Le Corbusier für Fortgeschrittene
Das Zentrum Paul Klee zeigt den als Architekten und Designer bekannten Le Corbusier als kompletten, faszinierenden Künstler. Und doch bleibt die Ausstellung auf kühler Distanz zu ihm.
Kannte Le Corbusier Grenzen? In seinem Kopf jedenfalls nicht, lautet das Fazit nach dem Besuch der neuen Ausstellung im Zentrum Paul Klee.
Der Schweizer Designer und Architekt, der eigentlich Charles-Edouard Jeanneret hiess und 1887 in La Chaux-de-Fonds geboren wurde, ist bekannt als genialer Möbelgestalter – etwa der legendären Corbusier-Liege. Le Corbusier erlangte zu Lebzeiten Weltruhm als visionärer Stadtplaner, der sein Schaffen selber in einem schönen Zitat auf den Punkt brachte: «Utopie ist die Realität von morgen.»
Geprägt von der Zerstörung in Europa nach dem Ersten Weltkrieg glaubte Le Corbusier daran, mit Rationalität und Radikalität im Bauen Millionen von Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Im indischen Chandigarh erhielt er die Möglichkeit, eine ganze Stadt neu zu entwerfen. Heute gehört Le Corbusiers radikaler Wurf in der nordindischen Monsunzone zum Weltkulturerbe der Unesco. Entschlossen trieb Le Corbusier auch die Idee der vertikalen Stadt voran – im Hochhaus Unité d’habitation in Marseille etwa sind im gleichen Monsterbau Wohnungen und eine Einkaufsstrasse vereint.
Prägend für die Figur Le Corbusier ist auch sein Sendungs- und Selbstbewusstsein, das man heute wohl als Mansplaining bezeichnen würde. Eindrücklich thematisiert wird das im 2024 erschienenen Schweizer Dokumentarfilm «E.1027 – Eileen Gray und Haus am Meer». Die irische Designerin Gray baute sich einen spektakulären Rückzugsort an der Côte d’Azur. Als Le Corbusier sich dort aufhielt, bemalte er gegen ihren Willen die Wände mit farbigen Fresken – und machte Grays Villa zu einem Kultort, der mit dem Namen Le Corbusier verbunden blieb.
Es ist gut, das alles mindestens grob zu wissen, ehe man sich in die Berner Le-Corbusier-Ausstellung begibt. Denn sie macht einen nicht neu mit ihm bekannt, sondern zeigt unbekannte Facetten einer Persönlichkeit, die man besser schon ein wenig kennt.
Nina Zimmer, Direktorin von Kunstmuseum und Zentrum Paul Klee, und der verantwortliche Kurator Martin Waldmeier dokumentieren eindrücklich Le Corbusiers Obsession, Ordnung schaffen zu wollen. In seinem Kopf – und in der Welt. Le Corbusier war nicht nur Designer und Architekt, sondern auch Maler, Zeichner, Plastiker und Sammler. Sowie Autor und Redner – eine Art Influencer Jahrzehnte vor den Sozialen Medien.
Er sah sich als universeller Rechercheur, der Erkenntnisse aus der einen Disziplin virtuos in die andere fliessen liess. Er schuf Skulpturen, deren Formen in seiner Architektur auftauchen. Seine städteplanerischen Visionen befruchteten seine Malerei, und aus der künstlerischen Auseinandersetzung mit Farben entstand eine eigenständige Le-Corbusier-Farbenharmonie für die Architektur. Akademischer Dünkel, gesellschaftliche Konventionen, künstlerische Disziplinen motivierten ihn, Kategorien hinter sich zu lassen. Einen universitären Abschluss als Architekt besass der Architektur-Inspirator nicht.
Es ist das Verdienst des Zentrums Paul Klee, den Schaffensprozess der unkonventionellen Figur Le Corbusier herauszuschälen. Aber was, wenn man als Besucher*in kaum Vorwissen über ihn hat? Dann bleibt die Ausstellung ein schwieriges Gelände, das man unbefriedigt verlässt, weil der Bezug zur Hauptperson unterkühlt bleibt. Klar, es gibt eine Vermittlungsecke, in der einige Kontroversen um den schillernden Le Corbusier sorgfältig aufgearbeitet werden – etwa seine vorübergehende Nähe zum faschistischen Vichy-Regime in Frankreich oder zum Nationalsozialismus.
Aber als Laie nimmt man viele Fragen aus dem Museum mit. Wie behielt er den Glauben an seinen Weg und seine Visionen, obschon er auch auf viel Ablehnung stiess? Wie geht es Menschen, die in Le Corbusiers Bauten leben? Was ist in heutigen städtischen Siedlung – vielleicht sogar in Bern – von Le Corbusiers Erbe sichtbar? Leichtfüssige Links und Orientierungshilfen zur ausserhalb des Museums gelebten Realität fehlen fast vollständig. Sie würden eine Begegnung mit einer der einflussreichsten Figuren des Kulturlebens im 20. Jahrhunderts erleichtern.
Denn ja, Le Corbusier kann auch unseren Alltag inspirieren. Kurator Martin Waldmeier brauchte an der Einführung für die Medien unglaublich oft das Wort unglaublich. Und brachte damit unglaublich genau auf den Punkt, was Le Corbusier war: unglaublich.
Le Corbusier - die Ordnung der Dinge. 8.2. bis 22.6.2025. Zentrum Paul Klee.