Auf 1000 Grad geheizt mit russischem Gas
Gasser Ceramic mit Sitz in Rapperswil bei Schüpfen ist die zweitgrösste Ziegelei der Schweiz. Die Öfen laufen Tag und Nacht. Geheizt werden sie mit Erdgas. Viermal mehr als im letzten Oktober zahlt der Industriebetrieb dafür. Doch was bedeutet das?
Meterhoch türmen sich in Rapperswil die Backsteine, abgepackt in Plastik. Auf der Ladestrasse steht ein Camion, er wartet auf die Ware. Staplerfahrer kurven routiniert um die Backstein-Türme herum. Es ist noch kalt an diesem Montagmorgen, die Vögel zwitschern nur zögerlich. Doch hier im Freiluftlager der Ziegelei Rapperswil brummt der Betrieb.
Es ist für Gasser Ceramic ein super Monat. Alle langjährigen Kund*innen wollen jetzt noch Ziegel und Backsteine bestellen. Denn ab dem 1. April erhöht die Ziegelei die Preise: 18 Prozent beträgt der Aufpreis. Geschäftsführer Rudolf Gasser nennt die Preiserhöhung einen «Energiezuschlag».
Die Energie, das ist Gas aus Russland. Es kommt direkt aus der Hauptleitung, die quer durch die Schweiz führt.
Als 1984 eine Erdgasleitung von Basel übers Limpachtal Richtung Neuenburg gelegt wurde, habe die Betreiberfirma angerufen, erzählt Gasser. Ob die Ziegelei ein Extrabögli wolle? Und so macht die Erdgasleitung heute einen Bogen aus dem nahen Limpachtal zur Ziegelei Rapperswil.
Vom Mittelland bis nach Genf
Rudolf Gasser lacht herzlich, als er diese Anekdote erzählt. Er sitzt im grossen Präsentationsraum der Ziegelei, gebaut aus Backsteinen und gedeckt mit Ziegelsteinen. Ehrensache! Gemeinsam mit seinem Cousin Hans Gasser führt er Gasser Ceramic in dritter Generation. Das Unternehmen beherrscht den Markt vom Berner Mittelland bis nach Genf und produziert an fünf Standorten, die es in den letzten Jahren kontinuierlich aufgekauft hat. Damit ist der Betrieb nach den Zürcher Ziegeleien die zweitgrösste Ziegelei der Schweiz. Der Hauptsitz befindet sich hier in Rapperswil bei Bern, hier sind auch mehrere grosse Fabrikgebäude.
Sie verdecken die Sicht auf die riesige Grube, wo der Lehm seit über 100 Jahren abgebaut wird. Grosse Maschinen sind dort am Werk. Doch sie wirken im riesigen Gelände fast ein bisschen verloren und noch dazu leise, denn die Grube schluckt den Lärm. Sie lockern, graben, transportieren. Der Rapperswiler Lehmboden besteht aus 42 Gesteinsschichten - einige davon sind gut sichtbar. Manche enthalten mehr Kalk, andere weniger, je nachdem haben sie eine andere Färbung. Um qualitativ gute Ziegel zu erhalten, braucht es die richtige Mischung.
Obwohl die Produktion hier fünf Tage die Woche läuft, werden pro Jahr nur gerade sieben Zentimeter zusätzlicher Boden abgetragen. Der Rohstoff geht noch lange nicht aus. Jeder einzelne Produktionsschritt findet hier vor Ort statt – vom Abbau bis zur fertig befüllten und in Plastik verpackten Europalette. Das gibt es in der heutigen Zeit der Spezialisierung nicht mehr oft.
Ein Wachstumsmarkt ist die Ziegel- und Backsteinherstellung nicht. Sie ist massgeblich von der Neubautätigkeit abhängig. Aber sie war bisher ein krisenresistenter, stabiler Industriezweig, bei dem immer noch 85 Prozent der Produktion aus dem Inland stammt. Verbaut werden die Ziegelsteine weniger in den Städten, wo in die Höhe gebaut wird und es dazu Materialien wie Beton und Eisen braucht. Und mehr in den Ein- und Mehrfamilienhäusern auf dem Land. Der Neubau ist zwar seit Jahren rückläufig, aber auf hohem Niveau. Dazu kommen Ziegeldächer, die von Zeit zu Zeit neu gedeckt werden müssen.
120 Meter lange Öfen
Trotzdem hat Rudolf Gasser in letzter Zeit Sorgen. Es sind die Erdgaspreise, die ihm zu schaffen machen. Um 400 Prozent sind sie seit letztem Oktober gestiegen. Viermal mehr für jede Kilowattstunde. Das macht viel aus in seinem Betrieb. Denn die 120 Meter langen, 5 Meter breiten und 3 Meter hohen Öfen werden mit Erdgas betrieben. Sechs solcher Öfen, die aufheizen bis 1050 Grad Celsius, besitzt das Unternehmen. Zwei davon stehen hier in Rapperswil. Sie laufen immer, Tag und Nacht. Wenn einer abgestellt wird, bedeutet das einen Unterbruch von etwa zwei Monaten. Denn es braucht einige Tage, bis er auskühlt. Dann muss er gewartet werden und anschliessend wieder aufgeheizt. Ist die Nachfrage gross, laufen alle Öfen. Ist sie kleiner, werden einzelne Öfen abgestellt. So kann die Produktion reguliert werden.
15 Prozent der Betriebskosten der Ziegelei sind Energiekosten, ein grosser Teil davon sind die Öfen, die kurzfristig auch gar nicht anders als mit Erdgas beheizt werden können. Dazu kommen die Maschinen, die mit Strom betrieben werden. Der gestiegene Erdgas-Preis kostet den Industriebetrieb mehrere Hunderttausend Franken im Monat. «Aufs Jahr gesehen werden es wohl mehrere Millionen Franken sein», sagt Gasser. Der 18-prozentige Zuschlag, den Gasser seinen Kund*innen ab April verrechnet, entspreche nicht den Mehrkosten. «Um alle Kosten zu decken, müssten wir die Preise um 30 Prozent erhöhen.» Das lasse sich nicht umsetzen. «Wir hoffen, dass wir so trotzdem noch in den schwarzen Zahlen bleiben.»
Das ist die kurzfristige Situation. Und die langfristige?
Die Schweiz will laut Bundesrätin Simonetta Sommaruga keine neuen Erdgas-Lieferverträge mit Russland mehr abschliessen. Russland aber liefert momentan 43 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Erdgases, das die Schweiz über andere europäische Länder bezieht. «Was passiert, wenn diese 43 Prozent wegfallen?», fragt Rudolf Gasser.
Das wäre der Fall, wenn die Schweiz kein russisches Gas mehr importieren würde und auch keine Alternativen bereitstehen würden. In diesem Fall müsste die Politik entscheiden, wer beim Konsum Vorrang hätte.
«Ich schätze, in der Schweiz heizen wohl etwa drei bis vier Millionen Haushalte mit Gas – und etwa 200 bis 300 Industriebetriebe hängen davon ab», sagt Gasser. Dann hält er inne. Eine rhetorische Pause. Es läuft hinaus auf ein Entweder-Oder. Entweder die Industrie. Oder die Privathaushalte. «Und im nächsten Winter will man die Leute wohl nicht frieren lassen.»
«Natürlich, wenn das Gas für Industriebetriebe abgestellt wird, stehen wir still», sagt er. «Kurzfristig», betont er gleich darauf. 250 Angestellte hat die Ziegelei, die allermeisten davon direkt im Betrieb. Sie müssten dann in Kurzarbeit. Entlassungen kann und will er sich nicht vorstellen.
Was könnte die Lösung sein?
«Wir sind für den Change auf ökologischere Energieträger», sagt er dann. Für Lösungen weg von den fossilen Energieträgern. «Aber es muss immer im Rahmen des Möglichen sein.» Das sei in der Industrie halt ein nicht ganz einfacher Prozess. Er persönlich setze grosse Hoffnung auf Wasserstoff. «Aber diese Technologie ist noch nicht so weit.»
Bis dahin bleibt die Ziegelei Rapperswil abhängig von Erdgas – abhängig von Putin. «Als Bürger finde ich: Ja, sofort den Gashahn aus Russland abstellen», sagt Gasser, «aus Sicht der Ziegelei jedoch sage ich, nein, das geht so kurzfristig nicht.»
Es sind Abhängigkeiten, die sich nicht so einfach beseitigen lassen. Und Russland ist nur eine davon. Geht es um die Solarpanels für die eigens entwickelten Solarziegel, ist die Ziegelei Rapperswil auf Hersteller aus China angewiesen. «Ich würde gerne mit einem lokalen Anbieter arbeiten», sagt Gasser, den gebe es aber nicht.
Abhängig vom Ausland
Und so ist dieser einheimische Industriebetrieb, der vom Abbau bis zum fertigen Produkt alles vor Ort herstellt, doch abhängig – von russischem Erdgas, von chinesischen Solarzellen. Auch wenn der Baustoff ökologischer als Beton ist, weil er aus natürlichen Bestandteilen besteht und vor Ort produziert wird.
Die Produktion in der Halle läuft auf Hochtouren. Es ist laut. Hier hämmert es, da dampft es, dort rüttelt es monoton. Und weiter drüben machen sich zwei Mechaniker mit Werkzeugen an einer Maschine zu schaffen. Auf der einen Seite des Raumes stehen unzählige sogenannter Kassetten, in denen gebrannte Ziegel darauf warten, weiterverarbeitet zu werden. Zwei Arbeiter sitzen am Band und klopfen Rhythmen. Jeder einzelne Ziegel wird von Hand abgeklopft. Am Ton hört man, welche zu wenig stabil sind. Die werden aussortiert, kommen später fein zermalmt wieder in die Grube, damit sie noch später wieder dem Lehm beigemischt werden können. Die restlichen werden eingepackt und auf den Europaletten zu den anderen gestellt. Es sind unendlich viele.
«Ende Monat werden die Lager ziemlich leer sein», sagt Rudolf Gasser. Dann komme der April und der Energiezuschlag. Es werde ruhiger werden. «Wir werden weiter produzieren, die Lager wieder füllen.»
Meterhoch werden die Türme aus Backsteinen sein. Gefüllte Lager, so dass sogar bei einem Gasstopp noch für einige Zeit weitergebaut werden kann.