SVP bremst den Gemeinderat aus
Die Berner Stadtregierung wollte Überbrückungshilfen für Armutsbetroffene weiterhin finanzieren. Nun stoppt die SVP mit einer Beschwerde das Pilotprojekt vorläufig.
Vor einem Jahr startete die Stadt Bern ein Pilotprojekt für Überbrückungshilfen. Es bietet niederschwellige finanzielle Unterstützung für Armutsbetroffene, die keine Sozialhilfe beziehen. Menschen in akuten Notlagen, die in der Stadt Bern leben, konnten einen einmaligen Betrag von maximal 3'000 Franken erhalten, Paare höchstens 5'000 Franken.
Das Pilotprojekt war auf ein Jahr angelegt. Dafür waren ursprünglich 220'000 Franken veranschlagt. «Das Projekt war – leider – ein Erfolg, denn es zeigt, dass es auch in Bern versteckte Armut gibt», sagt Sozialdirektorin Franziska Teuscher heute. Bis Ende August 2023 wurden 365 Personen unterstützt, darunter 137 Kinder. «Die Zahl der Gesuche überstieg unsere Erwartungen», sagt Teuscher. «Es hat sich gezeigt, dass ein grosser Bedarf nach dieser Art der Unterstützung besteht.»
Deshalb wollte der Gemeinderat das Pilotprojekt um ein Jahr verlängern. Das gab er im Dezember bekannt. Weil im vergangenen Jahr zusätzliche Mittel von 40'000 Franken nötig wurden, genehmigte der Gemeinderat die Anpassungen des Leistungsvertrags 2023 sowie den Leistungsvertrag für 2024. Die Gesamtkosten betragen insgesamt 265'000 Franken für die Projektverlängerung.
Die Stadt Bern hätte also auch in diesem Jahr Überbrückungshilfen für Armutsbetroffene zur Verfügung gestellt. Wäre da nicht die SVP.
Beschwerde wegen angeblicher Umgehung des Ausländerrechts
Mitte Januar reichten SVP-Grossrat Thomas Fuchs und SVP-Stadtrat Janosch Weyermann beim Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland eine Beschwerde gegen die Verlängerung des Pilotprojektes ein. Die Beschwerde liegt der «Hauptstadt» vor.
Thomas Fuchs hat sich letztes Jahr bereits mit einem Vorstoss im Grossen Rat gegen das Projekt gestellt. Er rechnet sich gute Chancen für seine Beschwerde aus: «In Zürich war eine ähnliche Beschwerde erfolgreich», sagt er. «Wir hoffen, dass damit Schluss ist mit diesem Projekt.»
Am 16. Januar gewährte das Regierungsstatthalteramt die aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Solange das Beschwerdeverfahren läuft, wird das Projekt für Überbrückungshilfen vorläufig gestoppt. Für wie lange, ist unklar. «Eine verlässliche Prognose, wann mit dem Verfahrensabschluss gerechnet werden kann, ist zur Zeit nicht möglich», schreibt das Amt auf Anfrage.
Fuchs und Weyermann sehen im Projekt eine Umgehung des Ausländerrechts.
Wenn Ausländer*innen Sozialhilfe beziehen, müssen die Sozialdienste das den Migrationsbehörden melden. Denn der Bezug kann ausländerrechtliche Konsequenzen haben: Migrationsbehörden können deswegen Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen entziehen oder zurückstufen. Auch bei Einbürgerungen bestehen Nachteile. Deshalb gibt es Menschen, die aus Angst vor diesen Konsequenzen keine Sozialhilfe beziehen, obwohl sie dazu berechtigt wären.
Das Pilotprojekt für Überbrückungshilfen der Stadt richtet sich unter anderem an diese Menschen. Damit untergrabe es die ausländerrechtliche Meldepflicht, finden die SVP-Politiker.
Ausserdem, argumentieren sie, hätte die Verlängerung des Pilotprojekts dem Stadtrat vorgelegt werden müssen. Weil die Kosten des gesamten Projekts 300'000 Franken übersteigen, läge es nicht mehr in der Kompetenz des Gemeinderates, darüber zu entscheiden.
Gemeinderat will sich wehren
Für Gemeinderätin Franziska Teuscher wäre das eine herbe Niederlage. «Mit dem Projekt kann die Stadt Bern Not lindern», sagt sie. «Das gehört zu unseren Aufgaben.»
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat das Pilotprojekt wissenschaftlich begleitet und evaluiert. In einem Bericht vom letzten Oktober kam sie zum Schluss, dass der Bedarf an Unterstützungsgeldern hoch ist. Das Projekt sei wirksam, um drängendste Notlagen bei Armutsbetroffenen abzufedern.
Weil die Hilfe auch für Menschen zugänglich sein sollte, die wenig Vertrauen in die Behörden haben, war die Stadt nicht selbst für die Umsetzung zuständig. Sie beauftragte die Fachstelle Sozialarbeit der römisch-katholischen Kirchgemeinde Bern damit. Diese hatte Armutsbetroffene beraten und ihnen bei Bedarf die Überbrückungshilfen gewährt.
Die Stadt werde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens Stellung beziehen und die nötigen Anträge stellen, sagt Teuscher. «Unser Ziel ist, dass das Pilotprojekt baldmöglichst wieder weitergeführt werden kann.»