Ein Uni-Institut verliert an Glaubwürdigkeit

Die Professorin Serena Tolino positioniert sich als progressive Islamwissenschaftlerin. Dann setzt ihr Partner und Mitarbeiter der Universität Bern Posts ab, die Terrorattacken der Hamas gegen Israel verherrlichen.

Serena Tolino
Die Islamwissenschaftlerin Serena Tolino sprach diesen Sommer im Interview mit der «Hauptstadt» über ihre Forschung. Nun steht ihr Institut stark unter Druck. (Bild: Danielle Liniger)

«Man sollte den Blick auf den Islam normalisieren», sagte Serena Tolino diesen Sommer in einem Interview mit der «Hauptstadt». Die Professorin und Islamwissenschaftlerin sprach über ihre Forschung zu Feminismus und Queerness im islamischen Recht. Sie bezeichnete sich als frühere Aktivistin, die sich «immer für Menschenrechte eingesetzt hat». Heute ist sie Co-Leiterin des «Instituts für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften» der Universität Bern.

Sie sagte auch: «Wir sind ein diverses, leidenschaftliches, internationales Team an unserem Institut. Wir schützen und unterstützen uns gegenseitig (…). Viele von uns haben persönliche und familiäre Beziehungen in den Nahen Osten. Deshalb überlegen wir uns sehr gut, wie wir beispielsweise in Medien Stellung beziehen, um niemanden zu gefährden. Andererseits verfügen wir über das Privileg eines geschützten Raums, deshalb wollen wir auch ganz bewusst Verantwortung übernehmen.»

Wer die News der letzten Tage verfolgt hat, weiss: Zu diesem Team zählt auch Tolinos Ehepartner, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Institut arbeitet. Er hat am vergangenen Samstag, als die Hamas einen Grossangriff auf Israel starteten, bei dem zahlreiche Zivilist*innen getötet wurden, zwei Beiträge auf X (ehemals Twitter) abgesetzt.

Sie sind von «bewusst Verantwortung übernehmen» sehr weit entfernt.

Der Uni-Mitarbeiter bezeichnete darin den Angriff der Hamas als «bestes Geschenk, das ich vor meinem Geburtstag bekommen habe». In einem zweiten Post kommentierte er ein Video, das die Attacken dokumentiert, mit dem jüdischen Sabbat-Gruss «Shabbat Shalom». Das berichtete «20-Minuten» am Dienstag.

Nicht so gemeint, aber wie dann?

Der Mitarbeiter verteidigte sich gegenüber «20-Minuten» und beteuerte, Gewalt gegen Zivilist*innen und Angriffe gegen Jüd*innen abzulehnen. Es tue ihm leid, wenn diese beiden einzelnen Tweets solche Assoziationen hervorgerufen haben.

Auch Serena Tolino stellte sich hinter ihren Partner. Sie sagte gegenüber «20-Minuten», den Posts läge «keine antisemitische Intention zugrunde».

In einer Stellungnahme, die die Institutsleitung später veröffentlichte, distanzierte dieses sich klarer von den Inhalten. Es bezeichnete sie als «unakzeptabel» und kündigte disziplinarische Massnahmen an.

Auf Anfrage der «Hauptstadt» hält Tolino fest, sie sei im Moment nicht in der Lage, Erklärungen abzugeben. 

Weit jenseits der Richtlinien

Die Universität Bern verurteilte die Aussagen umgehend. Generalsekretär Christoph Pappa wählte auch für die Erklärung des Dozenten klare Worte: «Wir finden die nachträgliche Stellungnahme weder nachvollziehbar noch können wir sie unterstützen. Wir sind anderer Meinung», sagte er am Dienstagabend gegenüber Telebärn.

Am Mittwoch teilte die Universität mit, dass sie den Dozenten per sofort und bis zur abschliessenden Klärung der Konsequenzen freistelle. Pappa sagte gegenüber SRF, die Äusserungen seien «weit jenseits» von dem, was gemäss den Richtlinien der Universität angebracht wäre.

Serena Tolino
© Danielle Liniger
Serena Tolino forscht zu Feminismus und Queerness im Islam und bezeichnet sich als ehemalige Aktivistin für Menschenrechte. Die Posts ihres Partners und Mitarbeiters deuten auf Ansichten hin, die damit schwer vereinbar sind. (Bild: Danielle Liniger)

Und die Studierenden?

Für sie war am Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften am Mittwoch beinahe Normalbetrieb.

Um zehn Uhr hätte der betreffende Dozent einen Kurs für Bachelor-Studierende unterrichtet. Der Kurs fand statt, eine andere Lehrperson leitete ihn.

Die Studierenden seien per E-Mail darüber informiert worden, erzählt ein Student am Mittwochmittag nach dem Kurs. Er ist im Gespräch mit der «Hauptstadt» vorsichtig, zu den Geschehnissen eine Haltung zu zeigen.

Er stehe hinter dem Institut. Die Studierenden hätten sich untereinander bisher vor allem über die mediale Berichterstattung zum Vorfall unterhalten. «Wahrscheinlich werden wir im Verlauf des Tages noch über die Tweets diskutieren. Aber ich gehe eher nicht davon aus, dass jemand sehr schockiert sein wird», sagt der Bachelor-Student. Es müssten zuerst die Hintergründe dazu abgeklärt werden. «Ich denke, das Institut wird das gut machen», sagt er. Allgemein blicke man dort differenziert auf den Nahostkonflikt.

Grosser Druck aufs Institut

Ob die verbreiteten Posts strafrechtlich relevant sind, werden weitere Untersuchungen zeigen. Dasselbe gilt für die berufliche Zukunft des Dozenten – und seiner Partnerin und Vorgesetzten Serena Tolino.

Klar ist: Die geposteten Inhalte sind keine Meinungsäusserungen, die man «so oder so» verstehen kann. Sie sind so menschenverachtend, dass sie schlicht keinen Raum für Interpretationen zulassen.

Dabei stellt sich nicht nur die Frage, welche Folgen es für einen Mitarbeiter hat, der sich auf diese Art äussert. Auch die Glaubwürdigkeit des Berner Instituts und dessen Leitung steht auf dem Spiel. 

Die SVP hat im Grossen Rat umgehend eine parlamentarische Anfrage eingereicht. Der Regierungsrat soll darlegen, wie die Universität sicherstellt, dass an ihren Instituten kein extremistisches und antisemitisches Gedankengut verbreitet werde. Und Gründe nennen, die es rechtfertigen, Serena Tolino weiterhin zu beschäftigen.

Um seinen Ruf zu retten, braucht das Institut wahrscheinlich mehr als einen neuen Image-Film. Im aktuellen spricht der freigestellte Dozent davon, «Brücken und Verbindungen» herzustellen und sich auf «menschliche Gemeinsamkeiten» zu fokussieren.

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Diskussion

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Markus Schafroth
19. Oktober 2023 um 18:01

Hüte dich mit wem du dich bettest...

Als jetzt schon ehemaliger Dozent, seine Meinung auf X oder sonstigen Plattform zu publizieren birgt so seine Gefahren....

Benjamin Heiniger
13. Oktober 2023 um 07:06

Was ausgerechnet die SVP da macht, ist ja höchst interessant:)