Teurer Wohnen

Eine kantonale Initiative fordert transparente Vormieten. Was diese nützen würden, ist umstritten. Erwiesen ist aber: Eine Wohnung in Bern zu finden, wird immer schwieriger.

Abendstrasse 30 im Zusammenhang mit den Leerkuendigungen in der Stadt Bern fotografiert am Montag, 8. September 2025 in Bern buempliz. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
An der Abendstrasse 30 in Bümpliz erhielten 144 Mietparteien kürzlich die Kündigung. Das Haus wird saniert. (Bild: Simon Boschi)

Weisst du, wie teuer deine Wohnung war, bevor du sie gemietet hast? Falls du es nicht weisst: Bei einem nächsten Umzug könnte das eventuell anders sein. 

Ende September entscheidet das Berner Stimmvolk über eine kantonale Initiative, die Vermieter*innen vorschreiben würde, neuen Mieter*innen die Vormieten mit einem Formular offenzulegen. Die Regel würde gelten, wenn Wohnungsmangel herrscht.

Formularpflicht soll präventiv wirken

Der Berner Mieterverband hat die Volksinitiative lanciert. SP, Grüne und EVP unterstützen sie. Die Pflicht zur Offenlegung der vorherigen Mieten soll missbräuchliche Mietzinserhöhungen bekämpfen. 

Als missbräuchlich gilt in der Regel eine Erhöhung um zehn Prozent oder mehr, ohne dass es Gründe wie etwa eine Sanierung gibt. In diesem Fall können Mieter*innen die Erhöhung anfechten. Was natürlich bedingt, dass sie auch davon wissen.

Schon jetzt kann man verlangen, den Mietzins des Vormieters zu erfahren. Mit Annahme der Initiative müsste er aber automatisch offengelegt werden. Sabina Meier, Geschäftsleiterin des Berner Mieterverbandes, sagt: «Anfechten ist die letzte Möglichkeit. Die Offenlegung soll aber vor allem präventiv wirken.» Sie ist überzeugt, dass es mit mehr Transparenz per se weniger ungerechtfertigte Mieterhöhungen gäbe.

Gegen die Initiative sind die bürgerlichen Parteien, Wirtschaftsverbände und auch der Hauseigentümerverband. Sie argumentieren, die Transparenzpflicht wäre wirkungslos und würde nur unnötigen administrativen Aufwand generieren. 

Patrick Freudiger vom kantonalen Hauseigentümerverband sagt dazu: «Es gibt keine Evidenz, dass die Massnahme eine Wirkung gegen steigende Mieten hätte. Aber die Formularpflicht würde mehr Bürokratie bedeuten.» Die Bürokratie wäre laut Freudiger vor allem für private Vermieter*innen ein Nachteil. Und solche seien in der Regel bei Mieter*innen beliebter als unpersönliche Verwaltungen. 

Neun Kantone haben die Pflicht bereits eingeführt. In Zürich gilt sie seit 2013. Auf nationaler Ebene entschied sich der Nationalrat 2023 dagegen.

Wie viel die Vorschrift zur Offenlegung tatsächlich bringt, etwa im stark von Wohnungsnot betroffenen Zürich, ist schwierig zu beziffern. Es hat in den letzten zehn Jahren keine aussagekräftigen Untersuchungen dazu gegeben. Eine ältere Studie der Immobilienfirma Iazi ergab, dass mit der Formularpflicht die Mieten pro Jahr ganz leicht, um 0,25 Prozent, weniger anstiegen. Sabina Meier sagt: «Unsere Erfahrung zeigt, dass in Zürich die Sprünge bei Mieterwechseln früher massiver waren als heute.»

Bahnstrasse 59 im Zusammenhang mit den Leerkuendigungen in der Stadt Bern fotografiert am Montag, 8. September 2025 in Bern holligen. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Zwei kernsanierte Häuser an der Bahnstrasse in Holligen werden neu zu 70 Prozent teurer vermietet als davor. (Bild: Simon Boschi)

Wo sich Mieter- und Hauseigentümerverband allerdings einig sind: Die Lage auf dem Berner Wohnungsmarkt ist angespannt. Das sagen sowohl Sabina Meier als auch Patrick Freudiger. Besonders in der Stadt werde es für Mieter*innen zunehmend schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. 

Angespannte Lage für Berner Mieter*innen

Das ist nicht neu. Der ausgetrocknete Wohnungsmarkt ist ein viel diskutiertes Thema. Doch wie drastisch ist die Situation in der Region Bern momentan? Woran lässt sich das festmachen? Und wo würde die Initiative was bewirken?

Die «Hauptstadt» hat die wichtigsten Faktoren zusammengetragen, um sich ein Bild vom Berner Miet-Markt zu machen. Und sie hat neben dem Hauseigentümer- und Mieterverband mit zwei Personen gesprochen, die wissen, wie es Mieter*innen mit kleinem Budget geht.

Um den Wohnungsmarkt zu beschreiben, gibt es verschiedene Messwerte. Für ein präzises Bild schaut man sich am besten mehrere davon an.

Mietpreisindex: Die Stadt Bern errechnet jährlich den «Berner Index der Mietpreise». Er soll ein über die Jahre vergleichbares Bild der Nettomieten zeigen. Der Index zeigt seit Jahren steil nach oben. 2023 und 2024 stiegen die Mieten um je zirka 3 Prozent. In den vergangenen 20 Jahren waren es insgesamt rund 30 Prozent. 

Leerwohnungsziffer: Diese Zahl führen auch die Initiant*innen der Miet-Initiative ins Feld. Die Transparenzpflicht soll nur gelten, wenn die Leerwohnungsziffer in einem Verwaltungskreis bei unter 1,5 Prozent liegt. Das gilt laut Initiative als Wohnungsmangel. Ein solcher herrscht nach dieser Definition in Teilen des Kantons. In der Stadt Bern beträgt die Ziffer aktuell 0,44 Prozent. Noch tiefer liegt sie in Thun mit 0,18 Prozent. Als Vergleich: Die Stadt Zürich, deren Wohnungsmarkt schweizweit wohl am stärksten unter Druck steht, verzeichnet 0,1 Prozent. Auch im Emmental und im gesamten Berner Oberland lag die Zahl letztes Jahr unter 1,5. Im Oberaargau, Seeland, Berner Jura und in Biel lag sie darüber. Am meisten leere Wohnungen gab es im Berner Jura (3,84 Prozent).

Altbestandesmieten: Wer lange in der gleichen Wohnung lebt, ist weniger von den steigenden Mietpreisen betroffen. Das zeigt eine Untersuchung, die das Bundesamt für Wohnungswesen machen liess. Sie ist nicht spezifisch auf Bern ausgerichtet, zeigt aber für die gesamte Schweiz: Die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen sind zwischen 2006 und Ende 2023 nur leicht angestiegen, nämlich im Schnitt um insgesamt fünf Prozent. Enorm viel stärker steigen die Angebotsmieten – die Preise, die Vermieter*innen bei neuen Vermietungen fordern.

Insertionsdauer: Ein Indikator ist auch, wie lange Wohnungsinserate ausgeschrieben bleiben. Diese Dauer erhebt der Hauseigentümerverband regelmässig. In der Stadt Bern wird sie immer kürzer. Im vergangenen Jahr waren es im Schnitt 18 Tage. Der Schweizer Durchschnitt lag bei 23 Tagen. Das zeige, dass sich die Situation am Mietwohnungsmarkt weiter anspanne, schreibt der Verband. 

Damit wird deutlich: Ja, die Situation für Mieter*innen in der Stadt Bern und Umgebung wird immer angespannter. Besonders für jene, die eine neue Wohnung suchen – oder suchen müssen. Sabina Meier vom Mieterverband sagt: «Zürich ist Bern bei den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt etwa fünf Jahre voraus. Und Biel kommt noch einmal fünf Jahre später.»

Anstehende Sanierungen

Meier spricht damit auch Sanierungen von Wohnhäusern an. Diese können zu Leerkündigungen führen. Nach der Sanierung steigt die Miete in der Regel an. Menschen, die auf günstige Mieten angewiesen sind, werden dadurch tendenziell weiter in die Peripherie verdrängt. 

Kürzlich kam es in einem Wohnblock in Bümpliz zu Leerkündigungen, bei denen 144 Mietparteien ihre Wohnungen an der Abendstrasse bis nächstes Jahr verlassen müssen. In den Quartieren Lorraine und Breitenrain gab es allein im letzten halben Jahr Leerkündigungen in sieben Liegenschaften, wie die Quartierkommission Stadtteil V der «Hauptstadt» mitgeteilt hat. Und zwei gerade kernsanierte Häuser an der Bahnstrasse in Holligen werden neu zu 70 Prozent teurer vermietet als davor. 

Das wird sich laut Sabina Meier in den nächsten Jahren verschärfen. Sie sagt: «Gerade im Westen von Bern gibt es viele Überbauungen aus den 1960er- und 70er-Jahren. Hier steht eine Erneuerungsphase an.» 

Markus Flück von der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit VBG sieht es gleich, wie er auf Anfrage der «Hauptstadt» sagt. Positiv schätzt er ein, dass viele der in die Jahre gekommenen Überbauungen genossenschaftlich organisiert sind. «Trotzdem wird der Wohnraum nach Sanierungen teurer», sagt er. Auch eher kleine Mietpreiserhöhungen können für Personen mit tiefen Löhnen ein Problem sein.

Aus der Quartierarbeit in verschiedenen Stadtteilen bekommt Flück auch mit, dass es bei Leerkündigungen zunehmend schwieriger werde, eine Alternative zu finden – wegen den ohnehin steigenden Mieten. Er beobachtet auch, dass Personen vermehrt auf temporäre Wohnungen ausweichen. «Das führt zu einer Spirale, bei der die Leute immer wieder neue Wohnungen suchen müssen», sagt er.

Scheibenstrasse 27/29 im Zusammenhang mit den Leerkuendigungen in der Stadt Bern fotografiert am Montag, 8. September 2025 in Bern breitenrain. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Auch an der Scheibenstrasse im Breitenrain kam es zu Leerkündigungen. (Bild: Simon Boschi)

Der Berner Mieterverband verzeichnet seit etwa vier Jahren «markant zunehmende Mitgliederzahlen», wie Sabina Meier sagt. In Beratungen werde ausserdem öfter Hilfe zum Thema Mietpreise und bezahlbarer Wohnraum gesucht. 

Der Hauseigentümerverband sieht das Problem hingegen weniger bei den Sanierungen als bei zu wenig Neubauten. «Es wird viel zu wenig gebaut», sagt Patrick Freudiger. Tatsächlich wird gemessen am Bevölkerungswachstum in der Schweiz so wenig gebaut wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Kanton Bern müssten nach Freudigers Ansicht dringend die Bauvorschriften vereinfacht werden. 

Ausgelastete Wohnberatung

Seit Februar 2024 gibt es in der Stadt Bern als Reaktion auf den ausgetrockneten Wohnungsmarkt eine Wohnberatung für Personen mit wenig Geld. Das städtische Angebot wird von der Heilsarmee geführt. Personen auf Wohnungssuche erhalten in der Walk-In-Beratung Unterstützung beim Erstellen von Bewerbungsdossiers oder beim Suchen von Inseraten und Ausfüllen von Formularen. 

Leo Schindler ist der Leiter der Wohnberatung. Er sagt im Gespräch mit der «Hauptstadt»: «Die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt ist krass.» Wer wenig Einkommen und kein einwandfreies Dossier habe, etwa weil er oder sie einmal betrieben worden ist, müsse aktuell viel Ausdauer bei der Wohnungssuche haben. Vor allem günstige Einzimmerwohnungen seien schwierig zu finden.

«Viele Personen sind schon ein halbes Jahr bis ein Jahr auf der Suche, bevor sie überhaupt zu uns kommen», sagt er. Ein Kunde habe kürzlich 60 Wohnungen besichtigt und Bewerbungen verschickt, bis es geklappt habe. «Man findet noch preisgünstige Wohnungen in Bern, aber es braucht Geduld», sagt Schindler. Deshalb seien kurzfristige Kündigungen ein grosses Problem für Personen mit kleinem Budget. 

Denn auch Ausweichen auf die Agglomeration sei nicht immer möglich: «Weil dadurch zum Beispiel mehr Fahrkosten für die Arbeit entstehen, ist das nicht in jedem Fall günstiger.»

Die Wohnberatung ist seit ihrer Gründung stark ausgelastet. In den letzten drei Monaten habe die Nachfrage noch einmal zugenommen. «Das könnte aber auch daran liegen, dass sich das Angebot herumspricht», sagt Leo Schindler. 

Unbestritten ist: Personen mit wenig Geld, die sich eine neue Wohnung suchen müssen, trifft der angespannte Wohnungsmarkt natürlich am härtesten.

Die kantonale Miet-Initiative würde an der Wohnraum-Knappheit nichts ändern. Die Initiant*innen sehen sie aber als Massnahme für bezahlbaren Wohnraum. «Unser Ziel sind gleich lange Spiesse für Vermieter*innen und Mieter*innen», sagt Sabina Meier.

Wie gross die Wirkung der transparenten Vormieten tatsächlich wäre, ist mit Blick nach Zürich nicht garantiert. Dennoch setzt die Pflicht dort an, wo die Preise am stärksten steigen: bei Mieterwechseln. Und die Transparenzpflicht käme relativ vielen Personen zugute: Im Kanton Bern sind über 60 Prozent der Einwohnenden Mieter*innen. 

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