Luftbilder von Kirche und Gemeindehaus Johannes fotografiert am Dienstag, 17. Oktober 2023 in Breitenrain. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Mitten im Breitenrain-Quartier stehen Kirche und Kirchgemeindehaus. (Bild: Simon Boschi)

Vom Gemeinschaftshaus zum Start-up?

Das Kirchgemeindehaus Johannes im Breitenrain soll neu genutzt werden. Eine Gruppe von Aktivist*innen bewirbt sich. Doch bei der Neunutzung geht es nicht nur um Ideale, sondern auch um Geld.

Kirchenräume werden oft für wenig oder kein Geld zur Verfügung gestellt: Sei es für Chöre oder örtliche Theatergruppen. Das galt bis anhin auch für das Kirchgemeindehaus Johannes im Breitenrain Quartier. Die Kirchgemeinde stellte ihre Räume unter anderem dem Klimastreik zur Verfügung, gar nationale Treffen fanden hier statt. Aber das wird sich bald ändern. 

Im März haben die Kirchgemeinden Johannes und Markus einer Fusion zugestimmt. Der Grund dafür: Die beiden Kirchen im Breitenrain verlieren Mitglieder. Ab 2025 wird die fusionierte Kirchgemeinde in die Markuskirche einziehen, die bis dahin aufwändig umgebaut wird. Kirche und Kirchgemeindehaus Johannes werden aufgegeben und neuen Nutzer*innen geöffnet. Damit hat ein heikler Prozess begonnen.

Interne Immobilienfirma

Dazu muss man wissen: Die Kirchgemeindeversammlung Johannes musste zunächst der Entwidmung des Johannes-Ensemble zustimmen. Das heisst, dass die kirchlichen Gebäude ihren öffentlichen Auftrag verlieren. Sie werden zu Liegenschaften, mit denen die Kirche Geld einnehmen kann. Dafür ist die kircheninterne Immobiliengesellschaft RefBernImmo AG (RBI) zuständig. 

Die RBI kann an private, gewerbliche oder staatliche Nutzer*innen vermieten oder verkaufen. Häufig überträgt sie die Liegenschaften im Baurecht: Der Boden gehört dann weiterhin der Gesamtkirchgemeinde Bern, und die Liegenschaft geht nach einer vertraglich festgelegten Zeit wieder an die Kirche zurück. Bei der Auswahl der neuen Nutzer*innen muss die RBI ethische Grundsätze einhalten: Glücksspiele etwa dürften in den Liegenschaften nicht stattfinden. Orientieren soll sie sich dabei an marktüblichen Preisen. 

Sozial oder marktüblich? 

Jetzt sucht die RBI also eine neue Nutzerin für das Kirchenensemble Johannes. Dadurch befindet sie sich in einem Spannungsfeld: Ihr gewinnorientierter Auftrag steht zuweilen im Widerspruch zu sozialen Nutzungsformen, die finanziell nicht lukrativ sind – aber kirchliche Werte besser repräsentieren. 

Kirchgemeindehaus Johannes fotografiert am Dienstag, 17. Oktober 2023 in Breitenrain. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Schöne Aussichten. (Bild: Simon Boschi)

So zum Beispiel ein Projekt, von dem bereits bekannt ist, dass es  sich mit einer sozialen Idee für die Nutzung des Kirchgemeindehauses bewirbt: Der Verein «Das Haus der Bewegungen». Er will aus dem Kirchgemeindehaus «einen Ort des sozialen Wandels» machen. Verschiedene Gruppen, die sich für sozialpolitische Anliegen einsetzen, sollen im Kirchgemeindehaus einen Raum bekommen und sich vernetzen. 

Aktivist*innen im Kirchgemeindehaus?

Célia Doloir und Hannah-Milena Elias verwenden viel Zeit dafür, dass das «Haus der Bewegungen» realisiert werden kann. Sie sind gemeinsam mit anderen Mitgliedern für die Koordination der verschiedenen Gruppen und die Medienarbeit des Vereins zuständig.

Entstanden sei die Idee, als Klimaaktivist*innen erfuhren, dass das Kirchgemeindehaus aufgegeben wird und deshalb nicht mehr für aktivistische Anliegen zur Verfügung stehen könnte. Gemeinsam mit Mitgliedern der Kirchgemeinde, des feministischen Streiks, und weiteren engagierten Personen, entschieden sie, einen Verein zu gründen, der dem Aktivismus einen festen Ort ermöglicht. 

Bisher ist der Verein mit 60 möglichen Partner*innen in Kontakt, die daran interessiert sind, im «Haus der Bewegungen» mitzuwirken. Das Spektrum ist breit, es gehören etablierte Akteur*innen wie Radio RaBe oder die Klima-Allianz Schweiz sowie das «Theater und Tanzhaus für Kinder und Jugendliche» dazu. «Grössere Projekte könnten die kleineren unterstützen», meint Doloir.  

Das Haus der Bewegungen ist ein Non-Profit Projekt. Und damit wohl kein optimaler Nachfolger aus Sicht der RBI, denn die Zahlungskraft könnte bei gewinnorientierten Nutzer*innen höher ausfallen. Das ist auch Doloir und Elias bewusst. Aufgeben wollen die beiden aber nicht. Und auch Mitglieder der reformierten Kirche Bern stehen positiv zum «Haus der Bewegungen». 

Uneinigkeit über die Identität der Kirche 

Das zeigte sich an der Sitzung der Gesamtkirchgemeinde Bern Mitte September. Als die Entwidmung des Johannes-Ensemble beschlossen wird, ergreift unter anderem Elisabeth Gerber, Pfarrerin in Bethlehem, das Wort: Sie bedauere den gewinnorientierten Umgang mit kirchlichen Gebäuden. Und sie wünsche sich, dass nicht nur marktwirtschaftlich entschieden werde. Wie auch andere Kirchenratsmitglieder befürchtet sie eine Entfernung von kirchlichen Werten. Besagte Mitglieder sprechen sich während der Sitzung deshalb für das «Haus der Bewegungen» als Nachfolgerin aus. Da es sich für Anliegen engagiere, die im Grunde tief kirchlich seien.

Verein Haus der Begegnungen im Kirchgemeindehaus fotografiert am Dienstag, 17. Oktober 2023 in Breitenrain. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Die Arbeitsgruppe Büro vom Haus der Bewegungen trifft sich regelmässig, um etwa über Finanzen zu sprechen. (Bild: Simon Boschi)

Die Bedürfnisse, die an der Sitzung geäussert werden, sind nicht neu. Johannes Stückelberger, Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Universität Bern, schreibt in einer Hilfestellung zu Umnutzungen: Für die Kirchgemeinde sei es jeweils von Bedeutung, was mit den Gebäuden geschehe, wenn sie nicht mehr kirchlich genutzt würden. Denn sie seien nach wie vor wichtig für die Identität der Kirche. Ausserdem würden die Gebäude auch unabhängig von Religion als Orte der Öffentlichkeit wahrgenommen. Gewerbliche und vor allem private Nutzungen sollte man laut Stückelberger deshalb eher vermeiden. 

Die RBI nimmt die skeptischen Äusserungen an der Sitzung zur Kenntnis. Garantieren könnten sie aber nichts, so der Sprecher der RBI. Ihr Auftrag laute schliesslich, Gewinn zu erzielen. 

Und wie sieht das die Verwaltung der Gesamtkirchgemeinde? Auf Anfrage erklärt Carmen Hess, Mediensprecherin der reformierten Kirche Bern, die Situation so: Für sie drohen weniger kirchliche Werte als die praktische Arbeit der Kirche verloren zu gehen. Sie betont, die Kirche müsse sparen, um genügend Mittel für die kirchliche Arbeit freispielen zu können, zu der etwa die Alterspflege gehöre. So gesehen könne es Sinn machen, dass zum Beispiel ein Start-Up in einem ehemals kirchlichen Gebäude unterkomme.

Die Kirche in Finanznot

Das Johannesensemble ist kein Einzelfall: Kirchgemeinden, die fusionieren und ihre Gebäude aufgegeben und umnutzen, sind Teil einer Entwicklung in der reformierten Kirche in Bern. Der Mitgliederverlust bedeutet auch einen Rückgang der Einnahmen aus Kirchensteuern. 

2014 hat die Gesamtkirchgemeinde Bern, zu der die zwölf reformierten Kirchgemeinden der Stadt gehören, deshalb entschieden, ihre Liegenschaftskosten einzudämmen. Verschiedene Liegenschaften werden von der RBI vermietet, seltener verkauft oder abgerissen. 

Die RBI hat bisher unterschiedliche Nutzer*innen von entwidmeten Gebäuden ausgewählt. Im Steigerhubel zum Beispiel hat sie das Kirchgemeindehaus an die Stadt vermietet, die es für die Volksschule nutzt. Das Pfarrhaus wiederum wurde abgerissen. Auf dem Grundstück befindet sich ein Neubau mit Mietwohnungen. 

Das «Haus der Bewegungen» wird als ein soziales Projekt im Bewerbungsverfahren voraussichtlich mit gewerblichen oder privaten Bewerber*innen konkurrieren müssen. Vorläufig hofft der Verein deshalb auf die soziale Ader der Kirche. Die RBI trifft ihre Entscheidung wohl erst 2024. Sie wird Quartier und Kirche prägen.

 

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Diskussion

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Salome Krieger Aebli
19. Oktober 2023 um 19:58

Danke für den Beitrag. Die Frage, die ich mir schon länger stelle und die in den Medien nicht aufgeworfen wird: Denkt die RBI Zonenkonformität mit? Das Kirchgemeindehaus Johannes ist eine Anlage in allgemeinem Interesse B. Was lässt diese Zone zu? Wohl kaum eine gewerbliche Nutzung. Ähnliches gilt für das Kirchgemeindehaus Frieden, das nun als Stadtkloster, also zum Wohnen, genutzt werden soll, aber nicht in der Wohnzone liegt.

Wie stellen sich die Baubehörden der Stadt Bern zu den Umnutzungen?

Evelyne Baumberger
19. Oktober 2023 um 05:50

Ich fand es immer super, dass "meine" Kirchgemeinde Initiativen wie dem Klimastreik Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Ich hoffe sehr, dass diese Partnerschaft weitergehen kann. Die Argumentation mit Werten vs. praktischer Arbeit erscheint mir schwach: Beides geht ineinander über, sonst ist auch "praktische Arbeit" inhaltsleer.