Ratlos im Museum
Die hitzigen Debatten um Tracey Roses Ausstellung führen unsere Autorin ins Berner Kunstmuseum. Inmitten der sperrigen Werke erkennt sie: Über Politik lässt sich leichter streiten als über Kunst.
Es war das Plakat, das mich im März in die Ausstellung gelockt hat. Darauf reitet eine halbnackte Figur mit einem Pappmaché-Phallus auf dem Kopf auf einem Esel durch moosbewachsene Hügel. Das Bild konkurriert mit den riesigen, pinkfarbenen Grossbuchstaben – TRACEY ROSE – um die Aufmerksamkeit der Betrachter*innen. Üppig, süss und saftig, wie eine reife Feige, male ich mir die Ausstellung «Shooting Down Babylon» im Berner Kunstmuseum aus.
Was ich erlebe, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Ratlosigkeit.
Ausser einer kurzen Biografie der Künstlerin stehen keine erklärenden Texte neben den Werken. Wer sich vertiefen möchte, muss den Ausstellungskatalog lesen oder sich am Empfang mit einem Digital Guide ausrüsten. Darauf habe ich keine Lust und lasse einzig die Fotografien, Video-Installationen, Zeichnungen und Skulpturen auf mich wirken.
So mache ich es meistens, wenn ich Museen besuche. Denn ich habe keine künstlerische Ausbildung absolviert. Fachwissen, das mir allenfalls Deutungshinweise liefern könnte, fehlt mir. Bisher hat sich mein Gefühl-über-Verstand-Vorgehen bewährt. Bei Tracey Rose erreicht es seine Grenze. Ich weiss nicht, was ich mit den Werken anfangen soll. Sie berühren mich nicht einmal, da entsteht keine Resonanz.
Bevor ich das Museum verlasse, schleiche ich im Shop um das Plakat herum. Weil sich aber seine Verheissung nicht erfüllt hat, kaufe ich es nicht. Die Spuren der Ausstellung in meinem Kopf verwischen rasch.
Tracey Rose beleidigt das Kunstmuseumsteam
Mitte Juni, rund drei Monate nach meinem Museumsbesuch, tauchen die Konturen der Ausstellung wieder auf. Künstlerin Tracey Rose wirft dem Kunstmuseum Zensur vor, weil es ihr geraten hat, eine Arbeit von 2012 mit dem Satz «Stop Muslim Holocaust» nicht auszustellen. Im gleichen Social-Media-Post wirft sie der Museumsleitung vor, angeblich nicht eingeladen worden zu sein zu einem Talk über Kunstfreiheit. Die Sprache beleidigt: Als «Parasiten» bezeichnet Rose das Museumsteam – «ihr widert mich an.»
Museumsdirektorin Nina Zimmer erklärt in den Medien, dass Rose eingeladen worden sei, aber kein Interesse geäussert habe, teilzunehmen. Weiter zeigt sie sich «enttäuscht und getroffen von den schweren Vorwürfen.»
Bereits rund um die Eröffnung der Ausstellung übertönten die Beiträge über ihren politischen Hintergrund jene über ihren künstlerischen Inhalt. Tracey Rose hat 2021 einen offenen Brief unterschrieben, der Israel als Kolonialmacht und Apartheidstaat bezeichnet. Ob Rose antisemitische Positionen vertritt, steht zur Debatte. Das Kunstmuseum publiziert vor der Eröffnung ein Statement, in dem es für Dialog und Frieden eintritt und schreibt, dass Rose an das Existenzrechts des Staates Israel und des Staates Palästina glaubt.
Die Museumsführung
In meinem Kopf passt das nicht zusammen: Da die öffentliche Debatte, hitzig und hässig, dort die Ausstellung, die mich kalt gelassen hat. Zeit für einen erneuten Museumsbesuch. Dieses Mal mit Unterstützung. Ich schliesse mich einer öffentlichen Führung an.
Mit drei weiteren Besucherinnen laufe ich an einem Dienstagabend im Juni einem Kunstvermittler hinterher. Vor einigen Werken bleiben wir stehen, er erzählt etwas zur Entstehungsgeschichte und schlägt Deutungsmöglichkeiten vor.
Über die Bildschirme von aufgetürmten TV-Geräten mit Satellitenarmen flimmern Bilder von Gummistiefeln im Sand und Nahaufnahmen von Baumblättern. Diese Arbeit habe Tracey Rose während eines Ayahuasca-Trips geschaffen, erklärt der Kunstvermittler. Sie sei als Reaktion zu verstehen auf die Wahl von Donald Trump und der damit verbundenen Ohnmacht von Menschen, die nicht der weissen Oberschicht angehören.
Weiter geht es zu einer mit Wörtern vollgepackten Leinwand. Was darauf steht, lässt sich schwer entziffern, geschweige in eine logische Reihenfolge bringen. Es gehe um Alltagsrassismus und Erinnerungen an Familien, so der Kunstvermittler. Und ja, die Werke von Tracey Rose seien nicht «per se ästhetisch», ergänzt er.
Auf dem Weg vom einen Erklärungsstopp zum nächsten murmeln die andern Führungsteilnehmerinnen immer wieder, wie aufgeschmissen sie wären ohne kundige Begleitung.
Auch das wohl heikelste Objekt der Ausstellung gehört zur Führung: Bekleidet mit einem Leopardenslip spaziert Tracey Rose durch israelisches Militärgebiet in Westjordanland und uriniert an eine Wand. Dabei spielt sie auf einer E-Gitarre die israelische Nationalhymne, die wörtlich übersetzt «die Hoffnung» heisst. Der Kunstvermittler verweist auf das Statement des Museums und bietet unaufgeregte Interpretationsansätze an: Die Hoffnung, dass die Wand zwischen den Staaten eines Tages verschwindet; die Ähnlichkeit zum Auftritt von Jimi Hendrix am Woodstock Festival. Das Publikum bleibt still, niemand scheint an einer politischen Debatte interessiert.
Zurück zum Plakat
Nach einer Stunde ist die Führung zu Ende. Zwar weiss ich jetzt, dass die Ausstellungsobjekte wirklich nicht meinem Plakateindruck – süss und saftig! – entsprechen. Tracey Rose würde mich wohl auslachen, wüsste sie darum. Doch mein Unvermögen, die mediale Aufregung mit den künstlerischen Inhalten zu verbinden, besteht weiterhin.
Gerade weil die Objekte so schwer zugänglich sind, selbst mit fachkundiger Unterstützung, ist es wohl einfacher, über die politische Dimension der Ausstellung zu reden. Wohlgemerkt: Nicht über die politische Dimension von Kunstobjekten, sondern von Äusserungen der Künstlerin, die sich grösstenteils gerade nicht auf ihre Kunstwerke beziehen.
Ob sich die erhöhte Aufmerksamkeit in hohen Besucher*innenzahlen niederschlägt, bleibt offen. Denn weil die Diskussion losgelöst von den Werken läuft, braucht man sich, um mitreden zu können, die Ausstellung gar nicht anzuschauen.
Und wer Kunst sowieso allein zu Genuss- und Schmachtzwecken konsumiert, hängt sich am besten das Ausstellungsplakat an die Wand.
Die Ausstellung «Shooting Down Babylon» läuft noch bis am 11. August 2024 im Kunstmuseum Bern.