte das teilweise rückgängig machen wollen, was die Gewerkschaft Vpod auf den Plan rief.
Schulsozialarbeit: Bei der Schulsozialarbeit erhöht der Stadtrat das Budget um 650'000 Franken. Hauptgrund: die steigenden Fallzahlen.
PS: Wenn es einen Parlaments-Freak gibt, dann ist er es: Ex-Stadtrat Manuel C. Widmer (GFL), aktuell grüner Kantonsparlamentarier und letztes Jahr Stadtratspräsident, liess es sich nicht nehmen, nach absolvierter Grossratssession nach Ostermundigen zu pilgern, um seine Lungen noch mit etwas Budgetdebattenluft zu füllen. Um ehrlich zu sein: Wirklich prickelnd war es nicht. Aber MCW ist abgebrüht: Er soll auch zu den handverlesenen Usern zählen, die sich Stadtratsdebatten regelmässig via Audio-Livestream zu Gemüte führen.
Ratsmitglied der Woche: Corina Liebi
Corina Liebi, 28-jährig, ist seit 2021 Stadträtin für die Jungen Grünliberalen (JGLP). Historikerin Liebi doktoriert am Institut für Mittelalterliche Geschichte der Universität Bern. Seit kurzem ist sie zudem Geschäftsführerin der Bar und Club Kommission Bern (BuCK). Liebi joggt fleissig und schaut gern Netflix, zudem kickt sie in der Stammelf des FC Stadtrat.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Bern Brünnen, und das sage ich jetzt nicht nur, weil ich dort wohne. Mir gefällt, dass das Quartier lebt und besonders am Wochenende durch viele Besucher:innen frequentiert wird. Im Westside ist alles, was das Herz begehrt, in Laufdistanz erreichbar: Restaurants, Bars, Einkaufsläden, ein Kino und natürlich das Bernaqua, in dem ich sehr häufig anzutreffen bin.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Es nervt mich, dass viele Politiker*innen nur um den heissen Brei herumreden und wegen ideologischen Grabenkämpfen nicht vorwärts machen. Wir brauchen schnelle, sachdienliche und umsetzbare Lösungsvorschläge für unsere Probleme. Ein bisschen mehr Pragmatismus kann der Stadt Bern sicherlich nicht schaden.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Als leidenschaftliche Politikerin, die auch mal flammende Voten halten kann, ab und an für den FC Stadtrat auf dem Platz steht und nach der Stadtratssitzung immer gern für ein Feierabendbier zu haben ist.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Das A und O als Politikerin ist es, Misserfolge auszuhalten, sich wieder aufzurappeln und weiterzumachen. Und ja, es kann manchmal fürchterlich frustrieren, zu verlieren, aber schliesslich gilt es Mehrheitsentscheide zu akzeptieren. Das aber natürlich nicht immer ohne Zähneknirschen, insbesondere bei der ausufernden rot-grünen Ausgabenpolitik wie beim städtischen Personalreglement.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Immer wieder mit smarten Kompromissvorschlägen auftrumpfen zu können und diese durchzubringen, auch wenn die Erfolgsaussichten angesichts der rot-grünen Übermacht im Stadtrat wenig erfolgreich scheinen.