Tram, Traum, Trauma
Die sehnlichst erwartete Tramlinie nach Ostermundigen verzögert sich weiter. Hauptsächlich wegen Einsprachen von «alten, weissen, verbitterten Männern». Die Behörden verzichten darauf, einen Termin für den Baustart zu nennen.
Der Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) ist – anders als viele Exponent*innen seiner Partei – ein grosser Freund des öffentlichen Verkehrs. Praktisch täglich nutze er ihn. Wenn er im oft gut gefüllten 10er-Bus nach Ostermundigen unterwegs sei, werde er in letzter Zeit immer wieder spitz gefragt: Das Tram, kommt das überhaupt noch?
Diese Episode gab Neuhaus am Montag an einer Medienkonferenz von Kanton, Stadt Bern und Ostermundigen zum Tram Bern-Ostermundigen zum Besten. Er machte keinen Hehl daraus, dass er die Frage versteht. Die Stimmberechtigten der Gemeinde Ostermundigen (2016), der Stadt Bern (2017) und des Kantons (2018) haben hintereinander Baukredite für das Tram angenommen, das dereinst den Bernmobil-Bus 10 ersetzen soll. Insgesamt rechnete man mit Kosten von gut 260 Millionen Franken. Und die Rede war bei den Abstimmungen von einem Baubeginn 2022.
Inzwischen läuft das Jahr 2025, und noch liegt nicht einmal die grundsätzliche Plangenehmigung des Bundesamts für Verkehr (BAV) vor. Diese soll, so Neuhaus, gegen Ende Jahr kommen. Jedoch rechnet er damit, dass hängige Einsprachen gegen diese Plangenehmigung ans Bundesverwaltungs- und danach sogar ans Bundesgericht weitergezogen werden. Das bedeutet: Weitere vier bis fünf Jahre Verzögerung, darauf folgen laut Neuhaus «vier, eher fünf Jahre» Bauzeit. Anders gesagt: Vor 2035 dürfte das Tram Bern-Ostermundigen kaum rollen, und selbst dann müsste es ab jetzt ziemlich gut laufen, wenn das realistisch bleiben soll.
Ostermundigen blüht
Macht es überhaupt Sinn, an dem Projekt festzuhalten, das nicht vom Fleck kommt? Christoph Neuhaus, der städtische Tiefbaudirektor Matthias Aebischer (SP) und Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten (parteilos) sprachen wie aus einem Mund: «Das Tram Bern-Ostermundigen ist zwingend.» Es sei ein «Pfeiler für die Zukunft». Trotz der monumentalen Verspätung komme es nicht in Frage, das Vorhaben fallen zu lassen.
Zwei Hauptgründe sprechen dafür: Mit Bussen könne die stark wachsende Nachfrage der ÖV-Nutzer*innen zwischen Ostermundigen und Bern nicht bewältigt werden. Der Bus-Takt lasse sich nicht weiter verdichten. Trams, in denen deutlich mehr Menschen Platz finden, können mit weniger Fahrten mehr Passagiere transportieren.
Wichtig ist das Tram auch aus einem zweiten Grund: Es ist ein Entwicklungstreiber, in diesem Fall für Ostermundigen. Laut Gemeindepräsident Thomas Iten rennen Investor*innen Ostermundigen buchstäblich die Bude ein, seit bekannt ist, dass die Gemeinde mit dem Tram besser erreichbar sein wird.
Parallel zum Tram bauen die SBB in Ostermundigen den Bahnhof um. Ostermundigen wird so zu einem attraktiven ÖV-Knotenpunkt. Das hilft der Gemeinde, aber auch der Stadt Bern: Der Bahnhof Bern wird aufgrund des angenommenen* Frequenzwachstums wohl schon wieder an seine Kapazitätsgrenzen stossen, wenn er dereinst fertig ausgebaut ist. Deshalb wollen die ÖV-Planer mit vier citynahen Knoten – neben Ostermundigen sind das Westside, Europaplatz und Wankdorf – das Zentrum entlasten.
So weit die Träume, die mit dem Tram verbunden sind.
Furioser Neuhaus
Vorderhand besteht das Problem allerdings darin, das Tram überhaupt auf die Schiene zu bringen. Obschon es nach den gewonnenen Volksabstimmungen grundsätzlich legitimiert ist, ergoss sich während des Plangenehmigungsverfahrens beim BAV eine Flut von über 260 Einsprachen über das Projekt. In Verhandlungen wurden viele bereinigt. Gemäss Thomas Iten gibt es aber 30 bis 40 Einsprechende, die hartnäckig an ihrem Widerstand festhalten (und diesen vermutlich an die nächsten Instanzen weiterziehen werden).
Christoph Neuhaus, der zu den Wahlen im nächsten Frühjahr nicht mehr antritt, bekannte freimütig, jetzt gerade den Ratschlag seines Kommunikationsberaters zu Zurückhaltung in den Wind zu schlagen. Und der Regierungspräsident begann, vor den Medien heftig gegen die Gilde der unerbittlichen Einsprechenden vom Leder zu ziehen, die «aus dem Rechtsstaat einen Rechtsmittelstaat» machten. Die dritte Berner Amtssprache, kalauerte Neuhaus in seinem Furor, «ist die Einsprache».
Ausgereizt werde das Rechtsmittel vorwiegend von «alten, weissen, verbitterten Männern», meinte Neuhaus, und er hoffe, nach seinem Rückzug aus dem Regierungsrat nicht auch so zu enden: «Sonst warnt mich rechtzeitig», bat er selbstironisch, nächstes Jahr werde er ja auch schon 60 Jahre alt. Thomas Iten ergänzte, bei einzelnen Einsprecher*innen gehe es auch darum, vor einem allfälligen Einlenken finanziell möglichst viel für sich herauszuholen.
Bäume im Fokus
Inhaltlich richtet sich der Widerstand gegen das Tram hauptsächlich gegen das Fällen von Alleebäumen entlang der Viktoria- und der Ostermundigenstrasse. Der Stadtberner Tiefbaudirektor Matthias Aebischer versuchte Gegensteuer zu geben. Er zeigte auf, wieviel Aufmerksamkeit man beim Bau des Trams den Bäumen widme. Zwar würden wie geplant knapp 300 bestehende Alleebäume gefällt. Gleichzeitig werde man aber so viele neue anpflanzen, dass am Ende auf dem Perimeter des Trams Bern-Ostermundigen 70 Bäume mehr stehen als heute, insgesamt deren 625.
Zudem, so Aebischer, werde die Stadt dafür sorgen, dass alle Alleebäume entlang der Linie – auch diejenigen die stehen bleiben – im Boden in grossen Wannen gesetzt werden. «Die Wurzeln aller Bäume erhalten dadurch mehr Platz», so Aebischer. Bedeutet: Die Bäume könnten grösser und stärker werden als das bis jetzt möglich sei. Abgesehen davon, ergänzte Aebischer, bringe der Bau der Tramlinie zahlreiche Verbesserungen für Velofahrende und Fussgänger*innen.
Tram wird teurer
Ob das den Widerstand gegen das Tram Bern-Ostermundigen bricht? Das darf bezweifelt werden.
Zumal weiter hinten am Horizont sich schon die nächsten Schwierigkeiten abzeichnen. Die Verzögerung bei der Realisierung und das allfällige Entgegenkommen gegenüber Einsprechenden wird für die öffentliche Hand ins Geld gehen. Das Tram wird teurer als die bis jetzt vorgesehenen 260 Millionen Franken. Das steht gemäss Christoph Neuhaus ausser Zweifel. Es wäre aber unseriös, sagte der Regierungsrat, wenn man angesichts der zahlreichen Unsicherheiten einen Betrag nennen würde, der einem dann in ein paar Jahren um die Ohren geschlagen würde.
Ebenfalls einer Lösung harrt die Frage, wie durch die Berner Innenstadt eine zweite Tramachse realisiert werden könnte. Sie braucht es aufgrund des zusätzlichen Verkehrs, aber auch, um eine Alternativroute bei Betriebsunterbrüchen nutzen zu können. Vor zwei Monaten wurde klar: Die von der Stadtregierung favorisierte Idee, eine neue Tramachse durch die Bundesgasse zu legen, ist vom Tisch. Der Bund hat sein Veto eingelegt. Nun werden in einer Expertise zwei Optionen (noch einmal) geprüft, von denen man schon heute weiss, dass sie suboptimal sind: Via Bollwerk entweder über die Lorrainebrücke zum Vikoriaplatz oder durch die Speichergasse auf die Kornhausbrücke.
Der Traum vom Tram Bern-Ostermundigen ist derzeit – was die Planungen betrifft – ziemlich nahe am Trauma.
* In der ursprünglichen Version des Texts fehlte das Wort angenommenen. Das Frequenzwachstum ist eine Prognose. Ob und wie stark die Frequenz im Bahnhof Bern wirklich wachsen wird, ist offen.