Aareböötle – Stadtrat-Brief #2 2025
Sitzung vom 30. Januar 2025 – die Themen: Marzili, Waisenhausplatz, Untertorbrücke, Kunsteis. Mitglied der Woche: Szabolcs Mihalyi (SP)
Aareböötle wird immer beliebter. Aus der ganzen Schweiz strömen an heissen Sommertagen die Leute, um sich von Thun bis zum Marzilibad im Herzen Berns treiben zu lassen. Die Folge: Das Marzili ist überfüllt mit Karawanen aus Plastik.
Berner*innen lieben das Marzili. Berner Stadträt*innen natürlich auch. Regelrecht vernarrt zeigten sie sich an der Sitzung vom Donnerstag in die «grösste und älteste Badi der Schweiz» (Sibyl Eigenmann, Mitte). Für Seraphine Iseli (GB) ist das Marzili «ein identitätsstiftender Ort». Laura Binz (SP) nennt es «wunderschön». Ueli Jaisli (SVP) findet an der Aare «sehr tiefe Erholung». Er brauche keine Ferien mehr, wenn er im Marzili verweilen könne. Sibyl Eigenmann ist als «Marzilianerin» im Sommer manchmal dreimal täglich dort.
Das Bad wurde seit 1970 nicht mehr bedeutend renoviert. Die Stadtregierung will es nun umfassend sanieren. Deshalb befand der Stadtrat gestern über einen Baukredit von fast 67 Millionen Franken.
Von links bis rechts war man sich einig: Das in die Jahre gekommene Marzilibad muss aufgemöbelt werden. Trotzdem beantragte die vorberatende Kommission mit einer knappen Mehrheit, das Projekt zurückzuweisen und die Kosten um zehn Prozent zu senken. Eine Minderheit der Kommission wollte ausserdem auf einen geplanten neuen Aarehafen zum Auswassern von Gummibooten verzichten. Besonders der zweite Antrag gab zu reden.
Der Grundtenor im Rat war: Die schiere Masse an Aareböötler*innen nerve. Das Schwimmen werde beschwerlicher, es gebe brenzlige Situationen beim Ausstieg und ein Verkehrschaos auf der Strasse.
Aber löst ein neuer Hafen das Problem? Corina Liebi (JGLP) fand ihn tendenziell zu teuer und ein «unnötiges Nice-to-have». Weil sie das Bauprojekt nicht verzögern wollte, stimmte ihre Fraktion den bestehenden Plänen trotzdem «zähneknirschend» zu. Entgegen der Mehrheit ihrer eigenen Fraktion glaubt Ingrid Kissling-Näf (SP), der Hafen sei kontraproduktiv. Als passionierte Schwimmerin, die um ihren «Raum in der Aare kämpfen» müsse, befürchtet sie, die attraktivere Infrastruktur könnte noch mehr Gummiboot-Kapitän*innen anziehen. Die SVP pflichtete ihr bei – wenn auch eher aus Spargründen.
Am Schluss setzte sich die allgemeine Marzili-Liebe trotzdem durch. Eine deutliche Mehrheit stimmte für das teure Bauvorhaben inklusive Hafen und gegen die beiden Spar-Anträge. Damit bleibt etwas rätselhaft, wie die Mehrheit in der Kommission zustande gekommen war, die das Vorhaben um zehn Prozent vergünstigen wollte. In der Abstimmung war diese Haltung kaum mehr vertreten: Ausser der SVP stimmten praktisch alle Parlamentarier*innen gegen den Antrag (66 zu fünf Stimmen bei zwei Enthaltungen).
Der Kredit kommt voraussichtlich im kommenden Mai vors Volk. Bereits im Herbst sollen die Bauarbeiten starten – nach der Böötli-Hochsaison.
Szabolcs Mihalyi sitzt seit Ende 2021 für die SP im Stadtrat. Der 48-Jährige ist in Ungarn geboren und in Bern Bethlehem aufgewachsen. Er hat Politologie und Internationale Beziehungen in Genf studiert. Heute arbeitet er als Webredaktor für das Schweizerische Kompetenzzentrum für Justizvollzug.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Die Fluchtgeschichte meiner Familie hat mich schon als Kind politisiert. Als Migrantenkind aus einfachen Verhältnissen musste ich ständig bis hin zum mühseligen Einbürgerungsverfahren beweisen, dass ich in meiner Heimatstadt Bern dazugehören darf. Es ist mir wichtig, die Sicht derer einzubringen, die selbst heute noch nicht dazugehören dürfen oder nicht gehört werden, beispielsweise Schulkinder und Eltern mit Migrationsgeschichte. Mir ist auch wichtig, dass politische Entscheidungsträger*innen Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen. Darum bin ich gerne Mitglied – und dieses Jahr Präsident – der Geschäftsprüfungskommission, die die Arbeit des Gemeinderates beaufsichtigt.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Die meisten halten mich für einen schwulen Bümplizer, dabei bin ich aus Bethlehem. Aber ich hoffe, sie wissen inzwischen auch, warum ich im November im Antifa-T-Shirt an die Sitzung komme, wenn sich die Deportation meines Grossvaters in den Holocaust jährt.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Ich habe bereits 2019 per Vorstoss vergeblich den Bau eines Schulhauses beim Untermattquartier gefordert, um der absehbaren Schulraumknappheit im zukünftigen Quartier Weyermannshaus West zuvorzukommen. Dort sind fast 1000 neue Wohnungen geplant. Der Bau einer Schule ist aber immer noch nicht verbindlich beschlossen.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Auf das Vertrauen, das mir die Leute für meine Arbeit entgegenbringen. Die Bevölkerung, meine Ratskolleg*innen und natürlich die Mitglieder meiner Partei. Es freut mich auch immer wieder zu sehen, wie wir vom Stadtrat aus nachhaltig die Stadt verbessern können, sei es mit Klimamassnahmen im öffentlichen Raum oder mit neuer Infrastruktur für die Bevölkerung, etwa Schulen oder Verkehrslösungen.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Bümpliz, Bethlehem und der Bremgartenwald, die Gegensätze von quirliger Urbanität und natürlicher Ruhe (neben der Autobahn). In Bethlehem ist man nie allein, alle Menschen haben irgendwie Wurzeln anderswo und es hat sie hierhin verschlagen. Schweizer Binnenmigrant*innen aus anderen Kantonen, Studierende aus der ganzen Welt in den Studierendenheimen und Migrant*innen und ihre Kinder, die durch Flucht oder Suche nach Arbeit in der Schweiz landeten – wie meine Familie auch.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Polizeigarten: Mit der Gesamtsanierung Bären- und Waisenhausplatzbrachte der Rat ein Geschäft zu Ende, das er in der letzten Sitzung bereits ausführlich beraten hatte. Er winkte den Kredit über 36,7 Millionen Franken mit 69 zu vier Stimmen bei einer Enthaltung deutlich durch. Er kommt als nächstes vors Volk. Ein Nebenaspekt sorgte bei dem Projekt aber für Diskussionen. Eine Minderheit der zuständigen Kommission forderte die Öffnung des Gartens vor der Polizeiwache am unteren Ende des Waisenhausplatzes. Er sollte ein öffentlicher Park werden. So wollten es die grünen Parteien GB und GFL. Die SP forderte mit einem abgeschwächten Antrag nur die Prüfung einer möglichen Öffnung des Gartens durch den Gemeinderat. Dafür sprach sich gestern in seinem Votum auch der zuständige Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) aus. In der Abstimmung blockierte sich schliesslich die links-grüne Ratsmehrheit selbst: Die SP stimmte fast geschlossen gegen den Kommissions-Minderheitsantrag, weshalb nur ihr eigener, abgeschwächter Antrag zur Abstimmung kam. Und diesen wiederum lehnten die grünen Parteien ab. So fand keiner der Anträge eine Mehrheit im Rat, und der Polizeigarten bleibt vorerst den Polizist*innen vorbehalten – wie sich das die bürgerliche Ratsminderheit gewünscht hatte.
- Untertorbrücke: Die Untertorbrücke soll für 7,7 Millionen Franken saniertwerden. Der Stadtrat hat den Kredit einstimmig und ohne Diskussionen gutgeheissen. Das Brückengeländer sowie die Natursteine sollen renoviert, das Trottoir verbreitert und die Pflästerung neu verlegt werden. Auch über diese Vorlage wird das Stimmvolk entscheiden.
- Schlöfle: Der Gemeinderat muss prüfen, ob bei den Eisbahnen im Weyermannshaus und in der Postfinance-Arena im Aussenbereich synthetisches statt echtes Eis verwendet werden könnte. Mit 45 zu 27 Stimmen bei zwei Enthaltungen hat der Stadtrat ein Postulat des GB überwiesen. Kunsteis sei klimaschädlich, machte Franziska Geiser (GB) deutlich. Mit den wärmeren Wintern müsse das Eis immer stärker gekühlt werden. Auch synthetisches Eis hat jedoch seine Tücken für die Umwelt – zum Beispiel bei der Entsorgung, oder weil durch den Abrieb Mikroplastik entsteht. Nicht nur deshalb war Debora Alder-Gasser (EVP) kritisch: «Meine Töchter wollten nicht mehr schlöfle, nachdem sie das künstliche Eis auf dem Bundesplatz ausprobiert hatten», sagte sie. Das Plastik-Eis verderbe den Spass am Sport und sei noch zu wenig entwickelt. Am 9. Februar stimmt das Berner Stimmvolk über den Ersatzneubau der Kunsteisbahn und des Hallenbades Weyermannshaus ab. Dieser soll energieeffizienter gestaltet werden. Synthetisches Eis ist bisher aber nicht geplant.
PS: In punkto Pendenzenberg fängt die neue Legislatur gut an: «Wir haben heute mehr Vorstösse abgearbeitet, als eingereicht wurden!», so die erfreute Bilanz von Stadtratspräsident Tom Berger (FDP) zum Ende der Sitzung.