«Die Leute wollen schon früh Spargeln»
Der Seelandhof in Worben bei Lyss baut auf 10 Hektaren Spargeln an. Die Spargelsaison ist die arbeitsintensivste Zeit.
Weite Felder mit gelben Rapsblüten gehen links und rechts von der Strasse von Lyss nach Worben ab. Es sind die Felder des Seelandhofs, der dem Bauern Matthias Moser gehört. 100 Hektaren Land. Darauf bauen er und seine Partnerin Manuela Lanz Zuckerrüben, Mais, Weizen und Gras an, vieles davon als Futter für ihre 70 Milchkühe, 100 Maststiere und die Kälberaufzucht.
Nur auf einem Zehntel ihrer landwirtschaftlichen Fläche wachsen Spargeln – und auf fünf Hektaren Süsskartoffeln. Doch es sind die arbeitsintensivsten Kulturen.
Für den Anbau beider Gemüsesorten hat sich der Hof mit anderen Betrieben zusammengeschlossen. Sie teilen sich die Ressourcen, zum Beispiel die Sortiermaschine oder Lagerräume für die Süsskartoffeln und Maschinen zur Bearbeitung der Felder für die Spargeln.
Die Süsskartoffeln produziert der Hof für die Batati GmbH. Insgesamt zwölf Bauernbetriebe sind Teil der GmbH. Zu kaufen sind die Süsskartoffeln in Supermärkten in der Schweiz.
Für den Spargelvertrieb hat sich der Hof mit zwei anderen Betrieben zusammengeschlossen: Unter dem Namen «Seeländerspargeln» kann man in Worben bei Lyss, in Gurbrü, knapp über der Kantonsgrenze in Freiburg, und in Kerzers Spargeln frisch ab Hof kaufen. Zusammen haben die drei Betriebe etwa 24 Hektaren Spargelfelder.
Was den Seelandhof das ganze Jahr hindurch beschäftigt, sind die 70 Milchkühe. Bis letzten Sommer wurde ihre Milch zu Greyerzer verarbeitet. Dann schloss die Käserei aufgrund von Personalmangel. «Das ist ein grosser Wermutstropfen», sagt Manuela Lanz. Jetzt geht ein Teil der Milch nach Biel. In einer Stadtkäserei wird sie zu Mozzarella verarbeitet. «Und der Rest kommt in die Industrie.»
Von April bis zum 21. Juni – bis dann werden die Spargeln gestochen – gibt es auf den drei Höfen viel zu tun. Sie bauen weisse und grüne Spargeln an.
Das Faszinierende: Trotz unterschiedlichem Geschmack sind grüne und weisse Spargeln aus derselben Pflanze. Es gibt zwar unterschiedliche Sorten: «Die einen sind dicker, andere sind dünner, die einen kommen früher, andere später», sagt Manuela Lanz. Aber letztlich können von derselben Sorte sowohl grüne als auch weisse Spargeln geerntet werden.
Weiss sind die Spargeln, die in der Erde gestochen werden. Sobald sie ans Sonnenlicht kommen, werden sie grün.
Ohne Saisonarbeiter*innen geht es nicht
Die Familie Lanz hat für die Erntezeit Saisonarbeiter*innen aus Polen angestellt. Seit zehn Jahren kommen immer dieselben fünf Menschen zu ihnen. Nur einer von ihnen – Marek – spricht Deutsch und organisiert die Gruppe.
Arbeiter*innen aus der Schweiz seien nicht zuverlässig, sagt Manuela Lanz. «Wenn es regnet, kommen sie nicht mehr.» Die polnischen Saisonarbeiter*innen seien dankbar. Sie kommen für drei Monate und erhalten einen Lohn, mit dem sie in Polen länger leben können als hier.
Es braucht mehr Kommunikation von den Produzent*innen und mehr Verständnis und Interesse von den Konsument*innen. Das fanden die Gästinnen des «Hauptsachen»-Talks zum Thema Landwirtschaft.
Hier will die «Hauptstadt» ansetzen. Mit der Serie: «Durch das Berner Bauernjahr» sollen Konsument*innen erfahren, vor welchen Herausforderungen Berner Landwirt*innen stehen, und wie sich ihr Konsum und die Herausforderungen der Landwirt*innen gegenseitig beeinflussen.
Gemeinsam mit Berner Landwirt*innen wollen wir Fragen beantworten wie: Welche Auswirkungen hatte der ausgeprägte Mai- und Juniregen auf die Ernte? Wird es dieses Jahr mehr importierte Biokartoffeln geben als inländische? Wie bereiten sich die Produzent*innen auf das verändernde Klima vor? Welchen Einfluss hat das wandelnde Konsumverhalten?
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Der Lohn der Saisonarbeiter*innen auf dem Seelandhof ist mit 4’000 bis 4’500 Franken höher als der Richtlohn, den der Schweizer Bauernverband für Saisonarbeiter*innen empfiehlt. Dieser liegt 2025 bei 3'450 Franken. «3’500 Franken finden wir sehr wenig, für so eine körperlich anstrengende Arbeit», sagt Manuela Lanz.
An Spitzentagen arbeiten sie von 6 Uhr morgens bis etwa 16, 17 Uhr auf dem Feld. Die Arbeit geht in den Rücken, die Arbeiter*innen müssen jede einzelne Spargel anschauen. Ist sie gross genug, wird sie gestochen, gewaschen, schock-gekühlt (damit sie länger haltbar ist) und kommt am nächsten Tag in den Hofladen.
«Es gibt keine Erntemaschine, die für unseren Betrieb Sinn macht», sagt Manuela Lanz. Der Grund: Spargeln wachsen unregelmässig. Lanz ist auf dem Betrieb vor allem für die Buchhaltung zuständig, kümmert sich um die vier Kinder, hilft, «wo Not am Mann ist» und nimmt ihrem Mann Medientermine ab.
Erreicht eine Spargel die notwendige Länge zwischen 20 bis 25 Zentimeter noch nicht, wird sie stehen gelassen. Eine Spargel wächst pro Tag bis zu sieben Zentimeter. Es ist also gut möglich, dass dieselbe Spargel, die heute noch zu klein ist, am nächsten Tag bereits geerntet werden kann.
Plastik-Vlies für frühere Ernte
Deshalb müssen die Arbeiter*innen jeden Tag alle Felder bearbeiten. Jetzt, wo das Plastik-Vlies noch über den Spargeln ist, damit sie die Wärme über Nacht besser speichern, ist die Arbeit noch etwas anstrengender. Das Vlies muss entfernt und wieder darauf gelegt werden. Das schlägt sich im Preis der frühen Spargeln nieder.
Damit die polnischen Arbeiter*innen auch mal einen Tag frei haben, kauft der Betrieb bei Lohnunternehmen Arbeitsleistung ein. Das ist vor allem zu den Spitzenzeiten im Mai nötig, wenn die Arbeit auf dem Feld viel länger dauert.
Die weissen und grünen Spargeln müssen unterschiedlich bearbeitet werden. Die aus der Erde herausragenden grünen Spargeln werden am Morgen früh zuerst geerntet. Haben sie tagsüber zu warm, öffnen sich ihre Spitzen und werden violett. Dadurch leidet der Geschmack.
Die weissen Spargeln sind mit einem Thermoplastik-Vlies bedeckt, es ist schwarz, damit es die Wärme der Sonne besser absorbiert und die Erde darunter aufheizt. Ragen ihre Köpfe aus der Erde, werden sie violett-grün.
Für die Arbeiter*innen auf dem Feld ist das Stechen der weissen Spargeln arbeitsintensiver: Sie müssen die Spargeln ausbuddeln, überprüfen, ob die Grösse passt. Wenn sie noch zu klein sind, buddeln sie sie wieder ein.
Eine Pflanze für zehn Jahre
Spargeln sind genügsame Pflanzen: Sie brauchen wenig Nährstoffe, sind nicht heikel bei viel oder kaum Regen. Und die Wurzeln werden alt: Eine Pflanze kann bis zu zehn Jahre im Boden bleiben. Für die Bauern ist die Pflanze deshalb nur während der Erntezeit arbeitsintensiv. Sonst brauchen sie «etwas Pflanzenschutz im Frühling und ein wenig Hühnermist im Herbst», sagt Lanz.
Damit sich ihre Wurzeln bis zur nächsten Saison gut erholen, gilt als letzter Erntetag der 21. Juni. Für die Bauern ist es deshalb auch lukrativ, wenn sie die Spargelsaison möglichst früh beginnen können.
Unter Druck
In den Supermärkten gibt es schon ab Februar Spargeln aus Mexiko. Dadurch fühlen sich Schweizer Bauern wie der Bauernhof von Familie Lanz unter Druck – und tun ihr Möglichstes, damit die Spargelernte früher beginnen kann. «Die Leute wollen schon früh Spargeln. Das ist für uns ein grosser Knackpunkt», sagt Lanz.
Das hilfreichste, um die Spargelpflanze voranzutreiben: Plastik-Vliese über den kilometerlangen Beeten. So bleibt die Wärme, die für das Spargelwachstum matchentscheidend ist, besser in der Erde, und der Bodenfrost kann den Spargeln weniger etwas anhaben.
«Mit dem Vlies können wir die Spargeln etwas früher anbieten. Wenn man ganz auf das Plastik verzichtet, was ökologisch sinnvoller wäre, müsste man länger warten», so Lanz. Es gäbe je nach Wetter erst im Mai Spargeln. «Aber das wollen die Leute nicht.» Und es verkürzt die Spargelsaison, die sowieso schon kurz ist.
Gefriert die Erde samt Spargeln, gehen sie kaputt. «Man muss alle abeschlegle und warten, bis sie wieder neu wachsen», sagt Manuela Lanz. Damit ist die Ernte zwar nicht gleich vorbei. Aus einer Spargelpflanze entstehen viele Spargeln – jedes Jahr werden sie sogar noch etwas mehr und können dicker werden. Für die Bauern ist es trotzdem ein Problem: «Das gibt eine Lücke in der Lieferfrist», sagt Manuela Lanz.
«Unsere Böden sind unser Einkommen»
Das Seeland ist für den Schweizer Gemüseanbau von grosser Bedeutung. Hier werden zirka 20 Prozent des Schweizer Gemüses angebaut. Das kommt daher, dass der Boden enorm nährstoffreich ist. Aus historischen Gründen: Bis zur zweiten Juragewässerkorrektion von 1962 bis 1973 war das Seeland ein Moor, das regelmässig überschwemmt wurde.
Seit der Korrektion – seit dann haben Bielersee, Murtensee und Neuenburgersee immer den gleich hohen Wasserstand – ist das ehemalige Feuchtgebiet trockengelegt und wird als Anbaugebiet genutzt. Gleichzeitig schwindet die Biodiversität, es verschwinden Feuchtflächen und pro Jahr ein Zentimeter des nährstoffreichen organischen Bodens, auch Humus genannt. Naturschutz und Bauernbetriebe stehen vor Herausforderungen.
«Es ist ein riesiges Thema», bestätigt Manuela Lanz. «Wir schauen sehr gut zu unseren Böden. Wir haben auch nicht das Interesse, sie kaputt zu machen oder zu düngen, bis es nicht mehr geht.» Lanz zählt auf: Sie arbeiten mit bodenschonenden Maschinen, die sie – wenn es geht – überdies nur benutzen, wenn der Boden nicht nass ist. Weil man sonst viel mehr kaputt mache. Sie würden auch die Anforderung an biodiversen Flächen erfüllen. «Der Boden ist unser Einkommen.»
Sie würden so wenig Pflanzenschutz wie möglich einsetzen. «Aber es braucht einfach Pflanzenschutz, damit wir das produzieren können, was gefragt ist», sagt Lanz. Das sei der Widerspruch, mit dem sie leben müsse: Denn die Konsument*innen wollten dann doch Erstklass-Ware. Gerade und gleichförmige Spargeln, runde und mittelgrosse Äpfel.
Dass es auch anders geht, zeigt der Hofladen des Bauernbetriebs. Hier finden sich dünne neben dicken Spargeln, krumme und solche mit geöffneten Spitzen in der Kiste für das Zweitklassgemüse. Schon nach dem Mittag ist der Selbstbedienungsladen oft komplett leer gekauft.