Hier leben die Althühner
Der Bauer Hansruedi Lauper im Könizer Ortsteil Oberulmiz übernimmt jedes Jahr eineinhalb Jahre alte Legehennen. In diesem Alter werden die Tiere meist getötet, weil sie nicht mehr genug Eier legen.
Wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Oberulmiz bei Köniz reist, braucht Zeit – und Puste. Von der Postautohaltestelle Gasel, Schlatt sind es gemäss Google Maps fast 50 Gehminuten zum Bauernhof von Hansruedi Lauper – und viele Höhenmeter.
Der Weg nach oben lohnt sich für jene, die Abgeschiedenheit und eine weite Aussicht mögen. Oberulmiz hat ein Restaurant, der Supermarkt liegt aber in Schliern, 3,5 Kilometer entfernt.
Lauper hat den mit 10 Hektaren eher kleinen Betrieb von seinen Eltern übernommen. 2009 hat er den Schweinestall abgebrochen und einen Hühnerstall für zuerst 800, später 1’500 Legehennen gebaut.
Der Bauer setzt auf Direktvermarktung: Sogar das Bundeshaus bestellt für die Session Eier bei ihm. Aber auch Altersheimen wie das Burgerheim im Viererfeld oder verschiedenen Restaurants in Bern liefert Lauper seine Eier regelmässig.
Auf Legehennen stieg er aus pragmatischen Gründen um: «Ein Eierbetrieb ist praktisch beim Direktverkauf: Du kannst das Ei ausnehmen, abpacken und liefern.» Milch zum Beispiel müsse man pasteurisieren, Käse oder Butter daraus machen. Das sei komplizierter, sagt Lauper. Er betreibt den Hof hauptsächlich alleine: Seine Mutter hilft ihm beim Ausnehmen der Eier so oft wie möglich, ab und zu unterstützt ihn eine Aushilfe bei der Auslieferung.
Die Sauna-Freundschaft
Als Lauper den Hühnerstall baute, hat er entschieden, dass er die Hühner länger halten will, als in der Landwirtschaft Norm ist. Die meisten Betriebe wechseln die Legehennen aus, bevor sie mit etwa anderthalb Jahren zum ersten Mal in die Mauser kommen. Danach legen die Hühner nicht mehr ganz so viele Eier.
«Mich hat das immer gereut, weil die Hühner mit anderthalb Jahren erst beginnen, richtig grosse Eier zu legen», sagt Hansruedi Lauper.
«Profibetriebe» haben eine durchschnittliche Legeleistung von 94 bis 95 Prozent, sagt Lauper. 100 Prozent Legeleistung bedeutet, dass jedes Huhn jeden Tag ein Ei legt. Laupers Hühner haben kurz vor Ostern eine Legeleistung von 90 Prozent. Im Sommer, bevor er die Hühner jeweils ersetzt, sei er zufrieden, wenn sie noch auf eine Legeleistung von 80 Prozent kommen, sagt er.
Von den anderthalb Jahren Lebenszeit, die die meisten Legehennen in den Betrieben haben, legen die Laufvögel etwa ein Jahr lang Eier. Sie beginnen damit erst, wenn sie zwischen 20 und 23 Wochen alt sind. Ein Huhn hätte laut verschiedenen Tierschutzorganisationen eine Lebenserwartung von acht bis zehn Jahren.
Lauper hält die Legehennen ein weiteres Jahr – oder Umtrieb, wie der Landwirt einen Zyklus bezeichnet. Seine Hühner werden also 2,5 Jahre alt. Er übernimmt die «alten» Hühner von Fritz Herren, der in Neuenegg einen Betrieb mit 18’000 Legehennen führt. Jeweils im Sommer wechselt er die Hühner aus, 1’500 davon erhält Lauper, weil er ihm beim Ausstallen der Hühner hilft, gratis.
Der Preis von konventionellen Althühnern wäre zwischen 3 und 5 Franken, Junghühner kosten 20 Franken, Bio-Junghühner sogar bis zu 50 Franken aufgrund der neuen Regelung der Bruderhahnaufzucht, sagt der Bauer. Ob Althühner zu 3 bis 5 Franken oder Junghühner für 20 Franken: Letztlich würde der Bauer nach einem Jahr auf denselben Betrag kommen, hat Lauper ausgerechnet. Weil die Althühner weniger Eier legen – im Winter eine Zeitlang sogar gar keine.
Lauper hat Fritz Herren per Zufall in der Sauna im Erlebnisbad Bernaqua im Westside kennengelernt. Die Althühner hatte er bereits zuvor vom «Herren Fritz», wie Lauper im Schwinger-Slang erzählt, vermittelt bekommen. Aus der Sauna-Bekanntschaft hat sich eine Sauna-Freundschaft entwickelt: Sie hätten das «Heu auf derselben Bühne», dasselbe Hühnerfutter und dasselbe Stallsystem, erzählt Lauper. Das mache die Hühnerübernahme einfacher. Und ab und zu treffe man sich wieder in der Sauna und helfe sich gegenseitig auf dem Hof aus.
Die Huhn-Erneuerung
Ein Umtrieb sieht bei Lauper so aus: Im Sommer übernimmt er die Hühner vom Betrieb von Fritz Herren. Die Hühner legen bis Weihnachten weiterhin Eier, zu diesem Zeitpunkt sehen die Tiere immer mehr «ausgelegt» aus, wie es Lauper nennt. Das Federkleid sei nicht mehr so voll und glänzend, der Kamm nicht mehr so schön und die Schalenqualität der Eier werde schlechter.
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Im Januar leitet Lauper die Mauser ein. Das ist ein natürlicher Vorgang bei den Hühnern: Sie legen während zirka zwei bis drei Wochen keine Eier, verlieren fast alle Federn und sind während dieser Zeit viel weniger aktiv. Da sie aber in einem Stall mit künstlichem Licht und nicht in der freien Natur sind, muss Lauper nachhelfen: Er reduziert die Lichtintensität und die Belichtung im Stall von 14 Stunden schrittweise auf acht bis sechs Stunden pro Tag, bis kein einziges Huhn mehr ein Ei legt.
Ab dem Zeitpunkt fährt der Landwirt das Licht langsam wieder hoch. Gleichzeitig gibt er den Laufvögeln Kalzium, Kalk und Vitamine für die Eierqualität und ihre Gesundheit. «Sobald sie wieder zu legen beginnen, ist mehr Leben im Stall», sagt Lauper.
Die Mauser entspricht der Natur der Hühner. Im Frühling, wenn die Tage länger werden, beginnen sie wieder Eier zu legen – sogar mehr Eier und mit besserer Schalenqualität. Das ist wichtig für die Vermarktung vor und während der Osterzeit, denn da sind Eier mit einer dicken Schale gefragt. Nicht nur, um beim «Eiertütschen» zu gewinnen, sondern auch weil Eier mit dicker Schale beim Kochen weniger kaputt gehen können.
Suppenhuhn oder Biogas
Immer nach einem Jahr, jeweils im Sommer, ersetzt Lauper die Hühner gegen neue Althühner von Fritz Herren. Die 2,5-jährigen Hühner lässt er schlachten. Dem Bauer sind vier Schlachthöfe in der Schweiz bekannt, die Kleinbestände wie Laupers 1’500 Hühner, verwerten, sagt der Bauer. Für grosse Legehennenbetriebe mit 18’000 Tieren gibt es in der Schweiz keine Schlachthöfe, die eine so grosse Anzahl auf einmal annehmen.
Fritz Herren könne deshalb seine Legehennen in eine Geflügelmetzgerei in Deutschland geben oder sie würden direkt auf dem Hof vergast: «Da wird dir ein Container mit Gas auf den Hof gestellt, wo die Hühner heruntergelassen werden», sagt Lauper, der auch schon dabei war.
Ob schlachten oder vergasen besser sei, kann Lauper nicht sagen. «Vergasen tönt so schlimm, dabei ist es für das Huhn schmerzlos», sagt Lauper. «Du nimmst es aus dem Stall und legst es in den Container. Und dann ist fertig.» Lasse man die Hühner schlachten, habe das Huhn mehr Stress: Es komme in eine Kiste, werde im Lastwagen zum Schlachthof gefahren und dann wieder aus der Kiste genommen.
Dass aus den vergasten Legehennen Biogas werde, findet Lauper ein bisschen makaber. Schlachten sei deshalb ethischer, überlegt Lauper, da werde das Tier wenigstens noch als Suppenhuhn verwertet.
Produzent*innen seien aber alle bestrebt, dass weniger Tiere vergast werden, betont der Bauer. 2024 sei der Anteil an geschlachteten Legehennen bei 70 Prozent – eine Steigerung, sagt Lauper.
Das Problem: Schlachtung und Verwertung von Legehennen ist nicht wirtschaftlich. «Ein Huhn zu schlachten kostet rund fünf Franken.» Ein geschlachtetes Huhn mit Knochen und Federn wiege zirka 1,1 Kilogramm, davon bleiben etwa 300 Gramm Fleisch übrig. Und 5 Franken für 300 Gramm Fleisch sei viel. Das ergebe einen Kilopreis von 15, 16 Franken pro Kilo. Ein fertiges Produkt wie eine Geflügelbratwurst oder für einen Burger hätte dann einen Kilopreis von 23 bis 28 Franken, was niemand kaufen würde: «Im grossen Stil funktioniert das nicht», findet Lauper.
Ausserdem ist das Fleisch von Legehennen eher zäh. Aber daraus könne man genauso etwas Schmackhaftes machen, sagt Lauper und gerät ins Schwärmen: «Man muss das Suppenhuhn niedergaren, bis es sich von den Knochen löst. Dann kann man es mit der Gabel vom Knochen zupfen. Das gibt einen idealen Pulled Chicken Burger.»
Suppenhühner werden in Supermärkten wie Coop oder Migros nicht angeboten. Lauper vertreibt zum Teil seine Suppenhühner selbst. Würde jede Schweizer Familie ein Suppenhuhn im Jahr essen, so Lauper, wären alle Legehennen verwertet und keine müsste vergast werden. Dafür brauche es aber auch Marketing, findet der Bauer.
Lieber nicht wachsen
Der Landwirt ist bei Swissgenetics unter anderem als Tierfotograf angestellt. Beides unter einen Hut zu bringen, sei manchmal herausfordernd. Möchte Lauper nur von der Landwirtschaft leben können, müsste sein Betrieb wachsen. Das will er aber nicht.
«Ich will mit den bestehenden Betriebsstrukturen arbeiten», sagt Lauper. Er wolle nicht mehr Land dazu kaufen oder Fläche «zubetonieren», obwohl er das könnte. Es gäbe genug Nachfrage für einen zweiten Stall. Hühnereier verzeichnen einen steigenden Absatz: Laut Statistik des Bundesamts für Landwirtschaft hat sich der Schweizer Eierkonsum von 2016 mit rund 125 Eier pro Kopf und Jahr auf 148 Eier im Jahr 2024 erhöht. Alleine von 2023 auf 2024 stieg der Schweizer Durchschnitt um acht Eier.
In diesen Tagen steht also in Oberulmiz die Hauptsaison an. Lauper ist dank langjähriger Erfahrung eingespielt: Viele Eier hat der Bauer mit Hilfe seiner Verwandten für Ostern gefärbt, sie stehen im Keller bereit für die Lieferung.
Und übrigens, für alle, die beim «Eiertütschen» gewinnen wollen: Egal, ob grosses oder kleines Ei, die Schale bleibt gleich. Das heisst, ein kleines Ei, das weniger Oberfläche hat, hat eine dickere Schale als ein grosses Ei.