Uni-Besetzung: Beendet

Pro-palästinensische Aktivist*innen besetzten Sonntagabend Räume der Universität Bern. Nach einem Ultimatum wurde die Besetzung am frühen Mittwochmorgen friedlich aufgelöst. Ein Protokoll.

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Noch am Dienstag-Nachmittag hingen Banner. Am nächsten Morgen ist die Besetzung vorbei. (Bild: Manuel Lopez)

Zuletzt aktualisiert am 15. Mai, 9:30 Uhr

Das Wichtigste in Kürze:

Besetzer*innen hatten am Sonntagabend Räume der Unitobler in Anspruch genommen. Sie stellten teils drastische Forderungen an die Universitätsleitung. Darunter einen «akademischen Boykott» von israelischen Institutionen sowie eine klare Positionierung der Universität. Die Universitätsleitung lehnte die Forderungen allesamt ab und akzeptiert die Besetzung nicht. Nachdem die Aktivist*innen ein Ultimatum am Dienstagmittag verstreichen gelassen hatten, verliessen sie das Gebäude am Mittwochmorgen auf Forderung der Polizei.

Mittwoch, 4:45 Uhr: 

Kurz vor fünf Uhr früh löst die Polizei die Besetzung auf Antrag der Universität auf, wie die Uni später in einer Medienmitteilung schreibt. Die Besetzer*innen verlassen das Gebäude friedlich, wie sie selbst in einem eigenen Communiqué verlauten lassen. Sie werfen darin der Universität erneut «Repression anstatt Dialog» vor. Die Universität schreibt, sie sei «stets bereit für einen konstruktiven Dialog, der ein differenziertes Argumentieren beinhaltet und der von gegenseitigem Respekt geprägt ist.».

Dienstag, 18 Uhr: Ausgang unklar

Über ihren Telegram-Kanal rufen die Protestierenden zur Bereitschaft auf. In der Länggasse seien Polizeigitter gesichtet worden. Ein weiteres Ultimatum ist nicht bekannt. Auch die Medienstelle der Universität will dazu keine Angaben machen. Was über Nacht geschieht, ist noch unklar.

Dienstag, 12 Uhr: Erstes Ultimatum verstreicht

Pünktlich zum Ultimatum laden die Aktivist*innen zu einem offenen Plenum ein. So gut gefüllt war der Saal der Mensa bislang nie. Etwa 200 Personen rücken im Saal zusammen, darunter viele Medienschaffende. Es werden Parolen gerufen. Gleich zu Beginn verkünden die Protestierenden, dass die Universitätsleitung einen Besuch angemeldet habe, dieser aber kurz vor 12 Uhr abgesagt worden sei. Sie seien offen für einen Dialog, die Uni Bern wolle diesen aber nicht. Dann werden Parolen skandiert. Eine davon fragwürdig: «Uni Bern, you can’t hide, we charge you with genocide.» – Uni Bern, ihr könnt euch nicht verstecken, wir klagen euch des Völkermordes an. 

Viel mehr Neues zu verkünden gibt es von Seiten der Besetzer*innen nicht: Es wird eine Spendensammlung eingerichtet, um den Lohnausfall der Mensa-Angestellten zu decken – diese seien im Stundenlohn angestellt und werden für die Dauer der Besetzung nicht bezahlt, sagten die Moderator*innen. 

Klar ist: Die Besetzer*innen wollen bleiben.

Nach dem Plenum geben vereinzelte Aktivist*innen Interviews, auf dem Platz vor der Unitobler wird eine Menschenkette gebildet, es erklingen Sprechchöre. Trotz verstrichener Frist ist noch keine Polizei in Sicht. 

Am Vorabend hatten die Aktivist*innen ihre Anliegen auf Instagram noch einmal deutlich gemacht. Sie fordern Forschungsprogramme und Workshops, möchten Räume für Austausch. Einige der Forderungen an die Universität sind radikal. Eine davon: «Beendet alle Beziehungen zu israelischen Institutionen und Unternehmen, einschliesslich eines Boykotts aller Käufe und Geschäfte, die von und mit israelischen Unternehmen getätigt werden.»

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Ein Ausschnitt aus fünf Forderungen, welche die Aktivist*innen auf Instagram teilten. (Bild: @unibern_occupied, Instagram)

Dienstag, 11:30 Uhr: Ein offener Brief

In einem offenen Brief solidarisieren sich rund 20 Professor*innen mit den Aktivist*innen, wie der Bund berichtet. Rund 100 weitere Mitarbeitende haben das Statement unterzeichnet, in dem die Akademiker*innen die Universität bitten, mit den Aktivist*innen in einen Dialog zu treten. Unabhängig der Forderungen und der gewählten Aktionsform der Aktivist*innen solle es zu einem Austausch zwischen den Parteien kommen. 

Ungefähr zeitgleich wird die Universität Zürich besetzt.

Uni Besetzung Bern fotografiert am Sonntag, 12. Mai 2024 in Bern. (liveit.ch / Simon Boschi)
Seit Sonntagabend besetzt: Das Unitobler-Gebäude. (Bild: Simon Boschi)

Dienstagmorgen: Ein erstes Ultimatum

Kurz vor 9 Uhr kommunizieren die Besetzer*innen via Telegram, dass die Universität ein Ultimatum stellt. Die Aktivist*innen sollen das Gebäude bis 12 Uhr verlassen. 

Damit ergeht es ihnen ähnlich, wie Aktivist*innen in anderen Städte: Die Aktivist*innen an der Universität Basel hatten am Vorabend ein Ultimatum bis Dienstag, 20 Uhr erhalten. Dort wird im Falle einer Eskalation mit einem Ausschluss vom Studium gedroht, während laut Besetzer*innen in Bern noch keine möglichen Konsequenzen kommuniziert wurden. Die Besetzung in Freiburg hatte sich am Vorabend friedlich aufgelöst, jene in Genf wurde am frühen Morgen durch die Polizei geräumt. 

Montag, 18 Uhr: Der erste Tag geht vorbei

Die Mensa im Unitobler hat sich mittlerweile geleert, einige Aktivist*innen kleben Plakate auf, die meisten sitzen draussen in der Abendsonne. Einzelne Personen verabschieden sich, eines der Zelte vor dem Gebäude wird abgebaut. Vor dem Eingang kommt es zu einer lauten Diskussion zwischen Privatpersonen und Aktivist*innen. Ein Mitglied des Awareness-Teams der Aktivist*innen schaltet sich ein und schlägt vor, die Diskussion nach innen zu verschieben. Dort wird an einer Antwort an die Universität gearbeitet und weitergeplant. 

Über Telegram laden die Aktivist*innen ein, sich dem Sit-In anzuschliessen – sie werden über Nacht bleiben. 

Montag, 15 Uhr: Besuch vom Rektor

Rektor Christian Leumann steht mit verschränkten Armen und Mikrofon vor etwa 100 Aktivist*innen und betont, er sei nicht gekommen, um zu diskutieren. Es folgt eine halbstündige Diskussion, in der Leumann immer wieder unterbrochen, ausgebuht und übertönt wird. Bevor das Plenum überhaupt beginnt, schreien die Aktivist*innen laut mehrere Parolen, begleitet von Klatschen und Rufen. «End the Occupation» und «Silence is Complicity» – «Stille ist Komplizenschaft» – schallt es durch die Mensa.

Das Plenum wird von drei Aktivist*innen moderiert. Leumann geht auf Fragen aus dem Publikum ein und erläutert die Positionen der Universität. Auf die Forderung, sich klar zu positionieren, antwortet Leumann, dass die Universität keine politische Organisation sei. «Wir sind dafür verantwortlich, dass Studierende ihrem Studium nachgehen können.» 

Was die Protestierenden von der Uni fordern, sei Sache der Politik: «Ich frage mich, warum Sie nicht vor dem Bundeshaus sind.»

Weiter steht er für die Wissenschaftlichkeit ein: «Wissenschaftlichkeit heisst wissenschaftlicher Austausch, im Grunde genommen ohne Grenzen.» Deshalb komme ein akademischer Boykott nicht infrage.

Dass die Besetzung der Uni nicht toleriert wird, macht Leumann zudem noch einmal deutlich. Die Universität habe noch nicht entschieden, wie sie mit der Besetzung umgehen will, behalte sich aber «alle Massnahmen offen».

Zudem gebe es seitens Uni neu eine Kerngruppe, die sich mit dem Thema beschäftigen soll. Sie sei «grundsätzlich offen» und treffe sich am Donnerstag zum ersten Mal. Auf ein konkretes Angebot zur Teilnahme seitens Aktivist*innen geht der Rektor nicht ein.

Zum Ende des Plenums sind die Fronten klar: Die Aktivist*innen wollen bleiben, die Universität will zurück zum regulären Betrieb. Leumann verlässt den Saal begleitet von  einem Sprechchor, der sonst während Protesten an die israelische Regierung gerichtet wird: «You can’t run, you can’t hide, we charge you with genocide.» 

Montag, 14.30 Uhr: Uni Bern akzeptiert den Protest nicht

Die Universität veröffentlicht eine Medienmitteilung, in der sie sich klar gegen die Besetzung positioniert. Die Uni Bern toleriere keine Einschüchterung von Uni-Angehörigen und lasse sich «nicht erpressen», wie Rektor Christian Leumann zitiert wird. 

Die Universität spricht in der Mitteilung von vermummten Personen, die auf dem Uni-Gelände patrouilliert hätten, sowie von Aushängen mit «teilweise antisemitischen Parolen». Den von den Aktivist*innen geforderten «akademischen Boykott» von israelischen Universitäten lehnt sie entschieden ab. Er wäre ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit und widerspräche «jeglichen akademischen Werten». Zudem relativierte sie die Menge der Kooperationen mit israelischen Universitäten. Es gebe Austausch-Abkommen mit zwei Universitäten, grössere Forschungszusammenarbeiten bestünden jedoch nicht. 

Die Vorwürfe der Aktivist*innen seien haltlos, heisst es in der Mitteilung weiter. Die Universität verweist auf die abgeschlossene externe Untersuchung rund um die Auflösung des Nahost-Instituts. Den Vorfall zwischen dem Dozenten und dem protestierenden Studenten kommentiert die Universität erneut und distanziert sich von den Handlungen des Professors.

Studierendenschaft positioniert sich

In der Zwischenzeit hat sich die Studierendenschaft der Uni Bern geäussert. In einer Mitteilung distanziert sich die SUB von Antisemitismus und Islamophobie und Gruppen sowie Invididuen, die zu einem solchen Klima beitragen würden. Gleichzeitig betont die Studierendenschaft das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und gewaltfreien Protest, das in der Universität erhalten bleiben müsse. Den geforderten «akademischen Boykott» verurteilt sie scharf: «Es darf keine Hochschule oder Gruppe von Forschenden aus politischen Gründen und aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft von einer Zusammenarbeit ausgeschlossen werden.» Zudem wünscht sich die Studierendenschaft einen akademischen, empirisch gestützten Diskurs.

Montagmorgen: Der erste Morgen

Die Aktivist*innen übernachten draussen in Zelten oder in den Räumen der Unitobler. In einer ersten Stellungnahme weist die Universität die Vorwürfe entschieden zurück. Ob die Besetzer*innen bleiben dürfen, dazu äussert sich die Universität noch nicht. Im Laufe des Morgens wird bekannt, dass auch in Basel und Freiburg Universitätsgebäude besetzt wurden.

Sonntagabend, 18 Uhr: Erstmals besetzt

Rund 60 Aktivist*innen finden sich in der Mensa des Unitobler-Gebäudes ein und erklären es als besetzt. Die Universitätsleitung und die Medien werden mittels Communiqué informiert. In diesem äussern die Aktivist*innen teils starke Vorwürfe und stellen deutliche Forderungen an die Leitung der Universität. 

Vorwürfe:

  • Ein Zwischenfall, bei dem ein Professor und ein pro-palästinensischer Student aneinandergerieten, sei hingegen «nahezu frei von Konsequenzen» geblieben.

Forderungen:

  • Die Universität soll sämtliche Kooperationen mit israelischen Institutionen und Universitäten stoppen. 

  • Die Universität solle sich deutlich zum Krieg in Gaza positionieren und diesen als Genozid bezeichnen. 

  • Die Besetzung soll akzeptiert werden und zwischen Uni und Aktivist*innen ein Dialog entstehen.

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