Haus der Bewegungen – Stadtrat-Brief #29

Sitzung vom 2. Mai 2024 – die Themen: Partizipationsmotion; Fleischlos; Arbeitsintegration; Sans-Papiers; Bunker; Frauen-EM; Ratsmitglied der Woche: Raffael Joggi .

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Zu Beginn des Abends wurde im Stadtrat für einmal auf Hochdeutsch debattiert. Grund dafür waren zwei Partizipationsvorstösse, die von zwei Gruppen von Migrant*innen eingereicht und im Rat auch von ihnen vertreten wurden. 

Einer der beiden fordert, dass der Gemeinderat eine Vorlage zu einem «Haus der transkulturellen Begegnung» erarbeitet. Dieses Haus soll möglichst zentral gelegen sein. Eine der einreichenden Migrat*innen zeigte sich im Rat enttäuscht: «Wir erhofften uns, dass der Gemeinderat im Bericht nicht nur beschreibt, was andere Städte für Erfahrungen gemacht haben, sondern dass die Stadt konkret ein ‹Haus der Begegnung› evaluiert.»

Mittlerweile – die Motion datiert von 2019 – konzentrieren sich die ausserparlamentarischen Bemühungen für ein solches Haus auf das Projekt «Haus der Bewegungen», wie AL-Stadtrat David Böhner, der sich im entsprechenden Verein engagiert, darlegte. Eigentlich wollte der Verein ein solches Haus im Kirchgemeindehaus Johannes im Breitenrain realisieren. Doch das ist unwahrscheinlich. «Wir brauchen nun einen Plan B», sagte Böhner. Er schlug im Rat vor, die Stadt könnte ein solches Haus in einem der vom Nationalfonds angekauften Gebäude am Wildhainweg in der Länggasse ermöglichen. 

SP-Stadtrat Halua Pinto de Magalhães dankte in seinem Votum den Initiant*innen des Partizipationsvorstosses für ihr Engagement. Es sei nun wichtig, dass man in der Stadt «als Solidargemeinschaft Räume schafft, um ein plurales zivilgesellschaftliches Engagement zu ermöglichen». Er begrüsste die Idee, ein «Haus der Bewegungen» zu fördern, kritisierte aber den Gemeinderat für den dürftigen Bericht, der nicht aufzeige, wie ein solches Haus ermöglicht werden könne.

Die zuständige Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) entgegnete, man sei sich einig, dass es ein solches Haus brauche. Die Regierung sei aber der Meinung, man müsse zuerst ein Haus haben und dann ein Konzept erarbeiten. Auf Böhners Idee mit dem Wildhainweg ging sie nicht ein.

Teuscher bot immerhin an, ab Herbst 2024 im Rahmen der Zwischennutzung im Tiefenauspital Räume für Aktivitäten zur Verfügung zu stellen, die in Richtung «Haus der Bewegungen» gehen. «Wenn man das gut findet, soll man rasch auf mich zukommen», sagte Teuscher. Sie würde das Anliegen dann im Gemeinderat einbringen. 

Dem Rat reicht dieses Engagement aber nicht. Er lehnte den Postulatsbericht ab und gab dem Gemeinderat eine sehr kurze Frist von 6 Monaten, um konkreter aufzuzeigen, wie er ein Haus der Bewegungen ermöglichen könnte.

Raffael Joggi
Ratsmitglied der Woche: Raffael Joggi

Raffael Joggi sitzt seit Februar 2023 für die Alternative Linke im Stadtrat. Er arbeitet als Softwareentwickler und doktoriert in Philosophie. Laut einem Statement auf der AL-Website interessiert er sich für Grundrechte im Cyberspace und für die Frage, warum Eigentum immer wieder zur Ausbeutung verpflichte.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Weil ich nachgerutscht bin. Ich habe nicht damit gerechnet im Stadtrat zu landen, aber in einer kleinen Partei werden viele Tätigkeiten auf wenige Menschen verteilt. Und natürlich hat es mich gereizt, auch hier meinen Beitrag zu leisten.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Eventuell für meine Ansichten zur Dialektik von Motion und Richtlinien-Motion.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Angeblich spräche ich nach wie vor zu leise in das Mikrofon am Rednerpult.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Darauf, dass ich bisher noch nicht mit der SVP auf einer Gemeinderatsliste gelandet bin.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Ecke Hallerstrasse-Falkenplatz mit Bier und Abendsonne, weil ich wohl schon ein Länggasskind bin. Aber Bier und Abendsonne auf dem Altenbergsteg ist auch nicht schlecht.

Diskutiert hat der Rat des Weiteren über:

  • Fleischlos: Der Rat sprach gestern mal wieder über ein Lieblingsthema des Grünen Bündnisses und SVP-Stadtrat Alexander Feuz. In einer Richtlinienmotion fordert das GB, dass die Stadtverwaltung in Kantinen und bei eigenen Anlässen nur noch vegetarisches und veganes Essen anbietet und sich auch bei öffentlichen Veranstaltungen auf Stadtgebiet dafür einsetzt. Eine Reduktion von Emissionen sei bei Ernährung einfach zu erreichen, sagte GB-Stadträtin Katharina Gallizzi. «Ich koche schon seit zwanzig Jahren vegetarisch und noch nie hat sich jemand beklagt.» Er esse auch gerne fleischlos, sagte darauf Alexander Feuz und präsentierte zur Verdeutlichung seinen gestrigen Menuplan: Mittags hatte er bei einem Ausflug auf den Mont Pèlerin (dafür haben SVP-Politiker offenbar an einem normalen Donnerstag Zeit) ein Fondue. Abends habe er ein Spargel-Morchel-Risotto genossen. Er wehre sich aber dagegen, dass man Leuten, die körperlich arbeiten, die Bratwurst verbiete. Ähnlich argumentierten Vertreter*innen aus Mitte-Parteien und Teile der SP. Dennoch wurde die Motion mit Stichentscheid von Ratspräsidentin Valentina Achermann (SP) hauchdünn angenommen.  
  • Arbeitsintegration: Die Stadt Bern soll Migrantinnen beim Einstieg ins Berufsleben besser unterstützen. Dieser Meinung ist der Stadtrat. Mit 47 zu 24 Stimmen hat er eine entsprechende Partizipationsmotion angenommen, welche Migrant*innen mit über 200 Unterschriften eingereicht hatten. Die Stadtregierung muss nun eine Kreditvorlage ausarbeiten. Gefordert werden Programme, die den Einstieg ins Arbeits- und Berufsleben fördern und Weiterbildung ermöglichen. Die Kinderbetreuung soll während der gesamten Programmdauer gesichert sein. Der Gemeinderat will laut Franziska Teuscher nicht ein neues Programm starten, sondern sich darauf konzentrieren, bestehende Angebote besser sichtbar zu machen und deren Finanzierung sicherzustellen. 
  • Sans-Papiers: Eine interfraktionelle Motion aus dem linken Lager fordert ein städtisches Pilotprojekt für die medizinische Versorgung von Sans Papiers. Davon sieht der Gemeinderat aus finanziellen Gründen ab, wie er in seinem Bericht darlegt. Dennoch sei die Stadt laut Sozialvorsteherin Franziska Teuscher bestrebt, Lücken in der medizinischen Versorgung zu schliessen. Sie werde sich dafür einsetzen, dass die vom Schweizerischen Roten Kreuz organisierte Gesundheitsversorgung für Sans-Papiers (GVSP) über 2026 hinaus gewährleistet bleibe. Das Budget der GVSP von einer halben Million Franken wird zurzeit massgeblich durch die Stiftung Lindenhof finanziert. Die Zusage besteht noch bis 2026. Wie es danach weitergeht, ist laut Teuscher offen. Da es sich um eine Richtlinienmotion handelt, muss der Gemeinderat die Forderung nicht zwingend umsetzen, sich aber Kritik aus den Reihen der linken Parteien anhören.
  • Bunker in Brünnen: Einig waren sich im Rat links wie rechts, dass eine unterirdische Unterbringung von Geflüchteten über längere Zeit nicht opportun ist. Der Rat debattierte über eine Motion, welche verlangt, dass der Kanton auf städtischem Boden keine Menschen in unterirdischen Bunkern einquartiert, wie er dies zum Beispiel im Rückkehrzentum Brünnen tut. Zudem will die Motion verhindern, dass die Firma ORS auf städtischem Boden Asylzentren betreibt. Franziska Teuscher zeigte auf, dass die Stadt bei Bund und Kanton immer wieder Druck mache, oberirdische Anlagen zu betreiben. Man prüfe etwa mit dem Staatssekretariat für Migration, ob man beim Zieglerspital noch verdichten könne. Auf kantonaler Ebene werde die Unterkunft im Tiefenauspital bald Entlastung bringen. Zum Thema ORS richtete  sich Teuscher an die kritisierenden SP-Politiker*innen: Wenn man mit der ORS Mühe habe, «wäre wohl zielführender mit dem SP-Bundesrat zu schauen, dass er die Bundesasylzentren nicht von ORS betreiben lässt».
  • Frauen-EM: Die Stadt kann schon dieses Jahr 1,8 Millionen Franken für die Frauen-Fussball-EM 2025 ausgeben. Der Rat hat einen Nachkredit stillschweigend genehmigt. Manche Rechnungen müssten jetzt beglichen werden, machte der Gemeinderat geltend. Dazu gehören Löhne fürs Projektteam, Honorare sowie Rahmenaktivitäten, um die Bevölkerung auf den Grossanlass einzustimmen. Auch müssten Rasenspielfelder im Neufeld schon jetzt saniert werden. Der Stadt stehen gemäss einem früheren Stadtratsbeschluss insgesamt 6,1 Millionen Franken zur Verfügung.

PS: Für die GB-Gemeinderätin Franziska Teuscher war es ein langer und intensiver Abend. Die meisten Geschäfte betrafen ihre Direktion. Dennoch fand sie Zeit, einen Flyer zu einer städtische Veranstaltung, die ihr am Herzen liegt, persönlich in den Bankreihen zu verteilen. Sie lud die Stadträt*innen zum Diskussionsabend mit dem Titel «Unteilbar. Einstehen für Dialog in einer pluralen Gesellschaft» ein. Auftreten werden Expertinnen des Zürcher Instituts für Interreligiösen Dialog.

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