«Wir wollen nicht im Verkehr ersticken»
Der Klimaschutz ist beim Ausbau der A1 auf acht Spuren kein Thema. Zollikofen sei darüber erstaunt, sagt Gemeindepräsident Daniel Bichsel im Interview.
Die kritische Einsprache der Gemeinde Zollikofen zum Bauprojekt an der Autobahn A1 Ende Oktober hat viele erstaunt. Ein bürgerlich dominierter Gemeinderat einer Agglomerationsgemeinde stellt sich aus Klimaschutzgründen gegen den Ausbau auf acht Spuren.
Entsprechend irritiert reagierte der kantonale Baudirektor Christoph Neuhaus (SVP) in einem Interview mit Bund/BZ (Abo): «Die Agglomerationsgemeinden können froh sein, dass der Verkehr über die Autobahn abfliesst.» Gebe es im Grauholz einen Unfall, dauere es bloss wenige Minuten, bis es auf der Bernstrasse in Zollikofen zu einem Stau komme. «Ohne Ausbau wird Zollikofen im Verkehr ersticken», sagte Neuhaus. Die «Hauptstadt» hat bei SVP-Gemeindepräsident Daniel Bichsel nachgefragt, was seine Gemeinde dazu brachte, sich gegen den Spurausbau zu stellen.
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Das Bundesamt für Strassen und der Kanton sagen, der Ausbau der A1 am Grauholz auf acht Spuren sei auch im Dienste der Gemeinde Zollikofen. Warum sind ausgerechnet Sie gegen das Bauvorhaben?
Daniel Bichsel: Wir wollen die Interessen der Bevölkerung wahren und dies kann zum jetzigen Zeitpunkt einzig durch eine Einsprache erfolgen. Wir stehen dabei in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite haben wir die Gefahr, dass mehr Autobahnspuren schlicht mehr Verkehr generieren. Das hätte negative Folgen für den Klimaschutz und würde für mehr Lärm und Abgase sorgen. Wovon auch die Zollikofer Bevölkerung betroffen wäre. Auf der anderen Seite wissen wir, dass die Gemeinde Zollikofen vom Durchgangsverkehr stark tangiert ist, und ein Autobahn-Ausbau diesbezüglich auch Chancen bietet. Wenn heute am Grauholz Stau ist, haben wir auf der Bernstrasse schnell den Ausweichverkehr. In der Güterabwägung haben für den Gemeinderat die Argumente gegen den Ausbau überwogen.
Sie gewichten also den Klimaschutz höher als den Mehrverkehr auf der Bernstrasse.
Wir haben in den Unterlagen des Bundesamtes zum Bauprojekt keine Ausführungen zu den Auswirkungen des Spurausbaus auf das Klima gefunden. Das hat den Gemeinderat sehr irritiert. Wir befürchten durch den Spurausbau zudem eine Mehrbelastung für Landwirtschaft und Natur, so etwa bei der Biodiversität.
Würde die Bernstrasse mit dem Spurausbau überhaupt entlastet?
Der Ausbau hätte wohl einen positiven Effekt auf die Bernstrasse. Wir bräuchten aber weitere flankierende Maßnahmen gegen Ausweichverkehr. Man muss mit dem Verkehrsmanagement die Autos so lange wie möglich auf der A1 halten.
Ohne den Spurausbau werde Zollikofen im Verkehr ersticken, sagt ihr Parteikollege und Regierungsrat Christoph Neuhaus im Interview mit Bund/BZ.
Wir wollen nicht im Verkehr ersticken. Diese Gefahr wurde im Gemeinderat vor dem Entscheid diskutiert. Wir haben dann eine Interessenabwägung vorgenommen.
Mit ihrem Entscheid ist die Klimakrise auch in einem bürgerlichen Agglo-Gemeinderat angekommen?
Das Bekenntnis zum Klimaschutz manifestiert sich in Zollikofen auch im Leitbild, welches zu Beginn der Legislatur überarbeitet wurde und wo der Gemeinderat dem Klimaschutz und der Biodiversität Raum gab.
Auch Bauern und weitere Gemeinden wie Bern und Bolligen sind gegen den Spurausbau. Ist angesichts der Klimakrise das Umdenken in der Agglomeration schneller als bei Bund und Kantonen?
Das würde ich nicht sagen. Auch in Bundesämtern und beim Kanton gibt es Amtsstellen und Leute, die für den Klimaschutz tragbare und finanzierbare Lösungen suchen. Es wird auf allen Staatsstufen gut gearbeitet.
Dies ist für sie als SVP-Politiker kein einfaches Geschäft. Sie vertreten den Widerstand gegen den Strassenbau wohl contre coeur.
Ich vertrete die Kollegialbehörde. Ich halte mich an die Entscheide des Gemeinderates. Es ist aber klar, dass es in dieser Frage auch in Zollikofens Bevölkerung und Politik verschiedene Meinungen gibt.
Schauen wir in die Zukunft: Wie wollen Sie den Agglomerationsverkehr in den kommenden Jahrzehnten gestalten?
Wir müssen auf viele Mobilitätsformen setzen, insbesondere den öffentlichen Verkehr. Da sind wir in Zollikofen hervorragend erschlossen. Für die S8 gibt es gar Bestrebungen den 7,5-Minuten-Takt einzuführen. Beim Verkehrsmanagement Bern-Nord erhoffen wir uns auf der Strasse einiges.
Hauptsachen-Talk am 1. Dezember um 19.30 Uhr im Berner Progr.
Es diskutieren:
- Franziska Grossenbacher (Präsidentin VCS Region Bern, Gemeindeparlamentarierin Muri, Grüne)
- Christoph Neuhaus (Regierungsrat, SVP)
- Edi Westphale (Gemeinderat Zollikofen, GFL)
Moderiert wird der Anlass von Joël Widmer (Co-Redaktionsleiter «Hauptstadt»).