«Ein bisschen etwas für alle»
90 Prozent der Materialien in der neuen Ausstellung des Museums für Kommunikation sind rezyklierbar. Ist das mehr als ein Gag? Unsere Autorin hat die Ausstellung mit ihrer Schwester, die regelmässig an Klimademos teilnimmt, besucht.
Am Eingang registrieren wir uns bei den ersten Computerstationen mit dem Jeton, den wir an der Kasse gekriegt haben. Auf meinem Bildschirm begrüsst mich eine Fliege mit schwarzen Flügeln, Lily eine Wespe.
Wir besuchen die Ausstellung «Planetopia – Raum für Weltwandel» im Museum für Kommunikation. Lily, meine 17-jährige Schwester, ist zehn Jahre jünger als ich. In ihrem Alter flog ich mit Easyjet für ein verlängertes Wochenende nach London. Lily findet Fliegen nur okay, wenn man mindestens zwei Monate wegbleibt und es keine alternative Reisemöglichkeit gibt – und auch dann eigentlich nicht. Ich esse immer noch ab und zu Fleisch, Lily ist seit fünf Jahren Vegetarierin. Ich kann nicht Auto fahren und kaufe meistens saisongerechte Produkte, Lily geht an Demos. Wir nutzen dasselbe Netflix-Abo und hängen unsere iPhones jeweils die ganze Nacht an den Strom.
Der Ausstellungsraum ist ein langer Schlauch, der durch Stellwände in unterschiedliche Sektoren unterteilt wird. An den beiden langen Wänden wimmelt es von Grafiken, Illustrationen und Buchstaben in drei Sprachen. Manchmal ist dort der Text so gross, dass die Distanz fehlt, um ihn gerne anzuschauen oder richtig lesen zu können; beim Zurücktreten stosse ich an die Stellwand hinter mir. Die Ausstellung wurde zu ca. 90 Prozent aus recycelten Materialien gebaut – anscheinend eine Pionierarbeit bei einer so grossen Ausstellung.
Lily: Stimmt das wohl wirklich mit den 90 Prozent?
Ich: Ich hoffe mal.
Lily: Also wenn ja, ist’s ziemlich cool.
Ich nicke.
Lily: Was denkst du, wie viel Energie braucht das Licht und die Heizung und die Lüftung und die Bildschirme?
Ich: Gute Frage.
Für die Szenografie ist Offcut verantwortlich; die Firma betreibt auch verschiedene Märkte mit jeglichen Rest- und Secondhandmaterialien. Die Ausstellungsstücke sind mit neongrünen Klebern markiert, um ihre Herkunft zu deklarieren – es gibt Wände von einem vierstündigen IT-Event oder Karton-Tafeln aus Vespa-Verpackungen. Auch die Neuanschaffungen werden gekennzeichnet. Wir zählen die Kleber nicht. Lily sprechen die Illustrationen und die verspielte Typografie im Raum an, mich weniger. Dafür mag ich die vielen unterschiedlich eingesetzten Materialien. Über unseren Köpfen hängt ein Mobile aus weissen Brocki-Oberteilen und Sneakern von Schüler*innen aus dem Kirchenfeld-Gymer. Ein Sneaker besteht aus durchschnittlich 40 verschiedenen Komponenten. Das überrascht uns. Aber nur im ersten Moment, dann kommen uns die verschiedenen Klebstoffkomponenten und die Stoffzusammensetzung der Schuhbändel in den Sinn.
Ich: Was von dem, das du anhast, ist Secondhand?
Lily: Das Röckli und der Pulli. Ah, die Hosen auch, die sind von Rework. Diese
Eigenmarke von Fizzen. He, recht gut!
Ich: Bei mir sind es nur die Schuhe. Wie häufig kaufst du neue Kleider, Lily?
Sie niest.
A: Gesundheit.
L: Merci. Hm, schwierig zu sagen.
Ich: Machst du dir bei der Kleidung viele Gedanken zu Nachhaltigkeit?
Lily: Ich probiere das schon, aber...
Ich: Zwischendurch gönnst du dir halt auch mal was von Monki?
Wir lachen.
In der Ausstellung wird von Biodiversität gesprochen, von ökologischem und weniger ökologischem Bauen, von Mobilität, von Lebensmitteln und Kleidern, von Boden- und Luftqualität, von Konsum und Abfall. An den im Raum verteilten Bildschirmen tippen wir uns durch die Fragen zu unserem persönlichen Umgang mit Nachhaltigkeit und speichern unsere Antworten auf dem Jeton. Unter den Infotexten und neben den Grafiken gibt es zum Teil kleine Tipps – die uns alle schon bekannt sind.
Ich: Diskutierst du mit deinen Freund*innen über diese Themen, Lily?
Lily: Wir haben die halt alle ständig im Hinterkopf. Es ist zu etwas Logischem geworden, zu etwas, das dazugehört. Aber natürlich auch nicht für alle; darum finde ich es schwierig, wenn du von «Klimajugend» sprichst. Viele von meiner Klasse scheissen auf so Themen.
Ich: Findest du denn «Klimajugend» allgemein einen blöden Begriff?
Lily: Es ist halt so eine Kategorie – und sehr viele Menschen würden sich selbst nicht dort einordnen.
Ich: Wird also von dir erwartet, dass du dich für Umweltthemen interessierst, einfach weil du zu dieser Generation gehörst?
Lily: Also sie sind mir ja tatsächlich wichtig! Ich finde einfach blöd, wenn man die ganze «Jugend» in einen Topf schmeisst. Es stimmt ja, dass meine Generation in Bezug auf die Umwelt grundsätzlich aktiver ist als zum Beispiel deine, aber man kann das nicht generalisieren und einer ganzen Generation einen einzigen Namen geben.
Ich nicke. Und denke an die Millenials, mit denen ich mich wirklich auch nur bis zu einem gewissen Grad identifiziere.
Ungefähr in der Mitte des Ausstellungsraums setzen wir uns auf zwei Sessel und lauschen den Audioaufnahmen von befragten Schweizer*innen. Die Stimmen erzählen, von ihren Fortbewegungsmitteln, ihren Wohnsituationen und Konsumverhalten. Sie versuchen, sich vor mir zu rechtfertigen und ich erkenne mich in ihnen wieder. Bei anderen Stationen können sich die Besucher*innen an Planetopia beteiligen und ihre Ideen und Fragen einreichen. Geschrieben mit feinem Bleistift auf weissen Zetteln in Postkartengrösse stehen Fragen wie: Warum wurde das CO2 Gesetz von den Schweizer*innen abgelehnt? Oder: Hat die Politik versagt? Oder: Yeah, bedingungsloses Grundeinkommen. Oder: Jugendliche Aktivist*innen! Bei: Menschen ausrotten! Lachen wir ein bisschen nervös.
Ich: Kannst du mir das aus dem Geo-Unterricht nochmal erzählen?
Lily verzieht das Gesicht.
Ich: Bitte.
Lily: Während dem Unterricht zeigt mein Geolehrer im Hintergrund jeweils so einen Current World Population-Ticker. Darauf sieht man immer direkt, wie viele Babys zur Welt kommen und wie viele Menschen sterben. Die Geburtenrate ist viel höher als die Sterberate, in circa sieben Sekunden gibt es eine ganze Klasse mehr auf der Welt. Das ist spannend, aber halt auch frustrierend, wenn das immer im Hintergrund mitläuft – und ein totaler Stress, wenn man sich das eine ganze Lektion lang anschauen muss.
Ich: Tut mir Leid.
Diese acht Milliarden werden in der Ausstellung ausgeklammert. Bei der letzten Jeton-Station ganz hinten in der Ausstellung zeigen uns die Fliege und die Wespe dann dafür, wie gut oder schlecht unsere Ökobilanz ausfällt und lassen uns ein persönliches Klimawandelsabkommen abschliessen. Unser Versprechen an die Umwelt. Ich wähle die ökologischere Reiseplanung, Lily kauft sich in Zukunft weniger Kleider. Beim Verlassen des Raums fragen wir uns, für wen die Ausstellung konzipiert wurde. Ist sie ein Kompromiss? Nach dem Motto «ein bisschen etwas für alle»? Oder ist sie explizit für Menschen, die noch fast nichts über die ökologische Krise wissen? Und wer ist das denn tatsächlich? Besuchen solche Leute überhaupt diese Ausstellung?
Ich: Wäre das eine Ausstellung, die du mit deinen Freund*innen besuchen würdest?
Lily überlegt.
Lily: Ich glaube nicht.
Ich: Warum nicht?
Lily: Weil ich alles eher oberflächlich fand. Ich habe nicht viel Neues gelernt, das meiste war mir schon bewusst. Die Ausstellung gibt sich bemüht, positiv zu bleiben und zu zeigen, dass es noch nicht zu spät ist, um etwas zu verändern.
Ich: Ist dir das zu wenig radikal?
Lily schweigt kurz.
Lily: Also ich fände schon wichtig zu erklären, was gerade aktuell abgeht, was in der Politik passiert und was eben nicht.
Als wir uns zu Fuss auf den Heimweg machen, erzählt mir Lily von Freund*innen, die sich eine Zeit lang aktiver in der Klimabewegung engagierten. Und von der grossen Frustration und Niedergeschlagenheit, die übrig bleibt, wenn auch gut organisierte Demos und passionierte Reden nicht mehr provozieren als ein kleiner Zeitungsartikel.
Ich: Aber gehst du denn weiterhin an die Demos?
Lily: Ja, klar.
Bevor wir am Bahnhof in andere Richtungen gehen, umarme ich sie fest.
Die Ausstellung «Planetopia – Raum für Weltwandel» im Museum für Kommunikation läuft bis 23.7.2023