Lateinische Hymne statt Rocksongs
Wie feiert eine Universität ihren Geburtstag? Die «Hauptstadt» schaute sich am ehrwürdigen und teilweise skurrilen «Dies academicus» im Berner Casino um.
Jedes Jahr im Dezember feiert die akademische Elite den sogenannten «Dies academicus». Am Morgen des 7. Dezembers fand diese Feier zum 190. Mal statt – gegründet wurde die Universität 1834. Geladene Gäst*innen, amtierende und ehemalige Professor*innen, Mitarbeitende und Personen in Leitungsfunktion innerhalb der Universität sowie kulturelle und politische Vertreter*innen aus Stadt und Kanton Bern versammelten sich dafür im Casino Bern.
Der grosse Saal mit den goldenen Verzierungen, von dessen Decke pompös zwei gigantische Kronleuchter hängen, bietet das passende Ambiente für den Anlass. Während den Festlichkeiten wird Geflüster im Saal mit strafenden Blicken sanktioniert. Und die Kommunikationsabteilung der Uni bittet den «Hauptstadt»-Fotografen, «um so wenig Störung wie möglich besorgt zu sein, da es sich um einen sehr würdevollen Anlass handelt».
Am «Dies academicus» werden die an der Universität herrschenden Hierarchien visuell zur Schau gestellt und inszeniert. Der Dresscode ist formell: Männer kommen im Anzug, Frauen im Kleid oder Blazer. Und hochrangige Universitätsangehörige tragen eigens für diesen Tag vorgesehene Festkleidung: Schwarze Umhänge mit Schulterpolster und Samtkragen. Den glamourösesten mit rotem Futter trägt die Rektorin in Kombination mit einer übergossen goldenen Kette.
The Beginning
400 Teilnehmende wohnen der Feier bei. Den Auftakt macht das Medizinerorchester unter der Leitung von Matthias Kuhn. Während sich sanfte Töne und wuchtige Einsätze abwechseln, betreten zuerst Rektorin Virginia Richter und Regierungsrätin Christine Häsler (Grüne), Vorsteherin der Bildungs- und Kulturdirektion, den Raum. Dicht gefolgt von hochrangigen Akademiker*innen. Als sich alle Gäst*innen erheben, erinnert das akademische Ritual beinahe an einen Gottesdienst. Auch die Schweigeminute, während der alle den verstorbenen Akademiker*innen gedenken, macht deutlich, wie sich die Universität hier als Gemeinschaft inszeniert.
Rektorin setzt neue Akzente
Es ist die erste Stiftungsfeier, die Rektorin Virginia Richter eröffnet. Ihren Auftakt gestaltet die erste Frau an der Spitze der Universität Bern gezielt mit eigenen Akzenten. In ihrer Rede äussert sich Richter zum Entscheid des Grossen Rates, die Studiengebühren zu erhöhen. «Eine drastische Erhöhung der Gebühren für Bildungsausländer sendet das falsche Signal für eine Universität, die weltoffen und international sein will», so die Rektorin.
Auch auf die bereits länger andauernde öffentliche Diskussion rund um Wissenschaftlichkeit geht die Rektorin implizit ein. Auf ihre Einladung hält Philosophieprofessorin Anna Leuschner eine Rede über Wissenschaftlichkeit. Weil sie krank ist, wird Leuschners Rede als Videobotschaft abgespielt. Darin nimmt sie das tradierte Bild von Wissenschaft als wertfreie Leistung Einzelner ins Visier und stellt diesem eine moderne und realitätsgetreue Version entgegen. «Während gesellschaftlich erwartet wird, dass Wissenschaft wertfrei zu sein hat, finden tatsächlich immerzu wertbeladene Entscheidungen im Forschungsprozess statt», so Leuschner. Die Unterschiede zwischen den beiden Definitionen könnten zu Problemen führen, sagt Leuschner. Herrsche in der Gesellschaft ein falsches Bild von Wissenschaft, sei das ein fruchtbarer Boden für Wissenschaftsfeindlichkeit.
Ehrendoktor Lauener
Wer an der Universität Bern studiert und nach dem Masterabschluss weitermacht, kann den Doktortitel erwerben. Diesen erhalten aber jedes Jahr auch Menschen, die mit der Universität Bern nichts zu tun haben. Die sogenannten Ehrendoktorate verleiht die Universität an Personen, die für Bern und/oder für die Wissenschaft und die Bevölkerung mit grossen Errungenschaften glänzen. Dieses Jahr erhält Züri-West-Sänger Kuno Lauener von Universitätsleitung und Senat den «Doctor honoris causa» verliehen. Der Bandleader kann die Auszeichnung wegen Krankheit nicht persönlich entgegennehmen. Die Songs des Berner Musikers werden an der Feier nicht laut abgespielt, lediglich die Liedtexte werden auf der grossen Leinwand gezeigt.
Hervorragende Leistungen
Neben Ehrendoktoraten werden am «Dies academicus» auch Preise für hervorragende Leistungen verliehen. Die Universität kürt jeweils eine*n «Teacher of the Year» und hebt wissenschaftliche Errungenschaften hervor. So zum Beispiel die «Wyss Academy for Nature», die von Kulturmäzen Hansjörg Wyss mitfinanziert wird. Berner Wissenschaftler*innen, die dort arbeiten, wollen wissenschaftliches Wissen in den Alltag integrieren und regional einsetzen. Zum Beispiel, um der Klimaneutralität näher zu kommen. Dafür stellte sie bei einem Projekt im Berner Oberland eine Klima-Coachin ein. Sie fungiert als Ansprechperson vor Ort und hilft der Bevölkerung, Anträge für Fördermittel zu stellen.
Die Weibelin
Am auffallendsten gekleidet ist die Weibelin, die die getakteten Abläufe koordiniert. In dieser Funktion begleitet sie die Anwesenden von Rang in den Saal hinein und hinaus. Während den Preisverleihungen hält sie die Diplome bereit und weist den Preisträger*innen den Weg – obschon diese nur etwa drei Schritte machen müssen: Die Stühle, auf denen die Preisträger*innen sitzen, befinden sich auf der Bühne.
Die Farbträger*innen
Die Stiftungsfeier ist traditionell gehalten. Das zeigt die häufige Verwendung von lateinischen Begriffen. «Dies academicus» heisst akademischer Tag. Zum Schluss des Anlasses singen die im Saal versammelten Leute das Lied «Gaudeamus ignitur» («Lasst uns fröhlich sein!»), eine Hymne auf die Universität. Eine weitere Tradition sind die fahnentragenden Studierendenverbindungen. Unter ihnen die Zofingia, die die «Hauptstadt» im März porträtiert hat. Ein Mitglied dieser unter anderem für ausgeprägten Bierkonsum bekannten Gruppen ist bereits vor Feierbeginn mit einem Bier in der Hand anzutreffen.
Das Apéro
Nach der Feier gibt es kleine Häppli, Saft und Wein bei einem Stehlunch. Auf Plateaus werden mit Feigen belegte Crêpes oder Gebäck mit Roastbeef vom Servicepersonal angeboten. Die Portionen dürften zwar bloss den kleinen Hunger stillen, aber die meisten Anwesenden sind sowieso ins Gespräch vertieft. Auch die ein oder andere Flasche Wein wird geöffnet. Bei gelockerter Stimmung hält die Rektorin noch eine Rede, die rein zur Unterhaltung dient und mit einigen Witzen gespickt ist.
Die Studierenden
Die Stimmung der Studierenden ist gemischt. Denn die letzte Woche vom Grossen Rat beschlossene Erhöhung der Studiengebühren hat bis auf die Rektorin niemand kommentiert. «Wir sind enttäuscht über den politischen Entscheid, freuen uns aber, dass er von unserer Rektorin Virginia Richter so kurzfristig in ihrer Rede thematisiert wurde», sagt Naima Hillman, Vorstandsmitglied SUB. Trotzdem – und auch wenn der formale Kontext sehr ungewohnt sei – freuen sich die Studierenden an diesem Anlass teilzunehmen, und bleiben sogar bis zum Schluss am Buffet.