Durch das Berner Bauernjahr

Klein und klimaresistent

Zwergzebus sind eine Rinderrasse aus Sri Lanka. Mit ihren Eigenschaften passen sie auch gut in die Schweizer Berglandwirtschaft. Zu Besuch bei Familie Reusser und ihrer Herde im Berner Oberland.

Zu Besuch bei Reussers Zwergzebus fotografiert am Montag, 23. Juni 2025 in Eriz. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Zwergzebus haben ein ursprünglicheres Herdenverhalten als die gezüchteten Schweizer Artgenossen. (Bild: Simon Boschi)

Es weht ein angenehmer Wind im Eriz bei Thun, wo der Hof der Familie Reusser auf zirka 1000 Metern über Meer liegt. Unten in der Stadt sind es über 30 Grad, hier oben kann man der Hitze gut entkommen. Die Zwergzebus haben sich trotzdem im Schatten des offenen Stalls versteckt – das sei wegen der Fliegen und Bremsen, erklärt Fritz Reusser. Er steigt über den mit Strom versetzten Zaun, stellt den Strom ab und erklärt, was gleich passieren wird: «Ich treibe die Tiere aus dem Stall, sie stellen sich vor uns auf, bleiben stehen, die Vorwitzigen werden schnell neugierig und kommen näher.»

Die Herde bewegt sich und es passiert, was Reusser vorausgesagt hat. Was dabei auffällt: Die Zwergzebus bleiben immer nahe beieinander. Ihr Herdenverhalten sei ein typisches Merkmal und viel ursprünglicher als das der gezüchteten Milchkühe, die Reusser auch hält. Die Tiere würden zum Beispiel bei Gefahr die Kälber in die Mitte nehmen und als Schutz rundherum stehen. 

Zwergzebus kommen ursprünglich aus Sri Lanka und sind über die Zoologischen Gärten zu Schweizer Bauern gekommen, erzählt Fritz Reusser. Weil Sri Lanka die Tiere weder importiert noch exportiert, gebe es in Deutschland und der Schweiz nur 18 bekannte Blutlinien der Rasse. Deshalb sei die Züchtung der reinrassigen Tiere erschwert, aber nicht unmöglich.  

Dafür wäre ein Zuchtbuch für Zwergzebus hilfreich. Das sei aber in der Schweiz noch nicht anerkannt, sagt Reusser. Zebu ist ein Sammelbegriff für Buckelrinder, wobei aber Zwergzebus eine eigene Rasse sind. 

Widerstandsfähige Tiere

Die kleinwüchsige Rinderrasse wird nur zwischen 80 bis 115 Zentimeter gross. Die Zwergzebus werden deshalb auch weniger schwer als Schweizer Kühe und verursachen mit ihren Klauen weniger Schäden in den Weiden. Das ist vor allem an steilen Hängen von Bedeutung, wo schwere Tiere zum Humusabbau der Weide beitragen können, während die Zwergzebus oder Schafe, die mit ihnen vergleichbar seien, kaum Schaden anrichten. 

Das ist wichtig für Reusser, der auf seinen 58 Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche ein paar steile Hänge besitzt. Neben den rund 80 Zwergzebus hält der Bauer 26 Milchkühe. Auf zwei Hektaren baut er zudem Mais an – im Eriz ist Ackerbau ansonsten eher schwer.

Durch das Berner Bauernjahr

Es braucht mehr Kommunikation von den Produzent*innen und mehr Verständnis und Interesse von den Konsument*innen. Das fanden die Gästinnen des «Hauptsachen»-Talks zum Thema Landwirtschaft

Hier will die «Hauptstadt» ansetzen. Mit der Serie: «Durch das Berner Bauernjahr» sollen Konsument*innen erfahren, vor welchen Herausforderungen Berner Landwirt*innen stehen, und wie sich ihr Konsum und die Herausforderungen der Landwirt*innen gegenseitig beeinflussen. 

Gemeinsam mit Berner Landwirt*innen wollen wir Fragen beantworten wie: Welche Auswirkungen hatte der ausgeprägte Mai- und Juniregen auf die Ernte? Wird es dieses Jahr mehr importierte Biokartoffeln geben als inländische? Wie bereiten sich die Produzent*innen auf das verändernde Klima vor? Welchen Einfluss hat das wandelnde Konsumverhalten? 

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Typisch für die Zwergzebus sind der Buckel im Bereich des Widerrists und eine ausgeprägte Wamme. Das ist eine Falte, die von der Kehle bis zur Brust reicht und das Blut abkühlt. Damit sorgt sie dafür, dass die Tiere hitzetoleranter sind als andere Kühe. Der Buckel besteht hauptsächlich aus Muskulatur und kann bei den Stieren sehr ausgeprägt sein, wie der Zoo Basel schreibt. Seine Funktion ist nicht vollständig geklärt. Möglich sei, dass er den Zwergzebus als Energiespeicher in kargen Sommern dient. 

Der Stier mit dem grössten Buckel bei Reussers trägt den Namen Superman. Beatrice Reusser, die Tochter von Fritz Reusser, krault den Stier an der Stirn und erklärt: «Das ginge bei normalen Stieren häufig nicht. Wenn sie drei Jahre alt sind, kann es passieren, dass sie nicht mehr auf dich hören.» Die Zwergzebus ändern im Verlauf ihres Lebens den Charakter nicht.

Die Tiere seien im Vergleich zu anderen Kühen anpassungsfähiger und anspruchsloser. Wenn Zwergzebus wenig Futter haben, weil zum Beispiel im Sommer wenig Regen fällt und weniger Gras wächst, würden sie ruhiger, liessen die Ohren etwas hängen und würden etwas apathisch – sie blieben aber gesund. Bekomme eine Milchkuh heute zu wenig Futter, sei sie morgen krank, sagt Fritz Reusser. «Zwergzebus sind keine Tiere, die auf Leistung gezüchtet sind, in Sri Lanka müssen sie mit dem überleben, was sie haben.»

Vor allem in heissen, trockenen Sommern wie dieser werden könnte, ist das von Vorteil: Die Zwergzebus kommen mit Gras und Heu aus und brauchen kein Zusatzfutter wie Milchkühe, denen man Kraftfutter geben müsse, wenn sie eine gewisse Anzahl Liter Milch geben sollen. 

Zu Besuch bei Reussers Zwergzebus fotografiert am Montag, 23. Juni 2025 in Eriz. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Fritz Reusser hält seit 2010 Zwergzebus im Eriz. (Bild: Simon Boschi)

Eines der Tiere in der Herde ist etwas unruhig und springt umher. Fritz Reusser erklärt warum: Es hatte in den ersten drei Tagen nach der Geburt keinen Kontakt zu Menschen. Darum sei es nicht zutraulich geworden und könne nun die ganze Herde nervös machen.

Intensiv-Aufzucht statt Sömmerung

Fritz Reusser und Anita Binkert entschieden sich im Jahr 2010 dafür, Zwergzebu-Rinder aufzuziehen und ihr Fleisch zu verkaufen.

Grund dafür war unter anderem eine Änderung der Direktzahlungen: Reussers hatten davor im Sommer die Kälber von Milchkühen anderer Bauern aufgenommen. Der Staat zahlte sie für diese sogenannte Sömmerung. Nun gelten diese Zahlungen nur noch für  Landwirtschaftsgebiete, die so hoch liegen, dass sie nur im Sommer genutzt werden können. Damit profitieren Reussers, die ihren Hof ganzjährig betreiben, nicht mehr von den Zahlungen. 

Zur Änderung der Direktzahlungen kam noch ein zweiter Faktor: «Es gibt weniger Milchkühe und viel mehr Mutterkühe. Und die, die noch Milchkühe haben, gehen heute in Intensiv-Aufzucht», sagt Fritz Reusser. Das bedeute, dass die Bauern die Kälber für die Milchkuh-Aufzucht möglichst schnell so weit haben wollen, dass sie abkalben und damit Milch geben können – bestenfalls mit zwei Jahren. Gehen die Kälber aber zur Sömmerung, geben die Tiere erst mit dreieinhalb Jahren Milch.

Stadtberner*innen kaufen kaum Edelstücke

Reussers metzgen 18 bis 20 Zwergzebus im Jahr. Zweimal pro Woche verkaufen sie das Fleisch an einem Märitstand auf dem Berner Bundesplatz. 

Interessant sei, dass in Bern die Innereien immer als erstes ausverkauft seien, sagt Fritz Reusser. «Herz, Bäckchen, Ochsenschwanz, Leistenfleisch sind in Bern beliebt.» Dafür kommt es ab und zu vor, dass Reussers am Sonntagabend ein Filetstück essen, das auf dem Märit nicht verkauft wurde. Auch die selbst hergestellten Trockenwürste und das Trockenfleisch seien in Bern sehr gefragt. 

Zu Besuch bei Reussers Zwergzebus fotografiert am Montag, 23. Juni 2025 in Eriz. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Auf 1000 Metern über Meer profitiert der Bauernhof im Eriz auch vom Klimawandel. (Bild: Simon Boschi)

Tochter Beatrice Reusser hat als Zweitberuf Metzgerin gelernt. Die Familie macht deshalb viel selbst: Nach der Schlachtung übernimmt Beatrice Reusser das Ausbeinen und Dressieren. Die Familie hat einen Kühler, wo sie das Fleisch aufhängt und einen weiteren Kühler – weil dies per Gesetz getrennt sein muss – wo sie das verarbeitete Fleisch aufbewahrt. 

Weil die Tiere kleiner sind und damit weniger Fleisch hergeben, sei das Fleisch im Vergleich teurer. Der Preis des Fleisches komme auch von der Haltung der Tiere: Reussers halten die Zwergzebus dreieinhalb Jahre und ziehen pro Jahr um die 20 Tiere auf. Zurzeit leben rund 80 Zwergzebus auf dem Hof. Weil sie die männlichen Zwergzebus zugunsten der Fleischqualität nicht kastrieren, werden sie getrennt von den Weibchen gehalten. Das braucht Platz.  

«Wir profitieren auch vom Klimawandel»

Die Veränderungen des Klimas merken die Reussers enorm. Die Weiden werden im Sommer schneller braun. Das habe es früher nicht gegeben – oder nur alle 20 Jahre, sagt Fritz Reusser.

Dafür hat der Hof drei Wochen länger Vegetationszeit als damals, als Fritz Reusser angefangen hat zu bauern. «Auf dieser Höhe profitieren wir auch vom Klimawandel», sagt Reusser. Drei Wochen längere Vegetations bedeutet, dass die Kühe drei Wochen länger draussen weiden können und weniger Winterfutter brauchen. «Das ist extrem», sagt der Bauer. 

Die Zwergzebus mögen zwar die Hitze etwas besser aushalten – trotzdem haben sie sich bald wieder im Schatten des offenen Stalls versteckt. Dort entkommen sie den Bremsen und Fliegen.

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Diskussion

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Marco Zaugg
08. Juli 2025 um 05:24

Danke für diesen interessanten Artikel.

Ich besuche den Stand von Reussers suf dem Bundesplatz regelmässig und kann das Fleisch nur empfehlen. Jetzt verstehe ich die Hintergründe besser.