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16 Jahre – «Hauptstadt»-Brief #401

Dienstag, 10. Dezember – die Themen: Ausschaffung; Uni; Bauen; Syrien; Politische Beschlüsse; Züge; Stadtrat-Brief; Weihnachtsabo.

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Wie verbunden fühlst du dich mit der Gesellschaft, der Region, der Stadt, in der du die letzten 16 Jahre gelebt hast? Und wie wäre es, sich von all dem für immer zu verabschieden?

Vorletzte Woche wurde ein 50-jähriger Mann verhaftet, als er nichtsahnend in Ostermundigen einen Termin beim Migrationsdienst wahrnahm. Nach 48 Stunden in Haft sass er bereits in einem Flugzeug nach Sri Lanka. Die Ausschaffung erfolgte ohne Vorankündigung. Der Mann hatte 16 Jahre in der Schweiz gelebt. 

Sich zu verabschieden, war für ihn nicht mehr möglich. Nur ein paar wenige Freund*innen konnten ihn noch kurz in Haft besuchen.

«Er hatte ein riesiges Umfeld in Bern und war enorm vernetzt», erzählt mir sein ehemaliger WG-Mitbewohner am Telefon. Die Ausschaffung schlägt Wellen. Verschiedene Personen aus seinem persönlichen Umfeld melden sich bei der «Hauptstadt». Der ehemalige Mitbewohner schickt mir Fotos von gemeinsamen WG-Nachtessen, erzählt vom Engagement des Mannes in Stadtberner Kulturinstitutionen, an Mittagstischen, in der Kirche. 

Sein Asylgesuch wurde 2012 abgelehnt, nachdem er drei Jahre in der Schweiz gelebt hatte. Zweimal versuchte er, mittels Härtefallgesuch seinen Aufenthalt zu legalisieren. Zahlreiche Berner Institutionen unterstützten die Gesuche mit Empfehlungsschreiben. Im Gesuch von 2019, das der «Hauptstadt» vorliegt, finden sich unter anderem Empfehlungen der Leitung des Schlachthauses sowie des Stadtpräsidenten Alec von Graffenried. Die Behörden des Kantons Bern traten auf die Gesuche nicht ein. 

Warum er genau jetzt ausgeschafft wurde, ist unklar. Die Organisation Solidaritätsnetz Bern hat eine Stellungnahme zu der Ausschaffung veröffentlicht. Sie wirft den Berner Migrationsbehörden vor, dabei verschiedene rechtliche Pflichten umgangen zu haben. 

Das kantonale Amt für Bevölkerungsdienste weist die Vorwürfe auf Anfrage der «Hauptstadt» zurück. Die Behörde gibt an, sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu Einzelfällen äussern zu dürfen. Sie versichert jedoch, die gesetzlichen Vorschriften eingehalten zu haben.

Vor einem Jahr beschrieb ich für die «Hauptstadt» die Ausschaffung zweier Familien aus dem Kanton Bern nach Sri Lanka. Daran beteiligt waren vier Kinder, die alle in der Schweiz geboren sind. Aus dem Fall ging hervor: Eine solche Ausschaffung ist nicht per se widerrechtlich. Die Behörden hätten jedoch durchaus einen Ermessensspielraum, den sie zugunsten der Betroffenen nutzen könnten. 

Für mich stellt sich auch die Frage, wie lange Menschen hier leben müssen, bis es schlicht unmenschlich – und ebenso sinnlos – ist, sie nicht als Teil der Gesellschaft anzuerkennen. Ich finde: Sicher nicht 16 Jahre.

Lena Käserman (Co-Leitung) vor de Gaskessel im November (1)
Bilderserie von David Fürst (5/10): Lena Käserman (Co-Leitung) vor dem Gaskessel im November. (Bild: David Fürst)

Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:

  • Universität: Sagt dir der Begriff «Dies Academicus» etwas? Mit dem jährlichen Traditionsanlass feiert die Uni Bern ihr Bestehen, inklusive strengem Dresscode und festlichen Reden. Am Samstag fand die Feier zum 190. Mal statt. Meine Kollegin Mara Hofer hat sich den Anlass gemeinsam mit dem Fotografen Manuel Lopez angeschaut. Erfahre hier, wie sie ihn erlebt haben
  • Bauen: Auf dem Areal Weyermannshaus Ost startet der Kanton Bern die Bauarbeiten für den neuen Campus der Berner Fachhochschule, wie er gestern mitteilte. Das Projekt ist Teil des Entwicklungsschwerpunktes Ausserholligen. Die Bauarbeiten dauern voraussichtlich rund vier bis fünf Jahre. Einst standen auf dem Areal Gewerbebauten. Wie sich die Gegend entlang dem Autobahnviadukt verändert hat, kannst du hier im Zeitraffer nachschauen.
  • Syrien: Am Sonntagabend versammelten sich rund 300 Personen zu einer spontanen Kundgebung auf dem Berner Bahnhofplatz als Reaktion auf den Sturz des Assad-Regimes in Syrien. Es wurde gejubelt, getanzt und es wurden Süssigkeiten verteilt, wie SRF berichtet, in der Hoffnung auf Frieden in Syrien. 
  • Politische Beschlüsse: Die kantonale Geschäftsprüfungskommission (GPK) fordert mit einer Motion, dass die Kantonsregierung ihre Sitzungen künftig ausführlich protokollieren muss. Aktuell publiziert er reine Beschlussprotokolle. Bei bedeutsamen Geschäften reiche das nicht aus, findet die GPK. Nun hat der Regierungsrat die Motion beantwortet: Er lehnt die Forderung ab und will Sitzungen weiterhin nicht ausführlich protokollieren. Das Parlament wird voraussichtlich in der Frühlingssession 2025 über die Motion befinden.
  • Züge: Mit dem Fahrplanwechsel von kommender Woche halten neu an Werktagen zwei Intercity-Züge in Bern Wankdorf. Das Angebot dient Pendler*innen aus Zürich, die im Wankdorf arbeiten, wie Bund/BZ schreiben. Die SBB hatten dieses Angebot schon 2015 einführen wollen, doch insbesondere die BLS war dagegen, weil damit S-Bahn-Züge konkurrenziert würden. 
  • Stadtrat-Brief: Die «Hauptstadt» berichtet seit zwei Jahren aus jeder Sitzung des Berner Stadtparlaments. Damit füllen wir eine Lücke im Berner Lokaljournalismus. Um ab Januar auch dem frisch gewählten Stadtrat auf die Finger zu schauen, brauchen wir deine Unterstützung: Mach mit beim Crowdfunding für den Stadtrat-Brief 2025. Heute Morgen früh fehlen uns nur noch rund 2’500 Franken.

PS: Verschenke jetzt leidenschaftlichen Berner Journalismus zu Weihnachten! Bis Ende Dezember 2024 kannst du das «Hauptstadt»-Geschenkabo zum Preis von 90 Franken (statt 120) verschenken. Verschenkst du mehr als ein Abo, kostet jedes weitere Jahresabo sogar nur 60 Franken.

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