Der Zivildienst soll den Zivilschutz retten

Der Kanton Bern hat, wie andere Kantone, zu wenig Zivilschützer*innen. Nun will der Bundesrat Zivildienstleistende zwingen, ihren Dienst im Zivilschutz zu absolvieren.

Impressionen vom Audi Fis Ski Worldcup Adelboden fotografiert am 07.01.2022 in Adelboden. (Manuel Lopez)
Eigentlich bereiten sich die Zivilschützer auf Notlagen vor: Doch der WK wird auch genutzt, um beim Ski-Weltcup in Adelboden die Infrastruktur zu erstellen. (Bild: Manuel Lopez)

In ihren Wiederholungskursen erneuern Zivilschützer*innen Wanderwege oder präparieren für die Ski-Weltcup-Rennen in Adelboden die Rennpiste. Eigentlich wären WK aber Ausbildungsübungen für Notlagen. Dann muss der Zivilschutz bereit sein, um nach 24 Stunden die Blaulichtorganisationen abzulösen. In der Region Bern ist das öfter der Fall in Hochwassersituationen.

Doch dem Berner Zivilschutz fehlen derzeit Männer (oder Frauen), die dort ihren Dienst leisten. In den letzten vier Jahren sank die Anzahl Zivilschutzleistende im Kanton Bern von 10’156 im Jahr 2019 auf 7’506 im aktuellen Jahr (siehe Grafik). Damit fällt der Kanton laut Olivier Andres vom Amt für Bevölkerungsschutz schon in diesem Jahr unter den sogenannten Sollbestand. Das ist jene Anzahl Zivilschützer*innen, die als Mindestbestand für die Erfüllung der Aufgaben definiert wurde. Für den Kanton Bern wurde die Zahl auf 7'765 festgesetzt.

Gründe für die tiefen Zahlen gibt es mehrere. Der starke Rückgang vom Jahr 2020 zum Jahr 2021 ist grösstenteils auf die Gesetzesänderung auf Bundesebene zurückzuführen. Die Dienstdauer wurde mit der Armee harmonisiert und damit auf 14 Jahre reduziert. Damit werden die Zivilschützer*innen früher als bisher aus der Dienstpflicht entlassen, womit sich der Bestand reduziert.

Neben der Dienstdauerverkürzung setzt derzeit auch die erhöhte Rekrutierungsquote der Armee dem Zivilschutz zu. Diese hat 2015 die Tauglichkeitskriterien angepasst und eine differenzierte Tauglichkeit eingeführt. Seither ist der Anteil der Stellungspflichtigen, die militärdiensttauglich werden, um 7 Prozent gestiegen, wodurch die Zahl der Schutzdiensttauglichen im gleichen Umfang zurückging. Auch die geburtenschwachen Jahrgänge drücken derzeit die Bestandszahlen nach unten.

Impressionen vom Slalom am Sonntag am Weltcup Adelboden fotografiert in Adelboden am 8.1.2023. (Manuel Lopez)
Trotz Bestandes-Rückgang: Für die Pistenpräparation in Adelboden hatte es dieses Jahr doch genug Zivilschützer. (Bild: Manuel Lopez)

Der Rückgang des Zivilschutz-Bestandes hielt daher in den letzten beiden Jahren an und zwar nicht nur im Kanton Bern. Auch gesamtschweizerisch ist der Bestand mit 68’000 Zivilschutzangehörigen unter den definierten Sollbestand von 72’000 gefallen. Nun will der Bundesrat den Kantonen mit einer Gesetzesänderung helfen, diesen Unterbestand zu beheben. 

Der Zivilschutz soll dabei im Notfall durch den Zivildienst gerettet werden. Hat eine Zivilschutzorganisation einen Unterbestand, der nicht durch Zivilschutzangehörige benachbarter Verbände aufgefangen werden kann, darf sie in ihrer Region künftig Zivildienstleistende zum Zivilschutz zwingen. Im Zivildienst eingeteilt sind Personen, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten können und wollen. Ende 2021 waren 55’095 Personen zivildienstpflichtig. Aktuell suchen die Zivis sich ihre Einsatzbetriebe selber aus und planen den Ablauf ihres Dienstes selber.

Zivilschutz

Der Schweizer Zivilschutz wurde 1959 mittels Volksabstimmung eingeführt. Nach den beiden Weltkriegen hatte ein starker politischer Wille bestanden, die Bevölkerung vor den Folgen eines weiteren Krieges umfassend zu schützen. Der Zivilschutz leistet heute den Schutz der Bevölkerung vor natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und anderen Notlagen. Er stärkt die Durchhaltefähigkeit der Einsatzkräfte und kommt ergänzend zu Feuerwehr, Polizei, Rettungsdiensten und Gesundheitswesen zum Einsatz. Der Zivilschutz stellt u.a. Schutzinfrastruktur und Mittel zur Alarmierung der Bevölkerung bereit und unterstützt die Führungsorgane von Bund und Kantonen.

Neu könnten sie aber in den Zivilschutz gezwungen werden. Dazu schreibt der Bundesrat in seiner Vernehmlassungsvorlage, die er vor einigen Wochen verabschiedete: «Sind sämtliche Mittel des Zivilschutzes zur Behebung des Unterbestands ausgeschöpft, so können zivildienstpflichtige Personen verpflichtet werden, in solchen Zivilschutzorganisationen einen Teil ihrer Zivildienstpflicht zu leisten.» Die verpflichteten Zivis würden laut dem Gesetzesentwurf höchstens 80 Tage ihres maximal 390 Tage dauernden Dienstes in der Zivilschutz-Organisation leisten. Sie müssten die Zivilschutz-Grundausbildung absolvieren und können auch Kaderausbildungen machen. Damit greift der Bundesrat zur Rettung des Zivilschutzes ziemlich stark in die Organisation des Zivildienstes ein.

Zivildienst

Die Schweiz kennt seit 1992 einen zivilen Ersatzdienst für Militärdienstpflichtige, die den Militärdienst aus Gewissensgründen nicht leisten können. 2009 wurde die Gewissensprüfung abgeschafft, seither darf jeder Schweizer ohne Prüfung in den Zivildienst wechseln. Doch es gibt eine Hürde: Der Zivildienst dauert das 1,5fache des noch zu leistenden Militärdienstes, also maximal 390 Tage. Geleistet wird er schwerpunktmäßig im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Umweltschutzbereich und der Landwirtschaft. Zudem sind Auslandseinsätze in der Entwicklungszusammenarbeit möglich. Die Einsätze werden selbständig ausgesucht und mit anerkannten Einsatzbetrieben vereinbart. Die Vollzugsstelle des Zivildienstes erstellt daraufhin das Aufgebot. Ende 2021 waren rund 55'095 Personen zivildienstpflichtig.

Entsprechend brüskiert zeigt sich Civiva, die Organisation der Zivildienstleistenden und Einsatzbetriebe des Zivildienstes. «Wir lehnen diese Gesetzesänderung ab und wehren uns gegen einen Zwang zum Zivilschutz», sagt Geschäftsführer Luca Dahinden. Das widerspreche dem liberalen Konzept des Zivildienstes, wonach die Zivildienstleistenden ihre Einsatzbetriebe selber aussuchen. Dahinden zweifelt zudem die Datengrundlage für den Sollbestand des Zivilschutzes an. Dieser sei zumindest nicht bedarfsorientiert definiert.

Impressionen vom Slalom am Sonntag am Weltcup Adelboden fotografiert in Adelboden am 8.1.2023. (Manuel Lopez)
Zivilschutz und Zivildienst sollen künftig zu einem Katatrophenschutzdienst fusioniert werden: Das fordert zumindest SVP-Ständerat Werner Salzmann. (Bild: Manuel Lopez)

Und der Verweis auf die demographische Entwicklung dürfe laut Dahinden nicht als Begründung für diese Gesetzesänderung herhalten. «Denn laut dem Bundesamt für Statistik ist bei den geburtenschwachen Jahrgängen nun die Talsohle erreicht», sagt der Civiva-Geschäftsführer. «Wir sehen diese Gesetzesänderung als Teil einer Salamitaktik zur Schwächung des Zivildienstes, der für die Allgemeinheit wichtige Arbeit leistet», so Dahinden. «Wir befürchten eine starke Schwächung und faktische Abschaffung des Zivildienstes in den nächsten Jahren.»

Diese Angst ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn der Berner SVP-Ständerat und Sicherheitspolitiker Werner Salzmann sagt: «Diese aktuelle Gesetzesänderung ist nur eine kleine Symptombekämpfung.» Er unterstütze diese. Aber es sei nur ein Zwischenschritt. «Angesichts der sinkenden Bestände, müssen wir bald das Dienstleistungsmodell reformieren.» Ziel sei eine Reduktion auf zwei Dienste: den Militärdienst und einen Katastrophenschutzdienst. «In diesem Katastrophenschutzdienst würden die beiden Organisationen von Zivilschutz und Zivildienst zusammengefasst.»

Impressionen vom Slalom am Sonntag am Weltcup Adelboden fotografiert in Adelboden am 8.1.2023. (Manuel Lopez)
Müssen künftig auch Zivis in Adelboden Sicherheitsnetze abräumen? (Bild: Manuel Lopez)

GLP-Nationalrätin Melanie Mettler erachtet es als legitim, «die Wahlfreiheit beim Zivildienst einzuschränken, wenn sonst im Katastrophenfall im Zivilschutz nicht genug Personal zur Verfügung steht, um zu helfen.» Da der Zivilschutz unbewaffnet ist, könne Zivildienstleistenden zugemutet werden, im Bedarfsfall einen Teil ihres Dienstes dort zu absolvieren. Priorität habe für die Erfüllung der Dienstpflicht der Schutz der Bevölkerung in Katastrophenfällen und Notlagen vor Hilfsarbeiten in sozialen Institutionen, sagt die Berner Sicherheitspolitikerin. «Ausser Frage steht aber, dass man auch künftig eine zivile Alternative zum Militärdienst wählen kann.»

Skeptisch ist hingegen die SP-Nationalrätin Min Li Marti: «Erstens ist nicht klar, was beim Zivilschutz genau der Bedarf ist, beziehungsweise wie sich der Unterbestand definiert.» Zum zweiten glaube sie, dass es wieder einmal darum gehe, den Zivildienst weniger attraktiv zu machen, so Marti. «Das finde ich falsch, denn Zivildienstleistende machen in vielen verschiedenen Betrieben wichtige Arbeit.» Das heisse nicht, dass der Zivilschutz nicht auch wichtige Aufgaben zu erledigen habe, aber das solle nicht auf Kosten des Zivildienstes gehen.

Mit den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im nationalen Parlament in sicherheitspolitischen Fragen dürfte diese Gesetzesänderung wohl beschlossen werden. Damit ist absehbar, dass auch mal Zivildienstleistende mit Schneeschaufeln beim Ski-Weltcup in Adelboden antraben müssen.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Diskussion

Unsere Etikette
Peter Stämpfli
28. März 2023 um 18:01

Offenbar sind die Skirennen in Adelboden und Wengen Katastrophen, dass dort Zivilschützer eingesetzt werden müssen.