Rendez-vous beim «Bergdoktor»

Solidarität kann helfen, aus Ängsten sogar Kraft zu schöpfen. Dieser optimistische Gedanke entsprang dem erstaunlich fröhlichen Hauptsachen-Talk im Progr zum Thema Zukunftsangst.

Kommt alles gut oder Geht alles den Bach unter? fotografiert am Mittwoch, 21. Mai 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Geht alles den Bach runter? Magdalena Erni, Dorothee Schmid, Benjamin Ruch und Jana Schmid (von links) diskutieren im Progr. (Bild: Simon Boschi)

Wäre Heiterkeit eine Therapieform, die Psychotherapeutin Dorothee Schmid (67) hätte sie am Mittwochabend am «Hauptsachen»-Talk vor rund 50 Besucher*innen brillant eingesetzt. Als Moderatorin Jana Schmid auf der Kleinen Bühne im Progr die Frage aufwarf, was Strategien sein könnten, um überhandnehmenden Zukunftsängsten zu begegnen, warf Dorothee Schmid das Wort Stimuluskontrolle in die Runde.

Stimuluskontrolle? Damit ist – salopp formuliert – gemeint, dass man bewusst entscheidet, mit was man sich jetzt gerade auseinandersetzt und mit was nicht. Dass man also Reizen ausweicht, die problematische Empfindungen befeuern. Ein Beispiel? Es komme vor, dass sie manchmal bewusst keine News konsumiere, sondern «dass ich den Fernseher einschalte und die Sendung Bergdoktor schaue.» Grosse Heiterkeit im Saal. Und den «Bergdoktor» wurde Dorothee Schmid den ganzen Abend nicht mehr los – was sie mit Humor nahm.

Für alle, die nicht dabei sein konnten, stellt die «Hauptstadt» den Talk hier als Podcast (Produktion: Jonas Fasching) zur Verfügung.

Fürs Nachdenken über Zukunftsängste brachte Psychotherapeutin Schmid erhellende Differenzierungen ein. Besonders junge Menschen, so Schmid, «haben nicht nur Angst vor der Zukunft, sondern vor allem auch um ihre Zukunft». Diese Last sei man als ältere Person bis zu einem gewissen Grad los, weil man durch das gelebte Leben über biographischen Besitz verfüge, über die Erfahrung, was man leisten und verkraften könne.

Kommt alles gut oder Geht alles den Bach unter? fotografiert am Mittwoch, 21. Mai 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Stärkt sich mit Herzensangelegenheiten: Dorothee Schmid. (Bild: Simon Boschi)

Besonders interessant waren Schmids Gedanken zur Frage, ob sie die Hoffnung habe, dass die Zukunft besser werde. «Ich habe Mühe mit dem Begriff Hoffnung. In der Hoffnung schwingt häufig etwas Resignatives mit. Das Gefühl, dass man nichts mehr machen kann.» Die wertvollsten Ressourcen, die ihr helfe vorwärtszugehen «und am Leben zu bleiben», seien «persönliche Werte. Herzensangelegenheiten, für die ich einstehen will». So lange sie die Kraft dieser Werte spüre, erlebe sie Sinn – «unglaublich hilfreich, um mit Zukunftsängsten umzugehen».

Kommt alles gut oder Geht alles den Bach unter? fotografiert am Mittwoch, 21. Mai 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Schöpft Kraft aus der Sorge um die Welt: Magdalena Erni (Bild: Simon Boschi)

Sie habe als junge Person «auf jeden Fall Angst vor der Zukunft», sagte Magdalena Erni (21) – etwa, wenn sie sich vor Augen führe, mit wie vielen Hitzetagen sie rechnen müsse, wenn sie dereinst 80-jährig sein werde. Erni ist Co-Präsidentin der Jungen Grünen Schweiz und setzte sich als Gesicht der Umweltverantwortungsinitiative Anfang Jahr heftigen Kontroversen aus. Das Begehren der grünen Jungpartei wurde am 9. Februar von den schweizerischen Stimmberechtigten hochkant abgelehnt.

Schmaler Grat

Aus Ernis Sicht verlangte die Umweltverantwortungsinitiative genau das, was nötig wäre, um aus der Klimakrise herauszufinden. «Zu erkennen, dass diese Forderungen weit entfernt davon sind, mehrheitsfähig zu sein, hat hoffnungslos gemacht», sagte sie. Mehrere ihrer Kolleg*innen hätten deswegen ihren Aktivismus aufgegeben, andere kämpfen sich laut Erni noch aus dem Loch heraus.

Der Grat, auf dem sie sich bewegt, beschrieb Magdalena Erni als recht schmal. Einerseits wandle sich die Zukunftsangst in berauschende Tatkraft, wenn sich Aktivist*innen mit ihren Sorgen gegenseitig antreiben. Andererseits erlebten Aktivist*innen auch deprimierende Ohnmachtsgefühle sehr intensiv, wenn sich trotz vollem Einsatz nichts bewege. «Aber wenn wir es nicht machen, wer macht es dann?», fragte sie.

Kommt alles gut oder Geht alles den Bach unter? fotografiert am Mittwoch, 21. Mai 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Das Leben ist ein Entwurf: Benjamin Ruch. (Bild: Simon Boschi)

Ohnmachtsgefühle beobachtet auch Benjamin Ruch (41). Er ist Schulseelsorger und Lehrer für Religion und Philosophie an der Kantonsschule Baden. Bei seinen Gymnasiast*innen – aber bis zu einem gewissen Grad auch bei sich selbst, wie er betonte – nimmt er eine schleichende Tendenz zur «konformen Apathie» wahr. Er meint damit einen Rückzug ins Private aus Gründen der Ohnmacht. Man strebt nach persönlichem Erfolg, Geld, einem flotten Auto, weil es eh nichts bringt, sich um das grosse Ganze zu sorgen. Die Kraft ist nicht mehr da, gegen die globalen Probleme anzukämpfen.

Was tun?

«Du hast Angst. Ich auch.»

Ruch findet Inspiration in Religion und Philosophie. Sie helfen, so Ruch, zu einem Perspektivenwechsel zu finden. Eine wichtige Funktion von Religion bestehe darin, zu erkennen, dass es Sinn mache, der Resignation zu widerstehen: «Die Welt, wie sie ist, ist nicht alles. Es muss mehr geben.» Das Leben sei kein Zustand, sondern ein Entwurf, eine Idee, ständig vorwärts zu gehen – Ängste und Sorgen gehörten ganz normal dazu.

Kommt alles gut oder Geht alles den Bach unter? fotografiert am Mittwoch, 21. Mai 2025 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Heitere Diskussion, aufmerksames Publikum. (Bild: Simon Boschi)

«Du hast Angst. Ich auch. Die Menschen vor mir und nach mir ebenfalls, ich bin in diesem Feld unterwegs», sagte Ruch im Progr. Es ist letztlich ein sehr solidarischer Gedanke, auf dieser Welt gemeinsam den Weg nach vorne zu suchen.

Deshalb habe er auch überhaupt nicht das Gefühl, alles gehe den Bach runter. «Es gibt verschiedene Entwicklungen, die mich hoffnungsvoll stimmen», hielt Ruch fest. Dass Queerness offener gelebt werden könne zum Beispiel. Oder wie selbstverständlich religiöse Pluralität heute sei.

Man könnte sogar sagen: Aus Ängsten kann auch Kraft entstehen.

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