Schneckenwetter

Bei Regen wird die Weinbergschnecke aktiv. Unsere Kolumnistin verrät, wie das Tier die Hitzetage verbracht hat und was es mit dem Schneckenkönig auf sich hat.

Illustration Tierkolumne
(Bild: Natalie Neff)

Während der Hitzeperiode lag der Gedanke an Schnecken den meisten Menschen sehr fern. Man hoffte auf Abkühlung, dachte an Wasser und hüpfte in die Aare. Auch die Weinbergschnecke mag an Wasser gedacht haben. Doch im Gegensatz zu den Berner*innen sucht die Weinbergschnecke das Wasser nicht – sie wartet, bis es zu ihr kommt. 

Schnecken sind so genannte Feuchtlufttiere, also Wesen, die es gerne feucht haben und bei feuchter Umgebung erst aktiv werden. Die heissen, trockenen Tage hat die Weinbergschnecke daher in einem Trockenschlaf verbracht. Sie verschloss ihr Haus mit einem Deckel, um nicht zu vertrocknen und harrte der Dinge, die da kommen. 

Vom Wasser aufs Land

Der Regen der letzten Tage war ein Geschenk des Himmels für die Weinbergschnecke. Mit der einsetzenden Nässe entdeckelte sie sich, streckte ihre vier Fühler aus, richtete ihr Häuschen auf und zog los. Mit Blick auf ihre Herkunft erstaunt das kaum: Die meisten Schneckenarten leben im Wasser, und nur ein Teil davon ist im Verlauf der Evolution aufs Land gekrochen – die Landlungenschnecken. 

Man geht weltweit von etwa 25‘000 Arten von Landlungenschnecken aus, wovon circa 250 Arten in der Schweiz herumkriechen. Einige haben ein Häuschen und lassen sich der artenreichen Familie der Schnirkelschnecken zuordnen. 

Von all den Schnirkelschnecken in Mitteleuropa ist die Weinbergschnecke Helix pomatia die Grösste. Ihr Haus erreicht einen Durchmesser von bis zu 5 Zentimetern und von Kopf bis Fuss misst sie stattliche 10 Zentimeter. Ihr Schneckenhaus ist ein wahres Naturwunder. Es ist asymmetrisch und spiralförmig gewunden. In den meisten Fällen nach rechts, also im Uhrzeigersinn. Überaus selten begegnet man einem Schneckenkönig – einer Weinbergschnecke mit linksgewundenem Schneckenhaus. 

Sie repariert ihr Haus selbst

Schneckenhäuser bestehen aus Kalk, daher bevorzugen Weinbergschnecken kalkreichen Boden. Daraus können sie Calciumcarbonat aufnehmen. Ohne Kalk wird ihr Haus dünn und bricht leicht. 

Apropos brechen: Weinbergschnecken können ihr Haus bei leichten bis mittelschweren Beschädigungen problemlos reparieren. Angewiesen sind sie dabei einzig auf Kalk. Solange die Weichteile, insbesondere der Eingeweidesack, nicht verletzt sind, weist die Schnecke eine unglaubliche Resilienz auf.

Kleinere Beschädigungen werden innerhalb von wenigen Stunden geflickt, grössere Schäden benötigen teilweise Tage. Im Lauf des Lebens können so einige Reparaturen anfallen: In Gefangenschaft kann die Weinbergschnecke ein stattliches Alter von 30 Jahren erreichen, in Freiheit wird sie immerhin gut und gerne 8 Jahre alt. 

Viele Fressfeinde hat die erwachsene Weinbergschnecke aufgrund ihrer Grösse nicht. Doch jüngere Tiere werden wohl – wie viele andere Häuschenschnecken – von Vögeln gefressen, bevorzugt während deren Brutzeit. Der Kalk des Schneckenhauses ist dann eine wichtige Nahrungsergänzung. Für die Vogelweibchen, um widerstandsfähige Eierschalen zu produzieren und für die Jungvögel für das Knochenwachstum.

Gemächliche Einzelgängerin

Die Weinbergschnecke hingegen ernährt sich vegetarisch. Die Eier von Nacktschnecken lässt sie links liegen, auch wenn ihr das Verspeisen derjenigen gerüchteweise nachgesagt wird.

In Gärten richtet die Weinbergschnecke aufgrund ihrer einzelgängerischen Lebensweise keinen Schaden an. Vielmehr schleimt sie in ihrem Schneckentempo von gut 7 Zentimetern pro Minute (4,2 Meter pro Stunde) herum, vertilgt Algen und schnabuliert welke Pflanzenteile. Davon hat es nach diesen heissen Tagen wohl mehr als genug und so findet die Weinbergschnecke nach ihrem langen Trockenschlaf vielerorts einen gedeckten Tisch vor.

Zur Person

Die Bernerin Irene Weinberger ist als Biologin spezialisiert auf einheimische Wildtiere und das Konfliktmanagement zwischen Natur und Mensch.

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