Schöner wär's

In seiner ersten Kolumne setzt sich Tobias Rentsch, Pfarrer an der Markuskirche in Bern, an den Abendmahlstisch. Und zeigt ihn uns als Ort, an dem die Vision einer gerechten Welt gefeiert wird.

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Denkutensilien von Pfarrer Rentsch. (Bild: Silja Elsener)

«Wow, dieser Tisch ist ein echtes Schmuckstück!», sagte der Besucher in der Kirche, in der ich arbeite. Er blieb vor dem grossen Abendmahlstisch stehen, der sich neben der Kanzel befindet. «Daraus könnte man etwas machen. Ich hätte einige Ideen, wie man diesen Tisch inszenieren könnte: VIP-Einladungen, Veranstaltungen, eine gute Bühne für besondere Gäste.» Seine Augen glänzten.

Doch Enttäuschung erfüllte sein Gesicht, als ich sagte:

«An dem Tisch passiert doch schon ganz viel.»

«Was denn?»

«Wir feiern Abendmahl.»

Mein Gast zuckte mit den Schultern. «Das haut aber niemanden aus den Socken.»

Das stimmt, dachte ich. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Von aussen gesehen beeindruckt das niemanden. Denn wer in der Kirche das Abendmahl feiert, tut das still, mit einfachen Mitteln. Brot. Wein. Keine Showeffekte. Kein Spektakel.

Und vor allem: Keine reservierten Plätze für besondere Personen. Wer sich hier versammelt, ist nicht Gastgeber*in – sondern Gästin. Immer. Alle. Egal, ob mit weissem Kragen und Talar oder in schlichten Alltagskleidern. An diesem Tisch gibt es keine Rangordnung. Keine VIPs. Keine erste Reihe und keine letzte.

Genau das macht es aus, dass dieser Tisch alles andere als gewöhnlich ist. Die Hierarchie fällt in sich zusammen. An diesem Tisch sind alle gleich. Nicht im Sinne einer Floskel, sondern als gelebte Praxis.

«An diesem Tisch sind alle gleich?», fragte mein Besucher, als ich meine Gedanken mit ihm geteilt hatte: «Das wäre ja noch schöner.»

Genau das ist der Punkt. Schöner wär's.

Im Abendmahl lebt die Vision einer gerechten Welt. Wer hier feiert, tut das nicht blind für die Ungerechtigkeit, sondern gerade im Bewusstsein, dass es diesen Tisch als Gegenvision braucht. Denn es gibt viele Tische, an die Menschen nicht eingeladen sind. Es gibt Tische, an denen viele Stimmen nicht gehört werden. Und die Stimmen, die gehört werden, sind immer dieselben.

Der Abendmahlstisch widerspricht dem – nicht durch Ausgrenzung, sondern durch Offenheit. Nicht damit, dass hier VIP-Tickets verteilt werden, sondern als Erinnerung daran, dass es auch anders sein kann. Die sogenannten VIPs sind auch eingeladen, sie sind hier einfach keine VIPs. Es ist ein Ort, an dem nicht der Status massgeblich ist, sondern allein die Einladung zählt.

Und wer lädt dazu ein?

Tobias Rentsch
Markuskirche
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© Danielle Liniger
Der Autor

Tobias Rentsch ist Theologe und Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Bern-Nord und arbeitet hauptsächlich in der Markuskirche. Die Markuskirche wird derzeit unter dem Namen Bimbam Bern unkonventionell zwischengenutzt. In dieser Kolumne für die «Hauptstadt» verbindet Rentsch, der einst eine Lehre als Chemielaborant machte, Alltagsbetrachtungen mit seinem theologischen Background.

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Diskussion

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Maja Balmer
09. Juli 2025 um 06:28

Herrlich - ein Tisch für alle! Sehr sehr schön! Ich freue mich darüber, auch wenn ich vor vielen vielen Jahren das letzte Mal bei einem Abendmahl dabei war.

Danke Tobias Rentsch für dieses Sinnbild, und die gelebte Realität davon in ihrer Kirche!