Unterschriftensammeln soll ermöglicht werden

Das Sammeln von Unterschriften an Veranstaltungen wird in der Stadt Bern bislang nicht bewilligt. Weil der Gemeinderat nicht handelt, setzen die RGM-Parteien ihn nun über eine Motion unter Druck.

Mahir Sancar, Lea Bill und Raphael Wyss beim Unterschriften sammeln für die Demokratie Initiative fotografiert am Dienstag, 14. Mai 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Setzen sich für das Unterschriftensammeln ein: Mahir Sancar (JA!), Lea Bill (GB) und Raphael Wyss (JA!). (Bild: Simon Boschi)

Als Ausländer*in hat man in Bern nicht viele politische Rechte. Eines der wenigen ist das Unterschriftensammeln für Petitionen, Referenden oder Initiativen. Auf diese Weise setzen sich momentan beispielsweise viele Menschen ohne Schweizer Pass für die Demokratie-Initiative ein, die die Einbürgerungsverfahren vereinheitlichen und die Einbürgerung erleichtern will.

Unterschriftensammeln funktioniert am besten dort, wo sich viele Menschen aufhalten. Zum Beispiel an Märkten oder Veranstaltungen. Und das Sammeln von Unterschriften für politische Anliegen ist laut einem Bundesgerichtsentscheid auch grundsätzlich bewilligungsfrei, solange es mobil stattfindet und nicht mehr als drei Personen beteiligt sind.

In Bern fährt das Polizeiinspektorat aber eine restriktive Praxis: Für das Sammeln an grossen Veranstaltungen muss eine Bewilligung eingeholt werden – und die wird laut Stadträtin Lea Bill nicht erteilt. «Also ist es faktisch doch verboten», sagt die grüne Politikerin.

Lea Bill beim Unterschriften sammeln für die Demokratie Initiative fotografiert am Dienstag, 14. Mai 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Unterschriftensammeln ist Teil der Demokratie», sagt Lea Bill. (Bild: Simon Boschi)

Lea Bill kämpft seit Jahren leidenschaftlich für die Garantie von politischen Grundrechten. Die Stadträtin des Grünen Bündnisses ist oft auf Strassen anzutreffen, zum Beispiel beim Unterschriftensammeln für politische Anliegen, momentan etwa für die erwähnte Demokratie-Initiative oder die städtische Mindestlohn-Initiative. «Unterschriftensammeln ist Teil der Demokratie», findet sie.

Nun reicht sie gemeinsam mit Vertreter*innen aus allen RGM-Parteien im Stadtrat einen Vorstoss ein für das Recht auf das Unterschriftensammeln an Veranstaltungen.

Altes Problem

Es ist ein altes Problem, über das es schon früher Debatten gab. Etwa 2011, als ein GSoA-Aktivist, der während des Buskers beim Zytglogge Unterschriften sammelte, verhaftet wurde. Danach wurde es für einige Jahre ruhig um das Thema.

Lea Bill hat aber festgestellt, dass die Praxis in den letzten zwei, drei Jahren restriktiver geworden sei. So sind Vertreter*innen des GB und der SP etwa 2022 beim Unterschriftensammeln am Buskers weggewiesen worden. Auch letztes Jahr wurde bei der Offenen Bundesmeile am ersten Juliwochenende eine Unterschriftenaktion nicht bewilligt.

«Personenfluss» geht vor

Begründet wird die Praxis in einem trockenen Merkblatt der Stadt: «Bewilligungsfreie Nutzung des öffentlichen Grundes Stadt Bern» heisst es. Dort steht: «Das Verteilen von Flyern oder Sammeln von Unterschriften auf Märkten, Veranstaltungen oder neben bewilligten Informations-, Promotions- und/oder Verkaufsständen ist nicht erlaubt.»

In der Antwort auf eine interfraktionelle Kleine Anfrage im Nachgang zur Wegweisung am Buskers 2022 haben der Gemeinderat und das Polizeiinspektorat diese Praxis bestätigt. «Bei Veranstaltungen, insbesondere bei Veranstaltungen mit so grossem Personenaufkommen wie dem Buskers, können durch das Unterschriftensammeln der Personenfluss gestört oder Entfluchtungswege behindert werden», wird erläutert.

Mahir Sancar beim Unterschriften sammeln für die Demokratie Initiative fotografiert am Dienstag, 14. Mai 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Der Gemeinderat mache zu wenig konsequent linke Politik, sagt Mahir Sancar. (Bild: Simon Boschi)

Die Erfahrung von Lea Bill ist folgende: Vom Polizeiinspektorat werde einem ein Ersatzstandort angeboten. «Aber das ergibt beim Unterschriftensammeln eben keinen Sinn, weil man ja darauf angewiesen ist, an Orten zu sein, wo sich auch viele Leute aufhalten», argumentiert sie.

Auch sie hat schon Absagen für das bewilligte Unterschriftensammeln erhalten. Darum gehe es ihr aber nicht. «Ich finde Wege, wie ich Unterschriften sammeln kann.» Anderen, die weniger vernetzt seien, oder keinen Schweizer Pass hätten, würde das deutlich schwerer fallen. So habe sie Vorfälle erlebt, bei denen Menschen ohne Schweizer Pass Unterschriften gesammelt hätten und von der Polizei kontrolliert und weggewiesen worden seien. «Die waren danach eingeschüchtert und haben keine Unterschriften mehr gesammelt. Das darf in einer Demokratie nicht sein.»

Gemeinderat könnte handeln

Eigentlich wäre der Fall ganz leicht: Man könnte nur das entsprechende Merkblatt ändern, was in der Zuständigkeit des Gemeinderats läge. Doch obwohl Lea Bill und ihre Mitstreiter*innen, die zur rot-grünen Parlamentsmehrheit gehören, in den vergangenen zwei Jahren mehrmals das Gespräch mit dem ebenfalls rot-grünen Gemeinderat gesucht hätten, sei nichts passiert.

Stadtrat Mahir Sancar (JA!), der den Vorstoss gemeinsam mit Lea Bill und Raphael Wyss (JA!) verfasst hat, hat Erklärungen für das Nichtstun des Gemeinderats. Einerseits sei der zuständige Gemeinderat Reto Nause (Mitte) untätig. Andererseits kritisiert die JA! auch den Gemeinderat: «Aufgrund des RGM-Bündnisses wagt sich der eigentlich links-grün dominierte Gemeinderat nicht mehr, konsequent linke Politik zu machen», sagt Sancar.

Um Druck zu machen, reichen die RGM-Fraktionen nun die interfraktionelle Motion ein, die das Reglement über die politischen Rechte so ergänzen will, dass das Unterschriftensammeln grundsätzlich erlaubt ist. Reglemente sind in der Zuständigkeit des Stadtrats, falls die Motion also überwiesen werden sollte, wovon bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen auszugehen ist, muss das Begehren umgesetzt werden.

Vielleicht aber hat der Gemeinderat bis dahin – und durch den klaren Anstoss der Stadträt*innen aus den eigenen Parteien – das entsprechende Merkblatt schon geändert.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren