«Als Jugendlicher hatte ich eine grössere Wut»

Mit «Brot» veröffentlicht der Berner Rapper Baze (45) ein klassisches Rap-Album. Er klingt gewohnt schwermütig, findet aber, er sei mit dem Alter ruhiger und freier geworden.

Bern,12.5.2025 - Der Mundart-Rapper und Musiker Baze (Basil Anliker) während eines Spaziergangs an der Aare in Bern © Annette Boutellier
Die Stimmung? «Zwischen locker drauf und leicht abgründig», sagt Rapper Baze. (Bild: Annette Boutellier)

Wenn Sie rappen, bekomme ich oft den Eindruck, Sie verachten alles hier.

Ich würde nicht sagen, verachten. Ich reibe mich einfach daran. Wenn ich in New York leben würde, würde ich wahrscheinlich gleich über New York rappen. Oder in Kassel über Kassel.

Was ist Bern für Sie?

Bern ist der Ort, an dem ich lebe, leider schon mein ganzes Leben. Jetzt zitiere ich mich selbst, aber ich mag diesen Satz: Irgendeinisch frisst di jede Ort uf sini Art uf, bis so im Kreis loufsch, dass di eiget Arsch chasch gseh, u da gits schöners. Und so kommt es mir manchmal vor. Und, so wechselhaft ich in meinen Gefühlen bin, habe ich manchmal auch eine absolute Liebe zu Bern. So wie jetzt grad.

Warum denn?

Es wird Sommer, die Leute sind in den Restaurants, du triffst hier und da jemanden. Und ich finde, das ist eine extreme Lebensqualität, die ich hier geniesse. Als Jugendlicher hatte ich sicher eine grössere Wut auf diese Stadt.

Die gibt es jetzt nicht mehr?

Im Moment grad nicht. Aber triff mich an einem düsteren Tag im Februar und ich sage, ich hasse diese Drecksstadt. Weil hier alles grau ist, die Leute sich nicht treffen, und überhaupt, was mache ich hier?

Zur Person

Baze, mit bürgerlichem Namen Basil Anliker, ist seit über 25 Jahren fixer Teil der Berner Rap-Szene und Mitglied des losen Hip-Hop-Zusammenschlusses Chlyklass. Hört man sich seinen Rap an, klingt er immer ein bisschen nach Berner Gangster, vielleicht auch wegen seiner schleppenden, entspannt-flowigen Stimme.

Oft nimmt Baze in seinen Songs zeitlose Themen auf, die doch dem Zeitgeist entsprechen. So auch auf dem aktuellen Werk «Brot». Die Gedanken sind jetzt eher die eines Familienvaters (Baze hat zwei Töchter im Alter von 5 und 9 Jahren), der sich über die Behäbigkeit des Schweizer Bürgertums aufregt («Mango»), augenzwinkernd das Phänomen der Mietvelos betrachtet («Publi») und die echte Welt dann doch der virtuellen vorzieht («Kommi»).

Getauft wird das Album «Brot», das man sich am besten als Gesamtwerk anhört, am Samstagabend, 17.5. im ISC (ausverkauft). Ein weiteres Konzert findet am Samstag, 24.5. im neu eröffneten Sous Soul statt.

Was macht Ihnen in Bern Freude?

Die Aare. Und meine Freunde und Familie. Ich finde es schön, wenn man sich mit einem Ort und seinen Menschen identifizieren kann. Die Sprache ist mir nah. Es ist die einzige Sprache, die ich wirklich beherrsche.

Sie würden also nie in einer anderen Sprache rappen?

Niemals. Wenn du eine Sprache nicht tausendprozentig beherrschst, kannst du keine Finessen einbauen, keine Ironie. Das funktioniert nicht. Selbst auf Hochdeutsch nicht. Obwohl ich ja selber nur Hochdeutsch lese.

In welcher Stimmung waren Sie, als Sie die neuen Songs aufgenommen haben?

Zwischen locker drauf und leicht abgründig. Letztes Jahr hatte ich eine Phase, in der es mir nicht so gut ging. Wo ich so in einer ziellosen Kälte rumgegangen bin. Das Album hat mir auch geholfen, da rauszukommen. Ich bin jemand, der alles immer wieder hinterfragt, da kann ich in einen Zustand hineinkommen, wo ich denke, das bringt alles nichts. Was mache ich eigentlich?

Bern,12.5.2025 - Der Mundart-Rapper und Musiker Baze (Basil Anliker) während eines Spaziergangs an der Aare in Bern © Annette Boutellier
Ja, Baze hat einen Staubsauger, der selber fährt. (Bild: Annette Boutellier)

Fällt Ihnen das Schreiben schwer?

Ich muss wirklich in einen Film reinkommen, in den Beat kommen. Fast einen No-Brainer entwickeln, einen Schnellversuch. Und mir sagen, dass ich meine Ideen nicht von Anfang an zensiere. Oder sie verwerfe. Ich schreibe schon anders als früher, ich fühle mich freier.

Warum?

Keine Ahnung. Das Alter.

Das Alter?

Ja, das Alter macht mich ruhiger. Finde ich.

Ruhiger?

Ja, ich bin immer noch kein ruhiger Mensch. Aber ich bin einiges ruhiger als früher. Ich bin vielleicht auch weniger emotional. Habe es besser unter Kontrolle.

Braucht es nicht vor allem Emotionen, um gut rappen zu können?

Ich lasse mich eh nur von Emotionen leiten. Ich bin immer noch launisch, das werde ich nie wegbekommen. Ich bin immer noch cholerisch. Meine Stimmung wechselt schnell. Von alles ist gut zu alles ist sinnlos. Das ist in mir drin. Ich habe das akzeptiert. Aber ich bin lockerer gegenüber dem Ganzen.

Geht es Ihnen besser als früher?

Es hat nicht einmal mit besser oder schlechter zu tun, es hat sich einfach ein bisschen gesettelt. Die Berg- und Talfahrt wurde gemässigter. Aber ich bleibe ein emotionaler Mensch und lasse mich auch von vielem beeinflussen.

Auf Ihrem neuen Album klingen Sie wie früher, vielleicht noch etwas schwermütiger. Untermalt von fetten Beats.

Der Sound ist halt wieder klassischer Hip-Hop. Da komme ich her – und da hatte ich Bock drauf. Auf etwas Rotziges mit Flow, rhythmisch cool. Auf hingeworfene Phrasen, die nicht unbedingt stringent sind. Das hat mir Spass gemacht.

Sie rappen über einen Staubsaugroboter.

Ich habe wirklich einen Staubsauger, der selbst fährt. Und ich meine, heisst das nicht: Ich habe es geschafft?

Und trotzdem klingen Sie in Ihren Songs so, als leiden Sie an der Welt.

Der Welt?

Ja.

Ich finde sie oftmals ziemlich dämlich. Die Menschen werden immer blöder. Besonders in unserer Wohlstandsgesellschaft haben wir einen Zenit erreicht, wo wir so vollgefressen sind, dass wir uns andere Probleme suchen müssen. Wenn ich zum Beispiel hier für Frieden zwischen zwei Ländern einstehe, mich dabei aber mit einem Freund so in die Haare kriege, dass wir uns überhaupt nicht mehr verstehen, frage ich mich, wie es denn dort klappen soll?

Wünschen Sie sich mehr Friedlichkeit?

Na ja, ich streite ja selber gerne. Und wenn ich streite, erschrecken die Leute neben mir. Das wird laut. Es gibt heftige Diskussionen und endet nicht selten damit, dass man sich sämtliche Schlämperlige anhängt. Aber am nächsten Tag sagt man sich: Sorry, gestern war daneben. Und dann ist es für mich erledigt. Verzeihen ist extrem wichtig.

Bern,12.5.2025 - Der Mundart-Rapper und Musiker Baze (Basil Anliker) während eines Spaziergangs an der Aare in Bern © Annette Boutellier
Baze findet, man dürfe auch mal daneben liegen. Ja, das sei sogar wichtig. (Bild: Annette Boutellier)

Und trotzdem arbeiten Sie sich in Ihren Texten an der Schweizer Bünzligkeit ab.

Ja, aber ich meine das nicht nur negativ.

Was ist positiv daran?

Ich meine mehr: Natürlich ist es noch immer so, mit dem Häuschen bauen und mithalten, mithalten, mithalten. Aber ganz ehrlich, das ist in jedem Land so.

Aber an den meisten Orten geht es den Leuten nicht so gut wie hier.

Natürlich lebe ich hier und bin automatisch Nutzniesser davon, dass anderswo Menschen ausgebeutet werden. Ich habe eine schöne Wohnung, ein zerkratztes altes Auto und kann mir Ferien leisten. Ich bin mir meiner Privilegien bewusst. Aber ich finde, wir in der Schweiz sind wenigstens noch etwas equal. Selbst wenn wir eine riesige Schere haben, geht es den Ärmsten noch ungefähr im Vergleich zu anderen Ländern. Ich entschuldige mich nicht für das, was ich bin oder wo ich herkomme. Heute sind differenzierte Meinungen nicht mehr erwünscht. Alles ist Schwarz oder Weiss.

Das hat ja auch mit der Dynamik der sozialen Medien zu tun.

Die Leute meinen, nur weil sie einen Post abschicken, seien sie gute Menschen. Aber es sind eben auch die, die nicht aufstehen und persönlich dafür einstehen. Wenn jeder gewisse, einfachste Regeln befolgen würde, hätte man keine schlechte Welt. Es ginge nur darum, niemand anderen verletzen zu wollen.

Leiden Sie an dem?

Nein. Ich finde einfach, wir leben heute in einer Unfreiheit. Die Leute, die am meisten Nonkonformismus predigen, sind für mich fast die Konformsten. Heute wird sehr viel auf Toleranz und offene Gesellschaft und andere Dinge geschaut. Der Rahmen der Toleranz ist aber ziemlich eng abgesteckt. Es verengt sich zu einem Meinungs-Korridor, wo gar keine Millimeterverschiebung mehr akzeptiert wird.

Wie beeinflusst Sie das als Rapper?

Zum Beispiel schreibe ich aus einer männlichen Sicht. Was nicht heisst, dass ich Frauen nicht miteinbeziehe. Ich schreibe so, weil ich halt ein Mann bin. Und jetzt denke ich: Ah, da muss ich eigentlich noch die Frauenperspektive mit einbeziehen. Früher, vor vielleicht fünf Jahren, hätte ich mir keine Sekunde darüber Gedanken gemacht. Ich dachte, es verstehen eh alle, wie ich es gemeint habe.

Und jetzt?

Ich finde einfach, jeder kann mal daneben liegen und einen Fehler machen. Wir sollten davon ausgehen, dass ein Mensch grundsätzlich nichts Böses will. Und es braucht eine Offenheit zu verzeihen. Auch ich selbst liege relativ oft daneben. Das gehört dazu. Es ist sogar sehr wichtig, daneben zu liegen. Ich glaube, dass Fehler und falsch Abbiegen ein sehr wichtiger Bestandteil des Lebens sind. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Jungen sich in einem mentalen Gefängnis bewegen. Immer alles korrekt sagen und machen wollen. Das ist einengend. Und es führt zu moralischen Grabenkämpfen.

Wie ist Ihr Verhältnis zur jüngeren Generation von Berner Rapper*innen, wie Soukey oder Jule X?

Soukey kenne ich und finde ich sehr sympathisch. Bei Jule X finde ich cool, dass die ihr eigenes Ding machen. Vor allem gefällt mir, wenn Leute Humor haben und sich selbst nicht zu ernst nehmen. Dann fühle ich es eh. Wenn es so bierernst wird, bin ich eher weg.

Sprechen die zwei Generationen Rapper*innen dieselbe Sprache?

Na ja, ich sage jetzt nicht ja vou in jedem zweiten Satz. Und ich brauche natürlich hundertmal weniger Anglizismen als die heutige Jugend. Das wäre dann ja auch nur Anbiederung. Ich finde halt alte Ausdrücke relativ geil. Ich finde es wunderschön, wie man die Eigenheiten der Dialekte hört.

Kann einem dieses Helvetische nicht manchmal auf die Nerven gehen?

Das ist unser deutschsprachiges Problem. Wenn jemand eine Schweizer Flagge raushängt, wird diese Person bereits einer gewissen politischen Ecke zugeordnet. Ich sage, wenn jemand Freude daran hat, soll er es machen. Ich stehe drauf, dass Europa so viele verschiedene Sprachen und Kulturen hat. Und ich finde, die muss man bewahren. Das Bewahren hat aus meiner Sicht nichts mit einem Ausschluss von etwas anderem zu tun. Du kannst ja ganz gut sagen, das ist meine Identität, deswegen mindere ich keine Sekunde eine andere Identität. Was mir mehr auf den Sack geht, ist die Verleugnung des Schweizerischen. Das ist für mich noch Schweizerischer als Schweizerisch zu sein.

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