Uni Bern löst Nahost-Institut auf

Eine Untersuchung am Institut für Studien zum Nahen Osten zeigt Polarisierung und Führungsfehler. Nun zieht die Uni Bern Konsequenzen. Die Leiterin bleibt im Amt, erhält aber eine Abmahnung.

Universitaet Bern Hauptgebaeude fotografiert am Donnerstag, 1. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Das Nahost-Institut der Uni Bern geriet nach gewaltverherrlichenden Posts eines Dozenten in Kritik. (Bild: Simon Boschi)

Das Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften der Universität Bern ist in den vergangenen Monaten in scharfe Kritik geraten.

Im Oktober 2023 setzte ein Dozent des Instituts nach den Terrorattacken der Hamas gegen Israel zwei Posts auf der Platttform X ab, die die Gewalt der extremistischen Hamas verherrlichen. Der Dozent war ausgerechnet der Lebenspartner der Professorin für Islamwissenschaften und Institutsleiterin Serena Tolino.

Das Institut geriet daraufhin unter grossen Druck. Die Universität Bern entliess den Dozenten fristlos und kündigte eine Administrativuntersuchung des Instituts an.

Die Untersuchung ist nun abgeschlossen. Am Donnerstag verkündete die Universität an einer Medienkonferenz die Resultate. Und die Massnahmen, die sie auf deren Grundlage trifft.

Polarisierung am Institut

In einem 25-seitigen Bericht legt der externe Professor, der die Untersuchung geleitet hat, die Ergebnisse dar. Der Bericht ist nicht öffentlich, die Uni Bern hat ihn aber Medienschaffenden zur Verfügung gestellt. 

Es sind gravierende Probleme, die sich in den letzten drei Jahren am Institut entwickelt haben: Polarisierung, Führungsfehler, mangelnde Grenzziehung zwischen Wissenschaft und politischem Engagement.

Es begann mit einem Generationenwechsel: Mit der Einstellung von Serena Tolino und der Assistenzprofessorin Nijmi Edres hat sich das Institut inhaltlich neu ausgerichtet. Beide Wissenschaftlerinnen vertreten postkoloniale Ansätze.

Postkolonialismus

Bei dieser wissenschaftlichen Strömung steht eine kritische Haltung gegenüber der Rolle von ehemaligen Kolonialmächten und eurozentrischen Sichtweisen im Vordergrund. Postkolonialismus ist oft näher an aktuellen politischen Diskursen als andere wissenschaftliche Ansätze. Jüngst wurden gegen den Ansatz häufiger Antisemitismus-Vorwürfe laut, weil er Israel zu generell als weisse, kolonialistische Besatzungsmacht begreife.

An der wissenschaftlichen Arbeit, die am Institut geleistet wurde, sei grundsätzlich nichts auszusetzen, ist im Bericht zu lesen. Diese sei international anerkannt und kompetitiv.

Am Institut sei aber eine starke Polarisierung entstanden. Sie habe zu einem «tiefen menschlichen Unbehagen» unter Mitarbeitenden geführt.

Tolino wird ein Führungsversagen vorgeworfen: Sie habe Personal aus dem eigenen Netzwerk rekrutiert, es habe Abhängigkeiten, Interessenskonflikte und einen übertrieben informellen Führungsstil gegeben. Eine Minderheit von Studierenden und Mitarbeitenden am Institut wirft der Leitung ideologische Intoleranz vor.

Das Institut sei inhaltlich zu homogen aufgestellt. Das ist auch der Universitätsleitung zuzuschreiben, die zwei Professorinnen mit sehr ähnlicher inhaltlicher Ausrichtung eingestellt hat. «Es wurde bei der Neuausrichtung zu wenig auf die wissenschaftliche Vielfalt geachtet», räumt Dekan Peter J. Schneemann ein.

Serena Tolino habe nicht genug Verständnis gezeigt für den Wissenstransfer in die Gesellschaft in einem «medial sehr exponierten Fach». Und: Die Professorin habe die wichtige Grenzziehung zwischen Wissenschaftsfreiheit und politischem Engagement «zuweilen ausgeblendet».

Das Institut wird aufgelöst, die Leiterin kann bleiben

Die Untersuchung macht deutlich: Das Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften ist inhaltlich einseitig. Eine breite Auseinandersetzung mit dem Forschungsfeld ist so nicht möglich – wäre aber sehr wichtig. 

Deshalb ergreift die Universitätsleitung drastische Massnahmen: Sie löst das Institut in seiner jetzigen Form auf.

Die philosophisch-historische Fakultät muss bis Ende Juni einen Bericht zur Neuausrichtung des Fachbereichs vorlegen, wie die Uni an der Medienkonferenz mitteilt. Ziel ist es, das Fach in einen grösseren Kontext einzubetten und etwa mit den Studiengängen Religionswissenschaft und Sozialanthropologie zu kombinieren.

Christian Leumann, Rektor der Universitaet Bern an der Medienkonferenz der Universitaet Bern zu den Vorgaengen rund um das Institut fuer Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften (ISNO), fotografiert am Dienstag, 17. Oktober 2023 in Bern. (Hauptstadt / Manuel Lopez)
Rektor Christian Leumann an der ersten Medienkonferenz im Oktober 2023. (Bild: Manuel Lopez)

Was bedeutet das für die Studierenden? «Sie können den Abschluss erwerben, für den sie sich eingeschrieben haben», sagt Peter J. Schneemann. Die Fortsetzung des Studienbetriebs sei gewährleistet. Es sei aber eine belastende und schwierige Zeit für Studierende und Mitarbeitende.

Serena Tolino kann in ihrer Position bleiben. Eine Entlassung wäre unverhältnismässig, erklärt Uni-Generalsekretär Christoph Pappa. An Tolinos wissenschaftlicher Arbeit sei nichts auszusetzen. Für die Führungsprobleme erhält sie jedoch eine Abmahnung. Bis zur Neuausrichtung wird das Institut ausserdem unter Aufsicht der Fakultätsleitung gestellt.

«Postkolonialismus ist nicht per se unwissenschaftlich»

Man möchte nicht grundsätzlich auf die Qualifikationen und Inhalte der Professorin verzichten, betont Rektor Christian Leumann. Aber man müsse sie in einen grösseren Kontext einbetten.

Das gilt auch für die postkolonialen Ansätze, die seit den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten öffentlich unter Druck geraten sind: «Postkolonialismus ist nicht per se unwissenschaftlich und mündet nicht automatisch in politischen Aktivismus», sagt Dekan Peter J. Schneemann. Es müsse aber ein selbstkritischer, wissenschaftlicher Diskurs darüber geführt werden. «Es geht darum, wie man mit der Frage nach Haltung in den Geisteswissenschaften umgeht», sagt er. «Aber nur noch konfliktlose Diskurse zuzulassen, wäre für die Uni fatal.»

Die jüngsten Ereignisse haben die Universität Bern – wie andere Universitäten weltweit – zur Reflexion über die Rolle der Wissenschaft gezwungen: «Die Uni muss vorsichtig sein in der Abgrenzung von Wissenschaftsfreiheit und politischer Haltung», sagt Rektor Christian Leumann.

Systematische Kontrollen an Instituten oder Gesinnungskontrollen von Mitarbeitenden seien für die Uni hingegen weiterhin ein Tabu: «Wir wollen keine Gesinnungspolizei sein», sagt Leumann. «Das würde dem Wesen einer offenen Universität widersprechen.»

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Diskussion

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Paul Acher
02. Februar 2024 um 19:18

Gemessen an anderen universitären Instituten klingen die Vorwürfe wenig gravierend. Abhängigkeitsverhältnisse sind leider der Normalfall an Universitäten, da könnte man ganze Fakultäten auflösen.

Offenbar geht es in der Hauptsache darum, dass beide Lehrstühle methodisch postkolonial ausgerichtet sind. Dies ist aber den jeweiligen Berufungskommissionen anzulasten und nicht dem Institut.