«Was Herr Chiesa sagt, ist Unsinn»
Im Wahlkampf um das Könizer Gemeindepräsidium distanziert sich SVP-Kandidat Christian Burren von der Stadt-Land-Polemik der nationalen Partei und erklärt, wie er das Finanzschlamassel der Gemeinde aufräumen will.
Christian Burren, warum sind Sie in der SVP?
Ich war zwölf Jahre als Parteiloser im Gemeindeparlament. Die SVP hatte mich für ihre Liste angefragt. Ich trat der Partei damals nicht bei, sass aber in ihrer Fraktion. Und da fühlte ich mich immer wohl. Es ist wohl die liberalste Sektion der SVP. Bei der Wahl in den Gemeinderat wurde ich wegen der Proporzwahl Parteimitglied, da ich mich mit den Werten der SVP Köniz identifizieren kann. Das heisst aber nicht, dass ich die Haltung von national bekannten SVP-Akteuren teile.
Wo sind sie anderer Meinung als die SVP-Elite?
Wenn ich Parteipräsident Marco Chiesa höre, wie er über den Stadt-Land-Graben spricht, muss ich sagen: Das ist kompletter Unsinn. Hier in Köniz profitiert der urbane Teil vom Naherholungsgebiet auf dem Land und ich als Bewohner des ländlichen Teils profitiere davon, dass ich schnell in der Stadt bin. Meine Kinder können von zu Hause aus jegliche Ausbildungen machen. Ich habe das Angebot der Stadt und wohne auf dem Land. In Köniz gibt es diesen Graben nicht.
Die SVP behauptet aber, die linken Städte würden die Landbevölkerung finanziell aussaugen.
Das stimmt bei uns definitiv nicht. Auch die Corona-Politik der SVP und die Kritik am Bundesrat konnte ich übrigens nie nachvollziehen. Ich bin dreimal geimpft und fand die Politik der Landesregierung eigentlich gut.
Am 25. September entscheiden die Könizer Stimmberechtigten, ob der bisherige Gemeinderat Christian Burren (SVP) oder Tanja Bauer (SP), Grossrätin und Gemeindeparlamentarierin, das Gemeindepräsidium der bereits zurückgetretenen Annemarie Berlinger (SP) übernehmen. Die «Hauptstadt» hat mit beiden Kandidierenden ein Interview geführt (hier geht es zum Gespräch mit Tanja Bauer).
Falls Burren gewählt würde, wird Tanja Bauer nicht automatisch «normale» Gemeinderätin. In diesem Fall müsste eine weitere Ersatzwahl für den vakanten Sitz des zum Gemeindepräsidenten promovierten Christian Burren durchgeführt werden. Der Gemeinderat hat diese auf den 12. März 2023 angesetzt. Denkbar ist auch eine stille Wahl, die im Januar 2023 stattfände. Bis dahin würde der Gemeinderat zu viert weiterregieren. (jsz)
Was bringt die SVP-Politik der Gemeinde Köniz?
Selbstverantwortung ist für die SVP wichtig. Man gibt nicht mehr Geld aus, als man hat. Wir leben in Köniz heute auf Kosten nachfolgender Generationen, und das geht nicht. Das sind Werte, die für die SVP typisch sind und für die sie sich in Köniz einsetzt.
Wie versuchen Sie Köniz-Stadt und Köniz-Land zusammenzuhalten?
Ich versuche der urbanen Bevölkerung die Denkweise der Landbevölkerung näherzubringen. Das Naherholungsgebiet nutzt man innerhalb gewisser Regeln. Man nimmt Abfall wieder mit. Man fährt mit Velo und Auto nicht überall quer durch. Die Landbevölkerung wiederum darf sich nicht ärgern über den Stau. Wenn sie in die Stadt fährt, ist sie ja Teil des Staus. Und nicht zuletzt helfen die Steuern des urbanen Teils, das grosse Strassennetz der Gemeinde zu erhalten.
Die SVP ist die stärkste bürgerliche Partei in Köniz. Was ist dank der SVP in den letzten Jahren in Köniz zustande gekommen?
Die SVP hatte in den letzten Jahren einen schweren Stand. Man hatte keine Mehrheiten mehr. Seit die Mitte stärker wurde in Köniz, sind die Pol-Parteien politisch etwas extremer geworden. Und da nehme ich meine Partei nicht aus.
Politische Mehrheiten muss man schaffen, die erhält man nicht einfach.
Das ist so. Darum hat man die Steuererhöhung nicht schneller hingekriegt. Denn wenn links oder rechts nicht mitzieht, scheitert sie.
Also hat die SVP in den letzten Jahren nichts zustande gebracht?
Das ist zu hart gesagt. Aber die Partei hatte nicht mehr viel Einfluss, weil sie nicht zur Mehrheit gehörte.
Dann sind Sie als SVPler ja gar kein guter Präsidiumskandidat?
Darum bin ich ja ein überparteilicher bürgerlicher Kandidat und kein reiner SVP-Kandidat. Es war meine Bedingung, dass ich von einer Parlamentsmehrheit getragen werde. Ich will das Verbindende suchen.
Rund 44 Prozent der Könizer*innen wählen links-grüne Parteien. Wie wollen sie als SVP-Gemeindepräsident weitere Blockaden verhindern?
Ich nehme ihre Anliegen ernst. Aber klar ist: Links-grüne Maximalforderungen werden wir nicht erfüllen können. Nur durch ein gegenseitiges Entgegenkommen finden wir tragfähige Lösungen.
Wo kommen Sie den links-grünen Parteien entgegen?
Die Veloförderung war kein typisch bürgerliches Anliegen. Ich war aber überzeugt, dass wir die beschränkte Verkehrsfläche effizienter nutzen müssen. Und Fuss- und Veloverkehr sind nun mal flächeneffizient. Darum habe ich bei bürgerlichen Parteien um Verständnis geworben. Beim Verkehr verfolge ich eher eine links-grüne Linie, weil so das Gesamtsystem profitiert. Im Gegenzug verteidige ich in der Raumplanung den Siedlungsrand vehement. Da schlägt mein Herz als Landwirt.
Wieviel macht im Gemeindepräsidium die Persönlichkeit aus, wieviel die Partei?
Persönlichkeit macht über die Hälfte aus. Man muss von den Parteien breit akzeptiert sein. Und man muss im Exekutivgremium Respekt und Akzeptanz haben, um dieses führen zu können. Die Partei tritt in den Hintergrund. Wenn man in ein Exekutivamt kommt, sollte man eigentlich das Parteibuch abgeben.
Sie sind Landwirt und waren in Verbänden der Milchbranche tätig. Inwiefern befähigt Sie Ihr Beruf, dem offensichtlich nicht leicht zu führenden Gemeinderat als Präsident vorzusitzen?
Was in den letzten Tagen an Kommentaren wegen der umstrittenen Sprayerei erschien, habe ich in anderer Form schon 2008 erlebt, als der Milchmarkt liberalisiert wurde. Da gab es sehr gehässige Kommentare zu meiner progressiven Position. In der Branchenorganisation Milch lernte ich die hohe Schule der Konsensfindung. Wichtig ist dabei: Am Ende gibt man sich die Hand und nach jedem harten Kampf geht man etwas trinken.
Dann ging der Könizer Gemeinderat in den letzten Jahren zu selten zusammen etwas trinken?
Das hat sich einfach nicht ergeben. Wir haben lange nicht als Einheit funktioniert, und da hat das Gemeindepräsidium eine wichtige Rolle.
Landwirt Christian Burren (55) ist in Köniz geboren, hat drei Kinder und lebt mit seiner Frau in Gasel. Auf ihrem Hof betreibt die Familie Milchwirtschaft. Sie hat kürzlich einen neuen Laufstall gebaut und die Kuhherde auf rund 60 Tiere vergrössert. Burren ist derzeit Gemeinderat und zuständig für die Direktion Planung und Verkehr.
Sie wollen laut ihrer Wahlkampfwerbung keine Innovationen für Köniz, sondern nur die Hausaufgaben machen. Welche dieser Aufgaben wollen Sie als erste lösen?
Ich will die Gemeinde zuerst stabilisieren und dann weiterentwickeln. Die wichtigste Hausaufgabe ist, den Gemeinderat zu einen. Danach müssen wir die Finanzprozesse überarbeiten, verbessern und steuerbarer machen. Wir steuern heute die Erfolgsrechnung über 3500 Einzelposten und nicht nach Aufgaben. Das ist nicht mehr zeitgemäss.
Köniz als zweitgrösste Gemeinde der Agglo Bern ist finanziell angeschlagen. Aber Köniz wächst und floriert scheinbar. Wie erklären Sie einem Laien knapp und verständlich, warum Köniz in dieses Problem schlitterte?
Köniz hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren gut entwickelt und ein gutes Angebot geschaffen. Aber wir haben seit zwanzig Jahren ein strukturelles Defizit. Die Gemeinde hat Land und Altersheime verkauft und so den Bilanzfehlbetrag zeitweise ausgeglichen. Zudem hat man die Steuern gesenkt und das strukturelle Defizit über Jahre lang versteckt, indem man Arbeiten aus der laufenden Rechnung in die Investitionen verschoben hat.
Die Sparzitrone ist offensichtlich ausgepresst. Köniz braucht daher mehr Steuereinnahmen. Wo sollen diese herkommen?
Wir hatten eine gute Siedlungsentwicklung und waren so attraktiv für junge Familien, aber das schenkte bei den Steuern noch nicht richtig ein. Seit zwei Jahren beginnt sich das Steuersubstrat nun gut zu entwickeln. Wenn die Steuererträge steigen, erhalten wir etwas Spielraum.
Wie erklären Sie eine*r Unternehmer*in, dass er oder sie ihre Firma in Köniz ansiedeln soll?
Indem wir wieder ein zuverlässiger Partner werden. Wir müssen den Firmen mit Rat und Tat zur Seite stehen, bei Arealentwicklungen und in Verkehrsfragen.
Wäre es sinnvoll, die Fusionsdiskussion mit Bern auch in Köniz zu führen?
Nein. Wir haben wohl wesentlich weniger Verwaltungsstellen pro Einwohner als die Stadt Bern. Eine Fusion bringt den Bürgerinnen und Bürgern keine Verbesserung. Aber wir pflegen einen intensiven Austausch mit den Nachbargemeinden.
Wo steht Köniz in zehn Jahren?
Köniz wird weiter wachsen und in zehn Jahren über 45’000 Einwohner haben. Wir haben noch Baulandreserven. Wir wollen aber so wachsen, dass wir es verdauen können.
Sagen Sie uns zum Schluss etwas Konstruktives über die SP Köniz?
Sie vertreten ihre Meinungen sehr gut. Beim preisgünstigen Wohnungsbau zum Beispiel. Ich wünsche mir aber, dass alle Parteien von den Extremhaltungen wegkommen und aufeinander zugehen.