Geld

Reich, reicher, Erb*in

Das reichste Prozent der Berner Bevölkerung besitzt 38 Prozent aller Vermögensfranken. Laut Ökonomen wäre eine Erbschaftssteuer das beste Mittel gegen die wachsende Ungleichheit. Doch diese wurde abgeschafft.

Vermögensverteilung im Kanton Bern
Wenige besitzen viel: Die Vermögensverteilung im Kanton Bern ist sehr schief. (Bild: Robin Hübscher)

Die finanzielle Ungleichheit wächst derzeit. In der Welt, in der Schweiz und im Kanton Bern. Kurz vor dem derzeit stattfindenden Treffen der vermögenden Wirtschaftselite am WEF machte eine Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam Schlagzeilen. Seit Beginn der Corona-Pandemie habe das reichste Prozent der Weltbevölkerung von rund zwei Dritteln des weltweiten Vermögenszuwachses profitiert, so die Studie. In den Jahren 2020 und 2021 gingen demnach 26 Billionen US-Dollar des gesamten Vermögenszuwachses an das reichste Prozent der Weltbevölkerung, während die restlichen 99 Prozent sich 16 Billionen US-Dollar an Vermögenszuwachs teilen.

Das sind gigantische Zahlen, die vor allem eines zeigen: Von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren insgesamt zwar viele ein bisschen. Aber so richtig kassieren vor allem jene, die schon sehr, sehr viel haben. Das trifft auch auf die Schweiz und den Kanton Bern zu, wie der neuste Wohlstandsbericht zeigt, den der Bundesrat im Dezember veröffentlicht hat. 

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Was machen wir mit Geld? Und was macht Geld mit uns? Das ist die inhaltliche Klammer des Schwerpunktthemas, zu dem wir Anfang Januar zahlreiche Artikel veröffentlichen.

In den Jahren 2005 bis 2018 wurde das reichste Prozent der Schweizer Steuerpflichtigen kontinuierlich reicher. Ihr Anteil an allen Vermögen wuchs in dieser Phase von 38 auf 44 Prozent. Zu diesem einen Prozent der Reichsten gehörten 2018 schweizweit gut 54’000 Steuerpflichtige, alle mit einem Vermögen von mindestens 4,2 Millionen Franken. Von den gut 2 Billionen Franken Vermögen in der Schweiz besitzen allein diese 54’000 Reichsten also einen Anteil von rund 880 Milliarden Franken. 

Den grössten Vermögenszuwachs bei den Reichen verzeichneten im vergangenen Jahrzehnt natürlich Tiefsteuerkantone wie Nidwalden, Zug oder Schwyz. Aber auch im Kanton Bern werden die Reichsten immer reicher. Die Kurve gleicht der nationalen, sie liegt einfach um ein paar Prozentpunkte tiefer. Im Jahr 2019 besass das reichste Prozent einen Anteil von 38 Prozent am gesamten steuerbaren Vermögen im Kanton. Auch der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Vermögensverteilung bemisst, ist in Bern gestiegen. Wie schief die Verteilung der steuerbaren Vermögen im Kanton Bern aktuell ist, zeigt auch die folgende Grafik.

Vermögensverteilung Kanton ern
(Bild: Robin Hübscher)

Zu den Gründen für den Anstieg der Vermögenskonzentration äussert sich der bundesrätliche Wohlstandsbericht nur spärlich. Ein Teil sei wohl auf die Einwanderung von Reichen zurückzuführen. Doch eine Studie der Ökonomen Marius Brülhart, Matthias Krapf und Kurt Schmidheiny schätzte für den Kanton Luzern, dass die Zuzüger*innen aus dem Ausland nur rund einen Sechstel des Vermögensanstiegs im reichsten Prozent ausmachten. Der Rest ist hausgemacht. Was die präzisen Treiber sind, ist noch unklar. Folgende Faktoren erachten die Ökonomen aber als relevant:

  • Grössere Vermögen generieren im Durchschnitt höhere Kapitalerträge. Während Haushalte mit einem Median-Vermögen eine Durchschnittsrendite von 0,34 Prozent erzielen, liegt dieser Wert beim obersten Vermögensprozent laut den Ökonomen bei 2,25 Prozent. Sofern der Konsum nicht in gleichem Masse ansteigt, wachsen grosse Vermögen quasi «von selber» schneller.
  • Laut internationalen Studien fallen für die reichsten Haushalte die Kapitalgewinne stärker ins Gewicht als die Kapitalerträge. Von steigenden Börsenkursen profitieren die Reichsten. Und da tiefe Zinsen Aktienwerte befeuern, könnte laut den Forschern auch das Tiefzinsumfeld ein Treiber der Vermögenskonzentration sein.

Die Ungleichheit steigt trotz progressiver Einkommens- und Vermögenssteuern. Und sie wird nicht nur von vielen Bürger*innen als störend empfunden. Von internationalen Organisationen wird die wachsende Ungleichheit neben der Klimakrise als eine der zentralen Herausforderungen betrachtet. So ist der Kampf dagegen derzeit eine der wichtigsten Missionen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Pro Jahr werden 88 Milliarden Franken vererbt

Handeln könnte man nicht nur auf internationaler Ebene, sondern auch kantonal. «Wenn man die Vermögensungleichheit eindämmen will, ist die Erbschaftssteuer wohl das geeignetste Mittel», sagt der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart auf Anfrage. In der Schweiz sei nämlich jeder zweite Vermögensfranken geerbt. Bei den 300 grössten Vermögen seien es gar 75 Prozent.

Brülhart ist unter Ökonomen mit seiner Ansicht nicht alleine. In einer Umfrage unter Schweizer Wirtschaftswissenschafter*innen schwang 2021 die Erbschaftssteuer als geeignete Steuer zur Eindämmung der Ungleichheit obenauf. Vom geschätzten Erbschaftsvolumen von 88 Milliarden Franken im Jahr 2022 werden laut Brülhart aber nur etwa 1,4 Milliarden an Erbschafts- und Schenkungssteuern anfallen. Die durchschnittliche Steuer pro vererbten Franken beträgt somit 1,6 Rappen. Im Jahr 1990 waren es noch 4,3 Rappen gewesen. 

In den letzten drei Jahrzehnten wurden die Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen in den meisten Kantonen abgeschafft. So auch 2006 im Kanton Bern. Der letzte Versuch, dies rückgängig zu machen und die Erbschaftssteuer wieder einzuführen, scheiterte im vergangenen Mai im Grossen Rat. Die Finanzdirektorin und die bürgerlichen Parteien stemmten sich gegen einen entsprechenden Vorstoss des grünliberalen Grossrates Casimir von Arx. Die wichtigsten Argumente der Gegner*innen waren die Angst vor Abwanderung reicher Rentner*innen, der Verweis auf Nachfolgeregelungen bei KMU und die sogenannte Mehrfachbesteuerung. Die Erbfranken seien ja schon als Einkommen und Vermögen besteuert worden.

Der vermeintliche Steuerwettbewerb

Ökonomisch liegen diese Gegner*innen einer Erbschaftssteuer falsch. Marius Brülhart zerpflückt die genannten Argumente in einem aktuellen Artikel im Sozialalmanach der Caritas. So hätten die Senkungen von kantonalen Erbschaftssteuern fast nicht zu Wanderungen von Vermögen geführt. Der Grund für die Welle von Erbschaftssteuersenkungen in den Kantonen sei also kein ökonomischer Sachzwang, sondern lediglich ein vermeintlicher Steuerwettbewerb. «Nach unseren Schätzungen könnten die Kantone und Gemeinden Erbschaften aus rein fiskalischer Sicht durchaus stärker besteuern, ohne dass mit gravierenden Wanderungsbewegungen zu rechnen ist», schreibt Brülhart. 

Auch das Argument der Mehrfachbesteuerung zählt laut dem Lausanner Professor aus ökonomischer Sicht nicht. Der wiederholte steuerliche Eingriff auf bereits als Einkommen besteuerte Vermögenswerte sei gang und gäbe. So bei der Vermögenssteuer und der Mehrwertsteuer. Zudem werde die Erbschaftssteuer ja faktisch nicht von Erblasser*innen, sondern von den Erb*innen beglichen. Und sogar der Verweis auf die Nachfolgeregelungen in Familienunternehmen lässt Brülhart nur bedingt gelten. Die meisten Erbschaftssteuergesetze sähen ja grosszügige Ausnahmeregeln vor. Es gebe keine wissenschaftliche Evidenz, dass Erbschaftssteuern das Gedeihen von Familienunternehmen langfristig behindern würden. 

Brülhart sieht im Schweizer Niedergang der Erbschaftssteuern vor allem psychologische Gründe. Man sehe in ihnen einen unzulässigen Eingriff ins Privateigentum. «Viele Menschen erachten es offensichtlich als legitim, wenn sich der Fiskus ein Stück des Lohns abschneidet, nicht aber, wenn er dies bei Erbschaften tut.» Zudem würden viele Stimmbürger*innen das Ausmass der Erbschaftsbesteuerung und damit ihre eigene Betroffenheit überschätzen. So zeige eine aktuelle Studie aus den USA, dass die Befragten davon ausgehen, dass 36 Prozent der Bevölkerung irgendwann Erbschaftssteuern bezahlen müssten. Der wahre Anteil liege aber bei unter einem Prozent.

Mittels einer Analyse von 15 kantonalen Abstimmungsbüchlein versuchte Brülhart, die verbreitete Ablehnung der Erbschaftssteuern in Politik und Bevölkerung zu ergründen. Er kam auf zwei wichtige Faktoren: Die verzerrte Information und tief sitzende Wertvorstellungen im Zusammenhang mit Tod und Familie. Es sind keine ökonomischen Faktoren.

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Diskussion

Unsere Etikette
Gian Schelling
20. Januar 2023 um 18:23

Als "Armer Arbeiter" in der zweituntersten Kugel der schönen Grafik kann ich bestätigen: Psychologiesche Faktoren spielen eine große Rolle, darunter Gier der "Reichen" (inkl. der Mehrheit der Entscheider?) nie genug zu haben und Angst der "Armen", sogar bei sehr kleinen Erb-Beträgen besteuert zu werden.

Andrea Burkhalter
20. Januar 2023 um 06:17

Danke für diesen relevanten Beitrag.

Die psychologischen Gründen gegen die Erbschaftssteuer sind weit verbreitet und wohl ausschlaggebend für die Meinungsbildung.