Bubenberg im Tram-Stau

Die Bundesgasse sollte als zweite Tramachse durch die Berner Innenstadt dienen. Nun ist klar, dass dies nicht in Frage kommt. Wie die Stadt Bern den wachsenden Tramverkehr um den Bahnhof schlucken will, bleibt unklar.

Symbolbild zum Point de Presse Zielbild Stadtraum Bahnhof fotografiert am Dienstag, 27. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Droht, eine überlastete Verkehrswüste zu bleiben: Bubenbergplatz. (Bild: Simon Boschi, Archiv)

Die Stadt Bern hat ein grosses Kapazitätsproblem mit dem öffentlichen Nahverkehr: Immer mehr Menschen steigen am Bahnhof Bern in Tram oder Bus um. Aktuell tun das jeden Tag 200’000 Personen – deutlich mehr, als die Stadt Einwohner*innen hat. Um diese Nachfrage zu bewältigen, wird der öffentliche Nahverkehr kontinuierlich erweitert. Der nächste grosse Ausbauschritt ist die neue Tramlinie Bern-Ostermundigen. Sie wurde 2018 vom Volk gutgeheissen, fertiggestellt wird sie nach neuester Terminplanung aber allerfrühestens 2031.

Die Innenstadt-Tramachse – vom Kornhaus durch die Hauptgassen über den Bubenbergplatz bis zum Hirschengraben – stösst schon lange an ihre Belastungsgrenze. 44 Trams rollen pro Stunde durch diesen Schlauch und produzieren die legendäre «Tramwand». Damit sind in schnellem Takt hintereinander fahrende Trams gemeint, die ein Überqueren der Gasse schwierig machen.

Eine neue, zusätzliche Linie wäre auf diesem Gleisstrang untragbar. Deshalb reden die zuständigen Behörden – Kanton, Stadt und Regionalkonferenz – seit Jahren von einer zweiten Tramachse.

Nach einem längeren Evaluationsprozess waren drei Varianten im Gespräch. 2024 erkor die Berner Stadtregierung eine klare Favoritin: eine zusätzliche Tramlinie vom Hirschengraben durch die Bundesgasse, vorbei an Bundeshaus und Bellevue durch die Kochergasse hinunter zum Casinoplatz (siehe Karte).

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Überblick über verworfene und zu prüfende Tramachsen durch die Berner Innenstadt. (Bild: zvg)

Der Gemeinderat widersprach mit seiner Präferenz zwar einerseits dem ÖV-Anbieter Bernmobil, der eine Tochtergesellschaft der Stadt ist. Andererseits stützte sich die Regierung bei ihrer Haltung auf die Mehrheit der Mitwirkungsberichte, die zahlreiche Parteien, Interessenvertreter*innen und Fachgremien zur Tramachsen-Frage abgegeben hatten.

Der Gemeinderat verband mit der zweiten Tramachse durch die Bundesgasse ausserdem eine verheissungsvolle Vision für den Bubenbergplatz. Weil dieser vom Tramverkehr teilweise entlastet würde, soll dort dereinst eine urbane «breite Mitte» entstehen – eine alleegesäumte Flanierstrasse, klima- und menschenfreundlich, eine städtebauliche Visitenkarte für Bern.

Seit Mittwoch ist klar, dass man diese Vision, an der Stadtplaner*innen schon intensiv gearbeitet haben, getrost entsorgen kann. 

Bund fürchtet um Sicherheit

Die in der Tram-Frage federführende Verkehrskommission der Regionalkonferenz Bern-Mittelland (RKBM) teilt in einem Communiqué mit, dass die Linienführung durch die Bundesgasse verworfen wird. Darauf hätten sich Stadt, Kanton und Regionalkonferenz verständigt. Ein wichtiger Grund für den Entscheid, auf eine Tramlinie vor dem Bundeshaus zu verzichten, sei der beharrliche Widerstand der Bundesverwaltung.

Das zuständige Bundesamt für Bauten und Logistik hält auf Anfrage der «Hauptstadt» fest, die Verwaltung habe ihre Ablehnung einer Tramtrasse durch die Bundesgasse im Januar 2025 «erneut bekräftigt». Hervorgehoben werden «Gründe der Sicherheit und der Aufrechterhaltung des politischen Betriebs». Parlamentsmitglieder oder «völkerrechtlich geschützte Personen», die zu Besuch und auf der Bundesmeile oft zu Fuss unterwegs sind, wären durch ein Tram «zusätzlichen Risiken» ausgesetzt. Beispielsweise könnte das rasche Wegfahren von Schutzpersonal im falschen Moment behindert werden.

Zudem soll die Verwaltung die Befürchtung haben, das Tram könnte zu Erschütterungen im Ständeratssaal führen. Und offenbar hat die Nationalbank Bedenken, eine Tramlinie würde die sichere Abwicklung der Geldtransporte erschweren.

Der Bund macht die schriftliche Begründung zur Ablehnung der Variante Bundesgasse, die er Stadt, Kanton und Regionalkonferenz abgegeben hat, bis jetzt nicht öffentlich. Die Steuerzahler*innen dürfen also nicht genau wissen, mit welchen Argumenten die verschiedenen staatlichen, steuerfinanzierten Ebenen operieren.

Für die Berner Stadtregierung ist der Wegfall der Tram-Option durch die Bundesgasse ein Debakel. Der neu für das Dossier zuständige Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) bedauert, «dass von dieser Variante leider abgesehen werden muss». Man könnte auch sagen: Die Regierung hat – noch vor Aebischers Wahl –  auf eine nicht realisierbare Variante gesetzt. Denn die Opposition des Bundes gegen die Linie durch die Bundesgasse war seit Jahren bekannt.

Nur noch schlechte Varianten

Jetzt ist völlig offen, wie der zunehmende Tramverkehr durch die Innenstadt abgewickelt werden soll. Wenigstens für den Westen des Perimeters zwischen Kocherpark und Hirschengraben (siehe Karte) treiben die Behörden nun eine Teillösung voran. Eine zusätzliche Tramlinie über Belpstrasse-Laupenstrasse soll den Engpass Hirschengraben entlasten. Das Hauptproblem – die Überlastung Bubenbergplatz-Bahnhof-Innenstadt – bleibt bestehen.

Was tun?

Im Köcher verbleiben den Planer*innen noch zwei, allerdings ziemlich stumpfe Pfeile: Ein neues Tram könnte via Bollwerk-Lorrainebrücke-Viktoriarain zum Viktoriaplatz geführt werden. Oder via Bollwerk-Speichergasse-Kornhausbrücke zum Viktoriaplatz. Unter der Führung der Regionalkonferenz werden diese beiden Optionen nun vertieft geprüft. Bei grossen ÖV-Projekten geht es auch immer darum, dass sich Bern Millionenbeträge aus dem Agglo-Fördertopf des Bundes sichert.

Allerdings muss man kein*e Expert*in sein, um zu erkennen, dass die Hindernisse bei beiden übriggebliebenen Tram-Varianten riesig sind. Ein Tram, das sich zusätzlich in die mit Bus, Individualverkehr und Velos schon komplexe Verkehrssituation auf der Lorrainebrücke einfädelt? Oder eine Tramlösung, die mit der Warenanlieferung in der Speichergasse harmoniert? Ziemlich unvorstellbar. Kollidieren würde eine neue Tramachse auch mit dem Vorhaben der Stadt, das heute abweisende Bollwerk zu einem einladenden Boulevard aufzuwerten.

Das bedeutet konkret: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Stadt am Ende ohne realisierbare Lösung für eine zweite Tramachse durch die Innenstadt dasteht.

Alternativen ins Auge fassen?

Michael Ruefer, GFL-Stadtrat und Präsident der VCS-Sektion Bern-Mittelland, kritisiert im Gespräch mit der «Hauptstadt» heftig, dass «der Bund der Region und der Stadt eine Haltung diktiert, ohne sein Nein jemals öffentlich zu begründen». Das sei einer öffentlichen Mitwirkung unwürdig.

Auf der anderen Seite plädiert Ruefer für eine radikale Denkpause: «Man weiss, wie lange sich Verfahren für die Realisierung von Tramprojekten hinziehen können. Ehrlicherweise müsste man jetzt die Prüfung für eine zweite Tramachse sistieren», hält er fest. Und dafür noch einmal ernsthaft über Alternativen zur Entlastung der Innenstadt nachdenken – zum Beispiel über Shuttlebusse zwischen Zytglogge und Hirschengraben, über Zweirichtungstrams oder über eine Wendeschleife am Theaterplatz.

Was allerdings schon jetzt klar ist: Die Perspektiven für Adrian von Bubenberg sind schlecht. Die Vision der Stadt war es, die Statue des früheren Feldherrn vom Hirschengraben in den verkehrsbefreiten Streifen der «breiten Mitte» zu zügeln. Dort würde er auf friedlich flanierende Menschen blicken. Realistisch ist seit Mittwoch eher, dass sich vor Adrian von Bubenbergs Augen Trams stauen werden.

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Diskussion

Unsere Etikette
Andreas Stalder
05. Mai 2025 um 20:12

Wieso der unsäglich steile und kurvige Viktoriarain? Das ergibt nie ein attraktives modernes Stadttram, wie es andere Städte im nahen Ausland gebaut haben (Freiburg, Strassburg ...) und zerstört die (schmalen) historischen Alleen. Wieso nicht ein Wyler-Tram und von dort weiter via Schermen nach Ostermundigen?

Thomas Schneeberger
04. Mai 2025 um 21:54

Dieses Zwischenergebnis kann man gut als Desaster bezeichnen. Diese Fehlleistung reiht sich ein in die Galerie der verpassten Chancen im Grossraum Bahnhof Bern. Der Gipfel war noch der Eiertanz mit der über zweijährigen Hinhaltetaktik und der Pro-forma-Mitwirkung (ohne Wirkung!), wo offenbar alle Beteiligten seitens Behörden schon wussten, dass der Bund diese Variante zu Fall bringen will und wird.

Ebenso klar scheint nun, dass Bernmobil zufrieden wäre mit einem Gleisast via Laupen- und Belpstrasse. Somit kann man sofort aufhören, an den andern Varianten herumzudoktern. Denn die Varianten Nägeligasse oder Viktoriarain sind mit mind. gleich vielen technischen, gestalterischen, finanziellen und Bewilligungs-Risiken sowie Nutzungskonflikten behaftet wie angeblich die Bundesgasse. Die Ideen für Aufwertungsmassnahmen mit einem Richtplan "Stadtraum Bahnhof" wären absolut unvereinbar mit einem zweiten Gleispaar auf dem Bubenbergplatz und Gleisen und vor allem Haltestellen im Bollwerk.

Philipp Gisin
04. Mai 2025 um 18:02

Unglaublich, wie lange sich Projekt hinziehen in dieser Stadt und auch im ganzen Land. Tram hin oder her, es wird nie eine optimale Lösung geben, zumindest nicht oberirdisch. Also, am besten lässt man es ganz sein und unterbricht alle Tram- und Buslienien oberhalb und unterhalb der Altstadt und macht diese auch wieder lebenswerter. Mehr Platz für Fussgänger, Velo, Aussencafés etc. Zusätzlich dazu lernt die Bevölkerung auch wieder "laufen". Für die, die es nicht mehr können, kann man eine Lösung anbieten, es gibt genug Visionäre in der Region, wichtig ist dabei offen zu bleiben, was man laut diesem Artikel vom Bund nicht erwarten kann...unverständlich für mich, total!

Arpad Boa
01. Mai 2025 um 13:54

Der Bund ist ein blosser Anrainer an der Bundes- und Kochergasse. Er ist an der regionalen ÖV-Machbarkeitsstudie weder beteiligt noch berechtigt, ein Veto auszusprechen. Trotzdem hat das BBL massiven Druck auf die beauftragten Planer ausgeübt und innert zweier Monate zu Beginn der Studie durchgesetzt, dass die RKBM auf die Prüfung der Variante Bundes- und Kochergasse verzichtete und mit dem BBL ein Exitszenario aus der allseits favorisierten Variante besprach. Dies geschah bereits im Januar 2023. Seither wurde mehr als zwei Jahre lang in der Öffentlichkeit so getan, als prüfe man die Zweckmässigkeit der Tramachse weiter ergebnisoffen, was nicht der Fall war.

Angesichts der Wichtigkeit dieser 800 Meter Tramtrassee für den Berner ÖV und für die Entwicklung der fussgänger-, velo- und klimafreundlichen Stadträume zwischen Hirschengraben und Schützenmatte muss die ZMB gestoppt und das Verfahren neu aufgegleist werden. Diesmal aber transparent, unparteiisch und lösungsorientiert.

Thomas Bollinger
01. Mai 2025 um 09:13

Da habt ihr wirklich den Bock zum Gärtner gemacht in der letzten Stapi-Wahl. Gruss aus Köniz.

Markus Salm
01. Mai 2025 um 08:19

Das gibt ja dem Herrn Aebischer und seinen Mitarbeitern die Möglichkeit, sich von Abbauspezialisten von Parkplätzen zu Spezialisten der wirklichen Problemen zu entwickeln. Das wird dann halt etwas anspruchsvoller und mit Velo-Ideologie allein nicht zu lösen sein.