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Die 82-jährige Mutter erlebt den zweiten Krieg

Eigentlich wollte die Neue Helvetische Gesellschaft über die Schweiz in Europa diskutieren. Doch das wurde zur Nebensache, denn der ukrainische Botschaftssekretär brachte mit seinen Schilderungen die Auswirkungen des Kriegs in die Berner Schmiedstube.

Stadtpräsident Alec von Graffenried, der ukrainische Botschaftssekretär Andrii Biriuchenko und EU-Botschafter Petros Mavromichalis am Diskussionsabend der Neuen Helvetischen Gesellschaft in Bern, 8. März 2022
Eindringlicher Appell: Stadtpräsident Alec von Graffenried (l.) und EU-Botschafter Petros Mavromichalis (r.) hören dem ukrainischen Botschaftssekretär Andrii Biriuchenko zu. (Bild: Joël Widmer)

In Zeiten wie diesen wird auch eine trockene Diskussion eines traditionsreichen Vereins zu einem emotionalen Abend. Eigentlich wollte die Neue Helvetische Gesellschaft am Dienstagabend über die Schweiz in Europa diskutieren. Doch das wurde im gut gefüllten Saal zur Nebensache, denn der kurzfristig eingeladene ukrainische Botschaftssekretär Andrii Biriuchenko brachte mit seinen Schilderungen die Auswirkungen des Kriegs mitten in die Berner Schmiedstube.

«Für meine 82-jährige Mutter ist es der zweite Krieg.» Sie sehe keinen Unterschied zwischen den deutschen und den russischen Angreifern. Sie lebe im bombardierten Zhytomyr, sei noch die einzige im fünfstöckigen Haus. Alle anderen seien weg. «Sie sagte mir nur, sie wäre gerne zwanzig Jahre jünger, dann könnte sie ihre Heimat besser verteidigen.»

Biriuchenko plädierte in seiner Rede mit zurückhaltender Stimme, aber eindringlich vor falschen Hoffnungen bezüglich Putin. Sein Ziel sei, dass sich die Welt an «Grossrussland» gewöhne. Der Botschaftssekretär warnte auch vor der Gefahr der ukrainischen AKW, die nun in den Händen der Russen seien. Es brauche nun härteste Sanktionen und eine starke Koalition für den Frieden.

«Die Sanktionen haben einen Preis – für unseren Wohlstand. Aber der Frieden ist unbezahlbar»

Petros Mavromichalis, Botschafter der EU

Wie stark der Krieg in der Ukraine die Menschen in Westeuropa bewegt und angeht, zeigte der EU-Botschafter Petros Mavromichalis mit seinem Plädoyer für ein resolutes Handeln gegenüber Putin. «Die Sanktionen haben einen Preis – für unseren Wohlstand. Aber der Frieden ist unbezahlbar», sagte er etwa. Es sei ein neo-kolonialistischer Krieg. «Wir erleben heute das Gleiche wie 1939, als Hitler in Polen einmarschierte» Das Herz Europas sei heute in Mariupol.

Letztlich kann auch Mavromichali derzeit nur hoffen: «Früher oder später müssen die Leute in Russland aufstehen gegen den Diktator.»

Diplomaten könnten sichtlich auch mal sehr undiplomatisch sein, bemerkte Stadtpräsident Alec von Graffenried nach Mavromichalis’ emotionaler Rede.

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