Tram, Traum, Trauma

Die sehnlichst erwartete Tramlinie nach Ostermundigen verzögert sich weiter. Hauptsächlich wegen Einsprachen von «alten, weissen, verbitterten Männern». Die Behörden verzichten darauf, einen Termin für den Baustart zu nennen.

Tram Ostermundigen
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© Danielle Liniger
Konfliktzone: Wenn dereinst das Tram Bern-Ostermundigen durch die Allee an der Viktoriastrasse fährt, müssen viele Bäume ersetzt werden. (Bild: Danielle Liniger)

Der Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) ist – anders als viele Exponent*innen seiner Partei – ein grosser Freund des öffentlichen Verkehrs. Praktisch täglich nutze er ihn. Wenn er im oft gut gefüllten 10er-Bus nach Ostermundigen unterwegs sei, werde er in letzter Zeit immer wieder spitz gefragt: Das Tram, kommt das überhaupt noch?

Diese Episode gab Neuhaus am Montag an einer Medienkonferenz von Kanton, Stadt Bern und Ostermundigen zum Tram Bern-Ostermundigen zum Besten. Er machte keinen Hehl daraus, dass er die Frage versteht. Die Stimmberechtigten der Gemeinde Ostermundigen (2016), der Stadt Bern (2017) und des Kantons (2018) haben hintereinander Baukredite für das Tram angenommen, das dereinst den Bernmobil-Bus 10 ersetzen soll. Insgesamt rechnete man mit Kosten von gut 260 Millionen Franken. Und die Rede war bei den Abstimmungen von einem Baubeginn 2022. 

Inzwischen läuft das Jahr 2025, und noch liegt nicht einmal die grundsätzliche Plangenehmigung des Bundesamts für Verkehr (BAV) vor. Diese soll, so Neuhaus, gegen Ende Jahr kommen. Jedoch rechnet er damit, dass hängige Einsprachen gegen diese Plangenehmigung ans Bundesverwaltungs- und danach sogar ans Bundesgericht weitergezogen werden. Das bedeutet: Weitere vier bis fünf Jahre Verzögerung, darauf folgen laut Neuhaus «vier, eher fünf Jahre» Bauzeit. Anders gesagt: Vor 2035 dürfte das Tram Bern-Ostermundigen kaum rollen, und selbst dann müsste es ab jetzt ziemlich gut laufen, wenn das realistisch bleiben soll.

Ostermundigen blüht

Macht es überhaupt Sinn, an dem Projekt festzuhalten, das nicht vom Fleck kommt? Christoph Neuhaus, der städtische Tiefbaudirektor Matthias Aebischer (SP) und Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten (parteilos) sprachen wie aus einem Mund: «Das Tram Bern-Ostermundigen ist zwingend.» Es sei ein «Pfeiler für die Zukunft». Trotz der monumentalen Verspätung komme es nicht in Frage, das Vorhaben fallen zu lassen.

Zwei Hauptgründe sprechen dafür: Mit Bussen könne die stark wachsende Nachfrage der ÖV-Nutzer*innen zwischen Ostermundigen und Bern nicht bewältigt werden. Der Bus-Takt lasse sich nicht weiter verdichten. Trams, in denen deutlich mehr Menschen Platz finden, können mit weniger Fahrten mehr Passagiere transportieren.

Wichtig ist das Tram auch aus einem zweiten Grund: Es ist ein Entwicklungstreiber, in diesem Fall für Ostermundigen. Laut Gemeindepräsident Thomas Iten rennen Investor*innen Ostermundigen buchstäblich die Bude ein, seit bekannt ist, dass die Gemeinde mit dem Tram besser erreichbar sein wird.

Parallel zum Tram bauen die SBB in Ostermundigen den Bahnhof um. Ostermundigen wird so zu einem attraktiven ÖV-Knotenpunkt. Das hilft der Gemeinde, aber auch der Stadt Bern: Der Bahnhof Bern wird aufgrund des angenommenen* Frequenzwachstums wohl schon wieder an seine Kapazitätsgrenzen stossen, wenn er dereinst fertig ausgebaut ist. Deshalb wollen die ÖV-Planer mit vier citynahen Knoten – neben Ostermundigen sind das Westside, Europaplatz und Wankdorf – das Zentrum entlasten.

So weit die Träume, die mit dem Tram verbunden sind.

Furioser Neuhaus

Vorderhand besteht das Problem allerdings darin, das Tram überhaupt auf die Schiene zu bringen. Obschon es nach den gewonnenen Volksabstimmungen grundsätzlich legitimiert ist, ergoss sich während des Plangenehmigungsverfahrens beim BAV eine Flut von über 260 Einsprachen über das Projekt. In Verhandlungen wurden viele bereinigt. Gemäss Thomas Iten gibt es aber 30 bis 40 Einsprechende, die hartnäckig an ihrem Widerstand festhalten (und diesen vermutlich an die nächsten Instanzen weiterziehen werden).

Christoph Neuhaus, der zu den Wahlen im nächsten Frühjahr nicht mehr antritt, bekannte freimütig, jetzt gerade den Ratschlag seines Kommunikationsberaters zu Zurückhaltung in den Wind zu schlagen. Und der Regierungspräsident begann, vor den Medien heftig gegen die Gilde der unerbittlichen Einsprechenden vom Leder zu ziehen, die «aus dem Rechtsstaat einen Rechtsmittelstaat» machten. Die dritte Berner Amtssprache, kalauerte Neuhaus in seinem Furor, «ist die Einsprache».

Ausgereizt werde das Rechtsmittel vorwiegend von «alten, weissen, verbitterten Männern», meinte Neuhaus, und er hoffe, nach seinem Rückzug aus dem Regierungsrat nicht auch so zu enden: «Sonst warnt mich rechtzeitig», bat er selbstironisch, nächstes Jahr werde er ja auch schon 60 Jahre alt. Thomas Iten ergänzte, bei einzelnen Einsprecher*innen gehe es auch darum, vor einem allfälligen Einlenken finanziell möglichst viel für sich herauszuholen.

Bäume im Fokus

Inhaltlich richtet sich der Widerstand gegen das Tram hauptsächlich gegen das Fällen von Alleebäumen entlang der Viktoria- und der Ostermundigenstrasse. Der Stadtberner Tiefbaudirektor Matthias Aebischer versuchte Gegensteuer zu geben. Er zeigte auf, wieviel Aufmerksamkeit man beim Bau des Trams den Bäumen widme. Zwar würden wie geplant knapp 300 bestehende Alleebäume gefällt. Gleichzeitig werde man aber so viele neue anpflanzen, dass am Ende auf dem Perimeter des Trams Bern-Ostermundigen 70 Bäume mehr stehen als heute, insgesamt deren 625.

Matthias Aebischer fotografiert am Freitag, 28. Maerz 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Einsatz für Velos, Fussgänger*innen – und Alleebäume: Matthias Aebischer. (Bild: Manuel Lopez (Archiv))

Zudem, so Aebischer, werde die Stadt dafür sorgen, dass alle Alleebäume entlang der Linie – auch diejenigen die stehen bleiben – im Boden in grossen Wannen gesetzt werden. «Die Wurzeln aller Bäume erhalten dadurch mehr Platz», so Aebischer. Bedeutet: Die Bäume könnten grösser und stärker werden als das bis jetzt möglich sei. Abgesehen davon, ergänzte Aebischer, bringe der Bau der Tramlinie zahlreiche Verbesserungen für Velofahrende und Fussgänger*innen.

Tram wird teurer

Ob das den Widerstand gegen das Tram Bern-Ostermundigen bricht? Das darf bezweifelt werden.

Zumal weiter hinten am Horizont sich schon die nächsten Schwierigkeiten abzeichnen. Die Verzögerung bei der Realisierung und das allfällige Entgegenkommen gegenüber Einsprechenden wird für die öffentliche Hand ins Geld gehen. Das Tram wird teurer als die bis jetzt vorgesehenen 260 Millionen Franken. Das steht gemäss Christoph Neuhaus ausser Zweifel. Es wäre aber unseriös, sagte der Regierungsrat, wenn man angesichts der zahlreichen Unsicherheiten einen Betrag nennen würde, der einem dann in ein paar Jahren um die Ohren geschlagen würde.

Ebenfalls einer Lösung harrt die Frage, wie durch die Berner Innenstadt eine zweite Tramachse realisiert werden könnte. Sie braucht es aufgrund des zusätzlichen Verkehrs, aber auch, um eine Alternativroute bei Betriebsunterbrüchen nutzen zu können. Vor zwei Monaten wurde klar: Die von der Stadtregierung favorisierte Idee, eine neue Tramachse durch die Bundesgasse zu legen, ist vom Tisch. Der Bund hat sein Veto eingelegt. Nun werden in einer Expertise zwei Optionen (noch einmal) geprüft, von denen man schon heute weiss, dass sie suboptimal sind: Via Bollwerk entweder über die Lorrainebrücke zum Vikoriaplatz oder durch die Speichergasse auf die Kornhausbrücke.

Der Traum vom Tram Bern-Ostermundigen ist derzeit – was die Planungen betrifft – ziemlich nahe am Trauma. 

* In der ursprünglichen Version des Texts fehlte das Wort angenommenen. Das Frequenzwachstum ist eine Prognose. Ob und wie stark die Frequenz im Bahnhof Bern wirklich wachsen wird, ist offen.

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Diskussion

Unsere Etikette
Arpad Boa
02. Juli 2025 um 20:54

Es ist zum Staunen:

Köniz erhält bei vergleichbaren Fahrgastzahlen wie in Ostermundigen einen komfortablen, neuen und funktionierenden Doppelgelenkbusbetrieb. Ostermundigen dagegen soll wegen zwei inkompetenten Politikern ein weiteres Jahrzehnt auf eine Kapazitätssteigerung warten? TBO ist in all den Planungsjahren gegenüber der schnell und klimaschonend umsetzbaren Alternative Elekto-Doppelgelenkbus hoffnungslos ins Hintertreffen geraten und mittlerweile nicht mehr konkurenzfähig. Das können ein agressiver Neuhaus und ein Investorenmärchen erzählender Iten auch nicht mehr ändern. Die betoffenen ÖV-NutzerInnen und wir SteuerzahlerInnen sollten Doppelgelenkbusse fordern. BERNMOBIL hat in Köniz bewiesen, dass es liefern kann, nicht nur lavere, wie Iten und Neuhaus.

Thomas Bollinger
01. Juli 2025 um 15:20

Mein Arbeitsweg ist Liebefeld Ostermundigen. Ich nehme täglich den Bus und sehe die Notwendigkeit für ein Tram nicht wirklich. Erstens ist der Status Quo m.E. absolut genügend, zweitens gäbe es ja noch die S-Bahn (die ich nehmen würde, wenn dieser grässliche Bern-Bahnhof nicht so versifft und weitläufig wäre) und drittens braucht nicht die Stadt Bern dieses Tram, sondern das separatistische Ostermundigen.

Wenn die beiden Bahnhöfe Bern und Ostermundigen mal fertig sind, wer weiss, ob dann noch jemand ein Tram zwischendrin braucht.

Anton Koller
01. Juli 2025 um 11:20

Bordeaux im Jahr 1997: Die Stadtregierung unter Stadtpräsident Juppé beschliesst, Bordeaux brauche ein Tram. Sechs Jahre später, 2003, waren drei Linien gebaut und in Betrieb: Es war eine enorme Aufwertung der Stadt, die heute vor Schönheit strahlt. Manchmal wünscht man sich nach Frankreich ...

Thomas Schneeberger
01. Juli 2025 um 10:03

(3/3)

Noch zu den bedrohten 1km Alleebäumen: das ist zwar kein Thema und kein Einsprachepunkt der Velofahrenden. Aber auch hierfür gäbe es Lösungen. Verkehrsmanagement sei gleich effizient wie Tram-Eigentrassee, sagte der Bernmobildirektor an einem Informationsanlass. Die Fällung von 285 teils grosskronigen, ökologisch und gestalterisch sehr wertvollen Bäumen mit 70 zusätzlichen Jungbäumchen aufzuwiegen, scheint ziemlich unbeholfen.

Man stelle sich vor: Die Strasse mit der geschützten Ostermundigen-Allee würde neben dem Schosshaldenfriedhof fast 10 Meter breiter als heute. Ein Kronendach ist nicht mehr möglich.

Die Fachstelle für Historische Verkehrswege im Astra schreibt, dies führe zur "praktisch vollständigen Zerstörung des Historischen Verkehrwegs". Vermutlich müssen wegen der Unflexibilität der Behörden hier tatsächlich Gerichte das letzte Wort sprechen.

Thomas Schneeberger
01. Juli 2025 um 10:02

(2/3)

Aus diffuser Angst vor wesentlichen Projektänderungen haben sich die Planungs-Verantwortlichen lange grundsätzlich andern Ansätzen verweigert. Schliesslich war es das Bundesamt für Verkehr selbst, welches im Februar 2021 eine komplette Neu-Auflage des Rumpfprojekts des damaligen "Tram Region Bern" vorschrieb.

7 Jahre dieser 12 Jahre verschuldet also das Projekt selbst und nicht irgendwelche Einsprecher:

2 Jahre zwischen Ablehnung 2014 und abgespeckter Wiederbelebung 2016 (ohne Rüti, ohne Köniz, ohne Eigerplatz); plus die 5 Jahre zwischen erster Annahme 2016 und Neuauflage 2021.

Deshalb ist diese Schelte eines Regierungsmitglieds völlig deplaziert. Genausogut könnte man den Behörden grenzenlose Sturheit vorwerfen, die sich jeglicher Alternative verschlossen haben, obwohl die veralteten Prognosen teils falsch sind und bessere Lösungen auf der Hand liegen.

Wenn man die 9 Jahre seit 2016 nicht verschlafen hätte, würden die kommenden Mehrkosten auch einen Gewinn bringen.

Thomas Schneeberger
01. Juli 2025 um 09:52

Thomas Schneeberger schreibt hier als ProVeloBern-Funktionär, der dieses Projekt länger begleitet als jeder der hier genannten Politiker.

(1/3)

Ich bin gelinde gesagt erstaunt über die teils unbeholfenen und respektlosen Äusserungen von SVP-Regierungsrat Neuhaus zu den Einsprechern (auch via Regionaljournal, Telebärn & Tamedia-Blätter).

Auch Matthias Aebischer wäre besser beraten gewesen, zuerst bei ProVelo Bern nachzufragen, wie es aktuell um das Projekt steht.

Klar gab es aufgrund der Einsprachen diverse Verbesserungen, vor allem in Bern.

Aber noch immer sind da etliche Orte, wo bisher keine Lösung angeboten wurde, und eine starke Verschlechterung für den Veloverkehr resultierte, wenn es so gebaut würde. «Das wird man alles lösen können.», wird Matthias Aebischer bei Tamedia. Dann wäre es aber höchste Zeit. Denn diese Rügen hat ProVeloBern 2013 (vor 12 Jahren) bei der Erstauflage vorgebracht. Und gerade die Gemeinde Ostermundigen hätte noch viel zu tun.