Werbeverbot – Stadtrat-Brief #23

Sitzung vom 1. Februar 2024 – die Themen: Werbeverbot; Sanierung Volksschule Tscharnergut; Biodiversität; Genderstern; Öffentlichkeitsprinzip; Ratsmitglied der Woche: Sarah Rubin (GB).

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Im Stadtrat werden häufig Vorstösse diskutiert, die keine Auswirkungen auf das reale Leben haben. Denn ihre Inhalte liegen gar nicht in der Kompetenz des Rats. Gestern Abend war das anders. Es ging um ein Werbeverbot im Aussenraum. Eingereicht worden war die Motion von der Alternativen Linken und Vertreter*innen von Grünem Bündnis, PdA, Juso und GaP. 

Werbung als Treiberin des Konsums einzudämmen, ist ein altes Anliegen der Linken. Das Thema wurde bereits verschiedene Male diskutiert. Früher oft chancenlos, im letzten September wurde jedoch ein Verbot von Werbung für Flugreisen und Autos als Postulat überwiesen. Mit der Klimakrise stehen die Vorzeichen offenbar anders.

«Wir wissen alle, dass wir unser Konsumverhalten ändern müssen, wenn wir unsere Welt nicht an die Wand fahren wollen», sagte Anna Jegher als Sprecherin der GB/JA-Fraktion. Von Werbung im öffentlichen Raum profitierten in erster Linie Grossunternehmen. 

Die Debatte war lang, leidenschaftlich und engagiert. Und – anders als häufig – waren die Mehrheitsverhältnisse alles andere als klar. Während sich alle Parteien von GLP bis SVP gegen den Vorstoss aussprachen und etwa darauf hinwiesen, dass dadurch Arbeitsplätze verloren gingen (Nik Eugster von der FDP) und das lokale Kleingewerbe betroffen wäre (Milena Daphinoff von der Mitte), hatten die RGM-Parteien grundsätzlich Verständnis für den Vorstoss.

«Werbung im Aussenraum ist nur ein kleiner Teil der Werbung. Aber Fernsehen und Handy kann man bewusst ausschalten», sagte GFL-Sprecherin Mirjam Roder. Sie verwies auf Grenoble, das seit 2014 ein solches Verbot kennt. «Es ist schon wunderschön, wenn das Alpenpanorama nicht durch Werbeplakate verschandelt wird.»

Es folgte ein Aber: Gut 5,1 Millionen Franken würden der Stadt jährlich entgehen, wenn sie auf die Konzessionierung für die Plakatierung auf öffentlichem Grund verzichten würde. Man müsse die Wirtschaft unbedingt mitnehmen auf diesem Weg. Folgerichtig enthielt sich die GFL, die Partei des Stadtpräsidenten Alec von Graffenried, grossmehrheitlich.

Dessen Einwand, dass das Berner Reklamereglement schon sehr weit gehe, fand kein Gehör. «Wir müssen einen Mittelweg finden», sagte von Graffenried. «Keine Werbung ist Nordkorea, das ist auch ziemlich furchtbar.» 

Die Enthaltungen des GFL-Lagers – und die SP, deren Stimmen sich aufs Ja- und Nein-Lager verteilten – führte schliesslich dazu, dass die Motion mit 30 zu 29 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) äusserst knapp überwiesen wurde.

Der Gemeinderat muss nun die Reglemente dahingehend überarbeiten, dass kommerzielle Werbung im Aussenraum nicht mehr bewilligungsfähig ist. Eingeschränkt ist er dabei von übergeordnetem Recht. Über das überarbeitete Reglement wird der Stadtrat befinden. Winkt er es durch, könnte immer noch das Referendum dagegen ergriffen werden. Käme das zustande, läge die Entscheidung bei den Stimmberechtigten.

Sarah Rubin (GB), fotografiert fuer den Stadtrat-Brief am Donnerstag, 26. Oktober 2023 in der Wandelhalle vom Berner Rathaus. (HAUPTSTADT.CH/Bruam/Dominic Bruegger)
Ratsmitglied der Woche: Sarah Rubin

Die 39-jährige Sarah Rubin ist im November 2019 fürs Grüne Bündnis in den Stadtrat nachgerutscht. Sie arbeitet als Heilpädagogin an der Mosaikschule Munzinger und studiert parallel dazu schulische Heilpädagogik (Master) an der PH Bern. Als Ausgleich verbringt sie gerne Zeit mit ihrer Familie, zudem trifft man sie auf dem Velo, beim Joggen oder in ihrem Garten an.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Das Stadtratsmandat ist eine sehr zeitintensive Tätigkeit. Es ist eine Herausforderung, es mit meinen anderen Lebensinhalten (Familie, Sozialleben, Beruf und Ausbildung) zu vereinbaren. Trotzdem bin ich nach wie vor dabei: Mir ist es wichtig, auch diejenigen Menschen zu vertreten, die in der Politik kaum von Lobbying profitieren können. Die Tätigkeit im Stadtrat ist für mich zudem in vielerlei Hinsicht sehr horizonterweiternd und lehrreich.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Als eher ruhiges, aber dossierfestes Ratsmitglied – vor allem bei bildungspolitischen und sozialen Themen.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Enttäuscht war ich von der Tatsache, dass bei der Budgetdebatte ein von mir verfasster SBK-Minderheitsantrag zur Aufstockung der Fachstelle für Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen bei der Ratsmehrheit – und das Parlament in Bern gilt bekanntlich als links – aus finanziellen Überlegungen keine Chance hatte. Doch das Thema ist nicht gegessen: Die Fachstelle muss für ihr vielfältiges und enorm wichtiges Tätigkeitsgebiet unbedingt genügend Ressourcen zur Verfügung haben, ansonsten kann sie ihren Auftrag nicht erfüllen.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Seit ich einen Sitz in der Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) habe, bin ich noch näher an den Themen, die mich am meisten interessieren. Besonders stolz bin ich darauf, dass der von mir formulierte SBK-Minderheitsantrag für die Erhöhung des Versorgungsgrades der Schulsozialarbeit von bislang 100 Prozent pro 800 Schüler*innen neu auf 100 Prozent pro 600 Schüler*innen bei der Budgetdebatte im Rat angenommen wurde.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Bümpliz. Ich schätze den Dorfcharakter. Der Einkauf am Samstag ist jeweils ein sozialer Anlass und ich muss immer ganz viel Zeit einrechnen, da ich garantiert allerlei Bekannte antreffe. Zudem ist es ein sehr lebendiges, von unterschiedlichsten Kulturen geprägtes Quartier. Der Wald, der Wohlensee, die beste Badi ever und der Skatepark sind quasi vor der Haustür.

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Schulsanierung: Die Volksschule Tscharnergut wurde 1962 in Betrieb genommen – «in meinem Geburtsjahr», sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried. Deshalb zweifle auch niemand daran, dass sie saniert werden müsse. Der Stadtrat hiess den Kredit von 6,99 Millionen Franken für die Planung der Gesamtsanierung bis und mit Ausschreibung einstimmig gut. Die Kosten für die Sanierung werden auf 50 bis 66 Millionen Franken geschätzt. Die Bauarbeiten sollen 2027 nach einer Volksabstimmung starten. 2031 soll die sanierte Schule, die auch Lebensraum für die Quartierbewohner*innen sein soll, in Betrieb genommen werden.  
  • Käferli: Die Fraktion AL/GaP/PdA fordert mit einer Motion, dass der Gemeinderat mehr für Biodiversität und unversiegelte Böden macht. Hausbesitzer*innen sollen auf die Thematik aufmerksam gemacht und eventuell auch eine Bewilligungspflicht für die Neugestaltung von Gärten eingeführt werden. Die Lager zu diesem Anliegen waren gestern klar – und die bürgerliche Minderheit hatte einmal mehr das Nachsehen, auch wenn Ursula Stöckli (FDP) betonte, dass die Forderungen des Vorstosses doch schon erreicht seien. Der Vorstoss wurde überwiesen. Stapi Alec von Graffenried wies darauf hin, dass dem Gemeinderat die Biodiversität sehr wichtig sei und der Punkt im Rahmen der anstehenden Gesamtrevision der Bauordnung auch verankert werden soll.
  • Genderstern: Vor zwei Jahren sorgte das neue Sprachleitbild der Stadt Bern für viel Diskussionsstoff. Die Aufregung ist mittlerweile abgeflacht. Ein Auswuchs davon wurde gestern Abend noch einmal im Stadtrat durchgekaut. Eine Motion der SVP fordert, dass auf den Sprachleitfaden zu verzichten und derjenige der Bundeskanzlei zu übernehmen sei. Die Diskussion drehte sich insbesondere um den Genderstern. «Wir nahmen den Genderstern auf und wir leben gut damit», betonte Stadtpräsident Alec von Graffenried. Die Motion wurde mit 6 zu 55 Stimmen abgelehnt.  
  • Öffentlichkeitsprinzip: Die Stadt soll laut einer interfraktionellen Motion das Öffentlichkeitsprinzip stärker umsetzen. Behördliche Daten sollen aktiv im Internet verfügbar gemacht werden, nach dem Bring- statt dem Holprinzip. Die Stadt Bern führt zwar eine Website mit offenen Daten, diese sei aber nicht aktuell, so Simone Machado (GaP). Die Motion wurde diskussionslos überwiesen.

PS: Bei den Wahlen 2020 gingen rekordmässige 55 von 80 Sitzen an Frauen. Naturgemäss gibt es während einer Legislatur viele Rücktritte. Tom Berger (FDP) hat nun wieder nachgezählt. Momentan seien noch 40 Frauen sowie eine nonbinäre Person im Stadtrat, schreibt er auf X. Eine kurze Nachzählung der «Hauptstadt» ergab: Ganz so drastisch ist es nicht. Nach dem gestrigen Rücktritt von Sara Schmid (SP) sind es laut dieser Zählung immerhin noch 43 Frauen und eine nonbinäre Person.

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