Mit einer Hechtrolle durchs Parkhaus

Immer mehr Berner*innen betreiben Parkour. Nun baut die Stadt dafür beim Wankdorf extra eine Anlage. Zudem findet dieses Wochenende ein Parkour-Festival auf der Schützenmatte statt. Wird Bern zur Parkour-Stadt?

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Flink und agil: Beim Parkour geht es um das Effiziente von A nach B kommen. (Bild: Niklas Eschenmoser)

«Was, jetzt schon eine Rolle?!» keucht ein Schüler entgeistert. Gerade wärmt er sich für das Parkour-Training auf. Die zehn Jugendlichen und jungen Erwachsenen und ihr Trainer befinden sich in einem Parkhaus im Berner Marzili. Gestartet sind sie auf der Grossen Schanze, dort treffen sie sich jeden Dienstagabend fürs Training. 

An diesem Dienstag regnet es wie aus Kübeln. Doch das Training findet bei jedem Wetter statt. Nach der Begrüssung mit Handschlag folgt eine Jogging-Runde zum Marzili-Parking, in dem die Gruppe heute trainiert. Anschliessend wärmen sie sich mit weiteren Übungen auf. Trainer Mirko Bristle bringt die Klasse ganz schön ins Schwitzen. 

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Von «ParkourONE» angestellt: Trainer Mirko Bristle. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Er führt aus, was die Sportart ausmacht: «Parkour ist die Kunst, möglichst effizient von A nach B zu kommen.» Dafür springen, laufen und rollen die Sportler*innen über alle möglichen Hindernisse im urbanen Raum. Bristle ist angestellt von «ParkourONE», dem grössten Schweizer Anbieter von Parkour-Trainings, der ursprünglich in Münsingen gegründet wurde.

«ParkourONE» ist kein Sportverein, sondern eine GmbH. Geschäftsführer Arvo Losinger erklärt: «Bei der Gründung fühlten wir uns von den Möglichkeiten eines klassischen Sportvereins eingeschränkt, deswegen die Entscheidung für eine GmbH.» Wichtig sei vor allem, dass das Unterrichten von Parkour mehr Platz im Leben der Trainer*innen einnehmen könne, als wenn sie dies auf freiwilliger Basis machen müssten. Denn «ParkourONE» zahlt ihren Trainer*innen einen Lohn, sodass sie vom Unterrichten leben können.

Doch die Tätigkeitsfelder von «ParkourONE» sind ganz ähnlich wie die eines Sportvereins. Die Firma organisiert Parkour-Trainings, sogenannte Klassen, in der ganzen Schweiz. Von Münsingen bis nach Basel, Winterthur, Zürich, ja sogar im Glarnerland gibt es Parkour. Eine Klasse besteht jeweils aus zwölf Teilnehmer*innen. Die jüngsten, die mit Parkour anfangen, sind gerade mal drei Jahre alt. «Die älteste Teilnehmerin, die ich hatte, war über 80-jährig», sagt Trainer Bristle. Über alle Altersstufen und Standorte hinweg unterrichtet «ParkourONE» über 500 Schüler*innen, die Tendenz sei, so Losinger, an allen Standorten steigend.

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Bis zu zwölf Teilnehmer*innen: eine Klasse von «ParkourONE». (Bild: Niklas Eschenmoser)

Mirko Bristle zeigt der Gruppe die nächste Übung vor. Leichtfüssig prescht er eine Mauer empor, balanciert über ein Geländer, springt über ein Tor und zum Schluss macht er noch einen grossen Satz ins Treppenhaus hinunter. Was wahnsinnig gefährlich tönt, ist es mit dem richtigen Risikobewusstsein nicht unbedingt. Bristle ermahnt die Schüler*innen: «Es hat geregnet und kann dadurch rutschig sein – etwas nicht zu machen, ist keine Niederlage.» Bristle erklärt, dass beim Training von «ParkourONE» ein Hauptziel die Gesundheit ist – sowohl körperlich als auch psychisch. «Selbsteinschätzung ist dabei eine wichtige Komponente», führt er aus. Dazu gehöre auch, eine Übung nicht zu machen.

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Was geht und was geht nicht? Selbsteinschätzung ist beim Parkour eine wichtige Komponente. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Laut einem Projektbericht der Stadt Bern ist der Parkoursport inzwischen «schweizweit bedeutend und erfreut sich steigender Beliebtheit.» Dafür genehmigte der Stadtrat im letzten Jahr einen Kredit für den Bau einer Parkour- und Bewegungslandschaft im Aussenbereich der Wankdorf-Turnhalle. Konkret: Es entsteht ein Park voller Hindernisse zum Überklettern und sich Entlanghangeln, zudem wird ein bestehendes Lagergebäude für Sportgeräte ausgebaut. Kostenpunkt 1,07 Millionen Franken. 

Arvo Losinger erklärt das Projekt genauer: «Für mich ist die Bewegungslandschaft eine Anlaufstelle zum Ausprobieren; eine Einladung zur Bewegung.» Die Klassen würden nach dem Bau der Landschaft auch weiterhin in Bern verteilt stattfinden. Losinger hofft, dass die Landschaft die Berner Parkour-Kultur stärke. «Jede Szene braucht ihren Stammplatz.»

In den Sommerferien sollen die Bauarbeiten beginnen. Auf die Frage, ob die Anlage auch für andere Akteur*innen als «ParkourONE» konzipiert sei, antwortet Christian Bigler, Leiter des Stadtberner Sportamts: «Wir gehen davon aus, dass die Anlage auch von Schulen, von Kindern und Jugendlichen aus dem Quartier, von Fitness-Sportler*innen und vermutlich auch von den Vereinen, die im Wankdorfstadion trainieren, genutzt wird.»

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Manchmal ganz langsam: Auch Kraftübungen gehören zum Parkour-Training dazu. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Das nächste Event, das die Herzen der Schweizer Parkourszene höherschlagen lässt, wird nicht im Wankdorf stattfinden, sondern auf der Schützenmatte in Bern. «EveryONE» heisst das Parkour-Festival, das am 11. und 12. Juni ausgetragen wird. Ein ganzes Wochenende lang soll die Schütz mithilfe einer mobilen Parkour-Anlage aus alten Baugerüsten zu ihrem ganz eigenen Parkour-Park werden. Es gibt Workshops für Schüler*innen und Neulinge. Internationale Gäste werden dort sein, Expert*innen aus der Parkourszene von England bis Serbien. 

Mit dem Namen «EveryONE», einem Wortspiel mit dem Firmennamen und dem englischen Wort für «alle», wollen die Organisator*innen des Parkour-Festivals zeigen, dass die in den Pariser Banlieues entstandene Sportart sehr niederschwellig ist. Eine spezielle Ausrüstung ist nicht nötig, Schuhe genügen. 

Doch ob das Praktizieren von Parkour auf eigene Faust – also ausserhalb eines geleiteten Trainings – für Anfänger*innen eine gute Idee ist, bleibt fraglich. Denn gerade für ungeübte Parkour-Sportler*innen ist die Einschätzung der Risiken, welche die Sportart mit sich bringt, nicht einfach.

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Mit Risiken verbunden: das Springen von Mauer zu Mauer. (Bild: Niklas Eschenmoser)

Und wirklich niederschwellig ist das Training bei «ParkourONE» nur bedingt. Ein Platz in einer Klasse, die zweimal in der Woche trainiert, kostet knapp 130 Franken pro Monat. 

Dieser Problematik sei man sich bewusst, meint Losinger. «Mit unserem Angebotskosten liegen wir zwischen einem Verein und anderen Angeboten wie Tanzen. Wichtig ist, dass unsere Trainer*innen davon leben können.» Bestrebungen, ein günstigeres Angebot zu erschaffen, würden aber laufen, sagt Losinger.

Eine eigene Parkourlandschaft und ein Festival – ist Parkour wirklich noch Underground oder schon Mainstream? Mit der Silhouette des Bundeshauses im Rücken auf dem obersten Deck des Marzili-Parkings stehend, meint Trainer Mirko Bristle: «Mainstream ist Parkour sicherlich nicht.» Zwischen Parkour und anderen Sportarten wie Fussball lägen immer noch Welten. Aber Parkour sei akzeptierter denn je: «Heute wird nicht mehr bei jedem Training die Polizei gerufen, weil die Leute meinen, dass wir randalieren.»

Du willst dir selbst ein Bild von der Sportart Parkour machen? Hier findest du weitere Infos zum Parkour-Festival «EveryONE».

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