Wer «chillt» in Zukunft im Weyerli?
Das Freibad Weyerli ist für viele etwas Besonderes. Nach der letztjährigen Sanierung steht der Badi eine weitere Veränderung bevor.
Das Weyerli gibt es schon lange. In den Fünfzigerjahren wurde es von einem natürlichen Weiher in ein Freibad umgebaut. Sein rundes Becken ist das grösste Aussenbecken Westeuropas. In der Sanierung vom letzten Jahr wurde die Badi mit einem neuen Kinderbecken und einer Wasserrutsche ergänzt. Dem Weyerli kommt die Veränderung gut.
Aber es wird sich noch mehr ändern rund ums Weyerli. Moderne Überbauungen sind geplant. Sie werden die Umgebung prägen und neue Menschen in die Quartiere bringen. Wird das Weyerli in Zukunft bleiben, was es ist – und was macht das Bad überhaupt aus?
Ein bisschen Grün im vielen Grau
Das Weyerli liegt im Westen von Bern. Es befindet sich an der Schnittstelle zwischen Stöckacker- und Untermattquartier und gehört zum Bezirk Bethlehem. Schräg über dem Bad verläuft die Autobahnbrücke, deren Rauschen ein bisschen an das Meer erinnert. Gegenüber liegt ein Industrieareal, manchmal lärmt es auch von dort. Lastwagen fahren ein und aus. Ansonsten ist um das Weyerli nicht viel los.
Die raue Ästhetik seiner Umgebung verleiht dem Weyerli eine ganz besondere Atmosphäre: Es ist die grün-blaue Oase zwischen Industrieanlagen und der Autobahnbrücke. Sinnbildlich für die Entspannung inmitten des rohen Alltags.
Motiv in der Berner Kulturszene
In der Berner Kulturszene wird das Weyerli immer mal wieder aufgegriffen. Das Berner Trap-Duo Yangboy$ etwa singt im Song «Weni Zit Ha» über das Chillen im Weyerli mit dem Joint auf dem Sprungbrett. 2017 spielten Yangboy$ den Song auch vor Ort.
Dem Literarischen Reiseführer Bern leiht das Weyerli gar seinen Namen. «Er ziehe das Weyerli dem Mittelmeer vor» lautet der Titel des Büchleins. Verliehen hat ihn die Schriftstellerin Noemi Somalvico. Es ist ein Zitat aus ihrem Text «Fridu im Fruchtwasser», der im Reiseführer abgedruckt ist. Der Text handelt vom 20-jährigen Fridu, der den Bauch der Mutter immer noch nicht verlassen hat. Gemeinsam sitzen er und die Mutter im Weyerli, zwischen zwei Fichten hinter dem Kiosk. Nach einer Reise ans Mittelmeer ist Fridu etwas enttäuscht und beschliesst, dass er das Weyerli dem Mittelmeer vorziehe. «Es sei auch etwa gleich viel Wasser drin, meinte die Mutter.»
Für alle ein Plätzchen
Die Quartiere in der Nähe des Weyerli sind sehr dicht besiedelt. Hier stehen die grossen Hochhaussiedlungen von Bern: Das Tscharnergut, der Gäbelbach, die Siedlung Bethlehemacker. Laut sozialräumlichen Statistiken der Stadt Bern sind in diesem Stadtteil die meisten Menschen auf Sozialhilfe angewiesen. Die Bewohner*innen haben im Verhältnis zur sonstigen Stadt die tiefsten steuerbaren Einkommen. Ein Haus mit Garten und viel Platz können sich viele nicht leisten. Öffentliche Räume zur gemeinsamen Nutzung sind wenige vorzufinden: Ein paar vereinzelte Spielplätze, das Restaurant Jäger, der Quartiertreffpunkt.
Im frei zugänglichen Weyerli können sich die Bewohner*innen des Berner Westens treffen und auf grossen Rasenflächen verweilen. Die Besucher*innen lesen und rauchen, telefonieren oder gamen am Handy. Ab und an fliegt ein Fussball über den Zaun. Trotz der vielen Besucher*innen, letzten Sommer waren es bis zu 13 000 an einem Tag, sei die Stimmung meistens gut. «Wir haben wenig Beschwerden», meint Hanspeter Heiniger, der seit zehn Jahren Anlagechef des Weyerli ist. «Im Weyerli finden alle ihr Plätzchen.» Auch das macht das Weyerli aus.
Retrobadi
Eigen ist dem Weyerli zudem seine Ästhetik. «Es ist vor allem das grosse runde Becken, welches das Weyerli einzigartig macht», findet Heiniger. «Das würde man wohl heute nicht mehr so bauen.» Auch die Gebäude im Weyerli würde man heute vielleicht anders bauen. Kleinbauten aus den 50ern, etwa ein gelbes Garderobenhäuschen, das wegen seiner Aussenuhr an ein Schulhaus erinnert, säumen das Weyerli. Im Haupteingang des Bads dominiert der grosse Betonkomplex aus den 70ern, mit integrierter Empfangskabine, Restaurant und Terrasse. Die Bauten gelten als schützenswert und blieben dem Weyerli trotz Sanierung erhalten.
Wandel in Ausserholligen
Auch wenn es scheint, als stehe im Weyerli die Zeit still: Sie tut es nicht. Den Quartieren ums Weyerli, insbesondere dem Untermattquartier, steht ein Umbruch bevor.
Mit dem Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen plant die Stadt eine Umgestaltung und Neu-Nutzung rund ums Weyerli. Dazu gehören der neue Campus der Berner Fachhochschule, der künftige Hauptsitz von Energie Wasser Bern (EWB), in dem auch Wohnraum eingeplant ist, und die neue Wohnsiedlung Weyermannshaus West. Fuss- und Velowege, Quartierplätze, Restaurants und Kulturorte sollen die verschiedenen Bauten ergänzen. Damit könnten die geplanten Projekte etwas schaffen, was dem Quartier fehlt: Öffentliche Plätze zur gemeinsamen Nutzung, Treffpunkte und Spielräume für Kinder.
In der Überbauung Weyermannshaus West, die sich auf dem momentanen Industrieareal befinden wird, sollen ab 2025 bis zu 1000 Wohnungen entstehen. Ein Drittel der Wohnnutzung wird, wie es in der Wohn-Initiative von 2019 beschlossen wurde, preisgünstiger Wohnraum sein. Grundeigentümerinnen des Areals sind Burgergemeinde und Post. Sie geben an, verschiedene Wohnmöglichkeiten für unterschiedliche Zielgruppen in das Projekt einzuplanen.
Über die Höhe der Mieten geben sie auf Anfrage der Hauptstadt noch keine Auskunft. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die Mieten höher ausfallen werden als jene der umliegenden Wohnungen. Es ist also denkbar, dass das Quartier zukünftig zahlkräftigere Mieter*innen anziehen wird als bisher. Der günstige Wohnraum könnte damit gefährdet werden.
Die Stadt hat deshalb fünf Mehrfamilienhäuser in der Untermatt gekauft, um einer möglichen Gentrifizierung des Quartiers entgegenzuwirken und günstigen Wohnraum zu erhalten. Ob auch der übrige Wohnraum im Quartier weiterhin preiswert sein wird, ist aber nicht sicher.
Die Zukunft des Weyerli
Für das Weyerli bedeuten diese Pläne einige Veränderungen. Es wird bald keine grüne Oase im Industrieareal mehr sein, sondern eine von vielen Grünflächen in einer belebten Umgebung. Die verschiedenen Grünflächen hat das Quartier nötig, ob sie dann wirklich auch den heutigen Bewohner*innen zugutekommen, wird sich noch zeigen. Denn wer sich den Wohnort Bern West einmal nicht mehr leisten kann, wird sich ein anderes Freibad suchen müssen.
Die Lieder und Texte über das heutige Weyerli bleiben aber erhalten. So kann man sich das Weyerli immerhin ins Wohnzimmer holen, auch wenn es regnet und egal von welchem Wohnort aus.
Literarischer Reiseführer Bern https://www.google.com/url?q=https://dasnarr.ch/shop/reisefuehrer-bern/&sa=D&source=docs&ust=1690974200770396&usg=AOvVaw2o6fAQHVYuwTTWNXz6IHSZ
«Weni Zit Ha» https://www.youtube.com/watch?v=-2vdGPw-9e8
Sozialräumliches Monitoring Stadt Bern https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_sta/das-fuenfte-sozialraeumliche-monitoring-der-stadt-bern-ist-erschienen