Ort für alles?
Ein Streifzug durch den Bernapark Stettlen.
An den Wänden hängt Motivation. «Have you found the Steve Jobs in you?», fragt mich ein gerahmtes Poster, darauf ein Foto von zwei Menschen in schwarzen Rollkragenpullovern (beide sind nicht Steve Jobs). Sie halten sich den Denker-Finger ans Kinn.
Im Zentrum für Innovation und Digitalisierung, kurz ZID, des Bernaparks Stettlen gedeihen Berner Start-ups. Und mit ihnen eine Woche lang die «Hauptstadt». Ein anderes Poster zeigt einen Raketenstart. Es heisst darauf: «Place-to-BE für die neue Generation von Unternehmungen.»
Um neun Uhr vormittags treffe ich im ZID vor allem auf Praktikant*innen. Zum Beispiel im Büro von «Appentura». Das Start-up betreibt eine App für Überraschungen. Ein Praktikant und eine Praktikantin sitzen vor ihren Laptops. Nur die Tischbomben auf einem Regal deuten auf ein Unternehmen hin, das Spass verkauft. Die 20-jährige Lena arbeitet hier zwischen Schulabschluss und Studienbeginn.
«Das ZID ist cool», sagt sie. Es sei immer öpis los. Die Unternehmen könnten sich vernetzen. «Start-ups sind eine spannende Welt.» Das habe sie hier entdeckt. «Die Idee, ein eigenes Unternehmen zu gründen, finde ich cool.»
Die Sitzungszimmer im ZID sind nach Persönlichkeiten benannt. Nur «Richard» ist heute Morgen gebucht. Ruth, Steve, Elon und die anderen stehen leer. «I think it is possible for ordinary people to choose to be extraordinary», teilt Elon Musk via weisse Buchstaben an der Wand mit. Ich gehe weiter in die offene Küche und lasse mir ein gekühltes Mineralwasser aus dem Wasserhahn ins Glas sprudeln. Hinter mir läuft Werbung auf einem Screen so gross wie ein Ehebett.
Ein Start-up, das im ZID eingemietet ist, macht 3D-Scans von menschlichen Körpern, um ihre Fitness-Fortschritte zu zeigen. Ein anderes bekämpft den Fachkräftemangel mit Service-Robotern. Ein drittes bildet IT-Lehrlinge im ersten Lehrjahr aus.
«Alle helfen einander und sind im Austausch», sagt die 20-jährige Laila. Auch sie ist Praktikantin, am Empfangsdesk des ZID, schwarzer Pulli, gekonntes Makeup. Knapp ein Jahr dauert ihr Praktikum bereits. Bald will sie das abgebrochene Gymnasium fortsetzen. «Danach hoffentlich work and travel», sagt sie. Auch Laila hat die Start-up-Welt hier im ZID entdeckt – «extrem spannend.»
Der bachsteinerne Kamin ist unübersehbar. Er wirkt wie ein erhobener Zeigefinger, wenn man aus dem einsamen Gümligental nach Stettlen hinunterschaut. Hier passiert etwas, signalisiert der Schlot der früheren Kartonfabrik Deisswil. Der mächtige Industriekomplex wird schrittweise umgebaut zu einem urban anmutenden Quartier namens Bernapark, in dem gearbeitet, gewohnt, gelebt wird.
Bern ist nicht berühmt für seinen Unternehmergeist. Der Bernapark ist ein Wagnis draussen im Grünen. Als Inspirationsort für Start-ups will das Zentrum für Innovation und Digitalisierung (ZID), in dessen geräumigem Co-Working-Space die «Hauptstadt»-Redaktion diese Woche arbeitet, junges Unternehmertum fördern. Wörter wie Pioniergeist stehen an der Wand, ab und zu fährt ein Servierroboter durch den Gang, irgendwo steht: «Have you found Steve Jobs in you?».
Die «Hauptstadt», selber ein junges, kämpferisches Unternehmen, schaut diese Woche genau hin im Bernapark Stettlen.
Dominierende Baustelle
Draussen ist es grau und laut. Die Baustelle ist gewaltig. Sie dominiert das Bild und die Geräuschkulisse im Innenhof des Bernaparks. Unzählige Bauarbeiter*innen wuseln in der Kälte auf Geräten und Gerüsten.
In alten Fabrikhallen entstehen Räumlichkeiten der Schule für Gestaltung Bern und Biel. Sie wird nächstes Jahr für zehn Jahre in den Bernapark ziehen.
Das Treppenhaus der Schule werde ein wahres Kunstwerk, kündigte Caroline Forte auf einer Führung tags zuvor an. Sie ist Bernapark-Verwaltungsrätin und Tochter des Gross-Investors Hans Ulrich Müller. Für eine Schule für Gestaltung müsse logischerweise etwas Künstlerisches her.
Zwei Heizungsinstallateure bereiten Rohre vor, die sie in der immensen zukünftigen Aula-Halle einbauen. Sie haben wenig Zeit für Smalltalk. «Viel Arbeit, aber das ist gut!», ruft ein Installateur von der Hebebühne herunter. Er übertönt den Lärm in der Halle nur mit Mühe. Sein Kollege trägt Rohre herbei. Seit ein paar Wochen sind die beiden hier im Einsatz – sie bleiben noch bis Ende Dezember. «Viel Glück!», wünscht mir der Installateur und winkt vom Lift herab, während er in Richtung Decke davonschwebt.
Die Vision vom Dorf
Der Bernapark will ein Ort sein für alles, was es zum Leben braucht: «Ein Ort, wo Menschen ein Zuhause haben, das ihnen vieles gibt, was das Herz begehrt. Dies in einer guten Balance, für jeden Gusto und vor der Haustüre. Ein Ort mit Traditionen und Innovationen, der lebt und Freude macht.» So wird Investor Hans-Ulrich Müller in einer Projekt-Broschüre zitiert. Der frühere CS-Banker hat die ehemalige Kartonfabrik Deisswil 2010 gekauft. Auf dem Areal lässt er gemeinsam mit seinen Nachkommen ein visionäres Dorf entstehen.
Ski im Velogeschäft
Michael «Michu» Schärer steht allein inmitten seiner 200 Quadratmeter Ladenfläche. Um ihn herum warten nigelnagelneue Mountainbikes auf Käufer*innen – und seit neuestem auch Skis. Das hat er seinem Nachbar zu verdanken: Direkt neben Schärers «Drift Bike Shop» ist der Schweizer Sitz der österreichischen Wintersportfirma Fischer im Bernapark eingemietet.
Michael Schärer war früher selbst Veloprofi. Letztes Jahr hat er sich seinen Traum vom eigenen Mountainbike-Geschäft verwirklicht. In der Stadt gäbe es zwar mehr Laufkundschaft, sagt er, aber dafür könnte er die Miete für einen Geschäftsraum kaum bezahlen. Er entschied sich für den Bernapark. Es laufe nicht schlecht, aber er stehe noch am Anfang. Am Morgen erledigt er in seinem Ein-Mann-Betrieb Velo-Reparaturen, am Nachmittag öffnet er das Geschäft für Verkäufe.
«Im Dorf redet man schon über den Bernapark – aber Negatives höre ich eigentlich nie», sagt Schärer, der seit drei Jahren in Stettlen wohnt. Trotzdem seien die meisten Leute, so seine Erfahrung, noch nie dagewesen.
Schärer hat sich überlegt, mit seiner Familie in den Bernapark zu ziehen. Es war ihm aber zu teuer: Mit den beiden Kindern hätte er eine 4,5 Zimmer-Wohnung benötigt. «Und die kostet fast 4000 Stutz.» Auch Parterre-Wohnungen, die sich für Familien besonders eignen würden, gebe es nicht, sagt er. Dann stellt er mich seinen Geschäftsnachbarn vor.
Silvan Häfliger verpackt Ski in eine Kartonschachtel. Er ist der Geschäftsführer von Fischer Schweiz. Die Wintersport-Firma war eine der ersten Unternehmen, die dem Werben von Investor Hans-Ulrich Müller folgten und sich vor zehn Jahren im Bernapark niederliessen.
«Wir werden auch hier bleiben, obwohl es nicht ganz günstig ist», sagt Häfliger. Der Ort sei attraktiv für Mitarbeitende: Perfekt an den öffentlichen Verkehr angeschlossen, Freizeitangebote wie Restaurants und Fitnessstudio gleich nebenan, Kinderbetreuung. «Ich habe selbst meine Kleine hier in der Kita», erzählt er. Einmal pro Woche nehme er seine Tochter aus seinem Wohnort in der Westschweiz mit in den Bernapark, wo er arbeitet und sie betreut wird.
Niemand zu Hause
Und wie wohnt es sich im Bernapark?
An einem Mittwochmorgen lässt sich das nicht so einfach herausfinden. Die meisten Wohnungen sind dunkel, der nassgraue Innenhof fast nur von Bauarbeiter*innen belebt. Wer hier wohnt, ist an einem Mittwochmorgen mutmasslich bei der Arbeit. Das ist mein Fazit nach einigem Herumschlendern auf dem Gelände. Das mit dem Arbeiten drängt sich wohl auch aufgrund der Mietpreise auf. Die Wohnungen sind geräumig, hell, hoch, neu, mit privaten Waschmaschinen und Tumblern. Aber günstig sind sie nicht: 3,5 Zimmer und rund 120 Quadratmeter kosten fast 2800 Franken monatlich.
Dafür ist die Kita «Bim Bam Bini» voll. Kleinkinder schnetzeln an einem langen Holztisch Kürbisse. Sie wohnen teilweise in Stettlen, teilweise im Bernapark selbst, erklärt die 23-jährige Standortleiterin Selina Schärer. Die Betreuungsplätze hier seien gut ausgelastet. Bald zügelt die Kita vom vierten Stock in ein renoviertes Stöckli auf der anderen Seite der Bahngeleise. Es gehört auch der Bernapark AG. «Dort haben wir einen Garten und sogar Platz für Kleintiere», sagt Schärer.
Praktisch, aber blass
Zurück im ruhigen ZID. Nur leicht dringt gedämpfter Baulärm in den Coworking-Space. Auf den vielen Bürostühlen sitzen jetzt mehr Menschen. Einige halten sich in schalldichten Telefonzellen das Handy ans Ohr.
Der Bernapark mag praktisch sein. Und innovativ. Ein attraktiver Arbeitsort. Er bietet auch attraktive Wohnungen. Er vereint vieles auf kleinem Raum und ist perfekt an die Stadt angeschlossen.
Aber nur weil etwas praktisch ist, atmet es noch nicht unbedingt. Was dem Ort fehlt, ist das Leben. Vielleicht, weil alles noch im Bau ist. Vielleicht auch, weil es auf dem Reissbrett entstanden ist.
Möglicherweise wird sich das im nächsten Sommer ändern, wenn die Schüler*innen der Schule für Gestaltung neue Vibes in den Bernapark bringen.