Keine freie Fahrt

Kein Dorf ist vom geplanten Autobahnausbau mehr betroffen als Schönbühl. Aber brächte er wirklich die versprochene Entlastung für das Dorf? Ein Ortstermin.

Ortstermin zum Autobahnausbau fotografiert am Donnerstag, 31. Oktober 2024 in Schoenbuehl. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Ein Tunnel im Dorf dient als Zubringer zu den Autobahnen A1 und A6. (Bild: Manuel Lopez)

«Hier gibt es immer Stau, auch wenn es auf der Autobahn keinen hat», sagt Roland Lüthi. Der GLP-Grossrat steht vor dem Kreisel in Schönbühl. Zwei weitere Kreisel befinden sich in Sichtdistanz, sie alle lenken den Verkehr Richtung Autobahn. Die Autos kommen aus den umliegenden Gemeinden, Jegenstorf, Hindelbank, Moosseedorf, Bäriswil. Und natürlich von der Autobahn. 23’200 sind es durchschnittlich pro Tag.

Schönbühl besteht aus einem Verkehrschaos. Schon sehr lange. Übereinstimmend sagen Einwohner*innen: «Ich vermeide es, zu Stosszeiten durchs Dorf zu fahren.» So klingt es beim lokalen Geschäft Tschanz Storen, so sagt es die Geschäftsführerin von Ueli der Beck, so macht es auch GLP-Grossrat Roland Lüthi.

Wohl kein anderer Ort ist vom geplanten Autobahnausbau, über den die Stimmbevölkerung am 24. November befindet, mehr betroffen als Schönbühl. Hier gibt es die Autobahnzufahrten auf die A1 in Richtungen Zürich und Bern, auf die A6 Richtung Biel.

Hier soll die A1 ausgebaut werden. Von sechs auf acht Spuren bis ins Wankdorf nach Bern. Von vier auf sechs Spuren bis nach Kirchberg in Richtung Zürich.

Die Autobahn-Abstimmungsvorlage

Am 24. November befindet das Schweizer Stimmvolk über sechs Ausbauten der Autobahn in der ganzen Schweiz. Die Spurausbauten der A1 zwischen Wankdorf und Schönbühl sowie zwischen Schönbühl und Kirchberg sind zwei davon. Weiter soll auf der A2 bei Basel ein neuer Rheintunnel gebaut werden, auf der A4 bei Schaffhausen und der A1 bei St. Gallen je ein Tunnel ausgebaut werden und auch die A1 zwischen Le Vengeron und Nyon in der Westschweiz soll ausgebaut werden.

Für diese Projekte sind insgesamt 4,9 Milliarden Franken aus einem zweckgebundenen Fonds vorgesehen. Weil gegen die Vorhaben erfolgreich das Referendum ergriffen wurde, kommt die Vorlage vors Volk.

Es würde bedeuten, dass Schönbühl für mindestens zwölf Jahre von einer gigantischen Baustelle dominiert würde. Aber ob es danach besser werden würde? Es ist eine Frage, an der sich die Geister scheiden.

Dabei wird im Abstimmungsbüchlein die Verminderung des Ausweichverkehrs in die Dörfer als eines der Hauptargumente für den Ausbau aufgeführt.

Am Knotenpunkt

Früher Donnerstagabend. Auf der Wiese mitten in Schönbühl grasen Schafe. Daneben rauschen Autos vorbei. Um halb fünf noch in flottem Tempo, kaum eine Viertelstunde später aber kriechen sie nur noch. Durch bis zu drei Kreisel kämpfen sie sich, auf dem Weg zur Autobahn oder von ihr weg.

Schönbühl hat immerhin 6500 Einwohner*innen. Und trotzdem wissen manche aus umliegenden Gemeinden gar nicht, dass das Dorf auch ein Zentrum hat.

Hier gibt es Denner und Coop, die lokale Filiale der bäuerlichen Bau-AG GLB, eine Postfiliale, mehrere Arztpraxen, den Dorfbeck, den Landgasthof Schönbühl und einen Dorfplatz mit einem recht hässlichen Brunnen.

Aber auch: Drei Bahnhöfe, einen Helikopterlandeplatz, Velowege in alle Richtungen.

Doch alles, was die Leute von ausserhalb – vor allem die mit Autos – kennen, ist der Autobahnanschluss, der Obi, das Shoppyland.

Ortstermin zum Autobahnausbau fotografiert am Donnerstag, 31. Oktober 2024 in Schoenbuehl. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
GLP-Grossrat Roland Lüthi glaubt nicht, dass der Verkehr in Schönbühl abnehmen wird. (Bild: Manuel Lopez)

«Schönbühl ist ein Knotenpunkt», sagt GLP-Politiker Lüthi. Er wohnt im nahen Moosseedorf, das gleich auf der anderen Seite des Shoppylands liegt. Von seinem Haus aus hat er freie Sicht auf die Autobahn. Und er ist einer der über 60 Einsprechenden gegen den Autobahnausbau beim Grauholz. So wie auch die Gemeinden Schönbühl, Moosseedorf, Ittigen oder Zollikofen eingesprochen haben. Viele der Einsprachen sind noch offen.

Bei Lüthi geht es um die Lärmbelastung. Und darum, dass vor der nun angesetzten Abstimmung nur das Teilstück zwischen Wankdorf und Schönbühl öffentlich aufgelegt worden ist, nicht aber die Fortsetzung des Ausbaus Richtung Kirchberg. Er vermutet, dass das zuständige Bundesamt Astra das aus Kalkül gemacht hat.

«Auch sie wird noch einmal Lärm verursachen, das muss man miteinberechnen», sagt Lüthi. Darauf fusst seine Beschwerde. Obwohl ihm klar ist, dass eine Beschwerde den Autobahnausbau nicht verhindert, sondern das Astra lediglich dazu zwingt, Anpassungen zu machen. Zum Beispiel durch höhere Schallschutzmauern.

Hinter Schallschutzmauern

Schallschutzmauern sind im Dorf omnipräsent. Sie sind hoch. In ihrem Schatten befindet sich ein um diese Uhrzeit verlassener und trostlos aussehender Kinderspielplatz. Aber auch Wohnhäuser sind zum Teil eng daran gebaut. Bei manchen hat man aus dem zweiten Stock freie Sicht auf die Autobahn. Auch das ist man sich in Schönbühl gewöhnt. Da der Ausbau dieses Teilstücks noch nicht ausgesteckt ist, ist auch noch nicht bekannt, ob die angrenzenden Wohnhäuser, Gewerberäume, Spielplätze weichen müssen oder nicht.

Ortstermin zum Autobahnausbau fotografiert am Donnerstag, 31. Oktober 2024 in Schoenbuehl. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Ein Spielplatz im Schatten der Schallschutzmauer. (Bild: Manuel Lopez)

Unklar ist auch, ob die Verkehrssituation nach dem Ausbau besser werden würde. Darauf hofft zum Beispiel Regula Hasler. Sie ist Geschäftsführerin von Ueli der Beck beim RBS-Bahnhof Schönbühl. «Man möchte das Verkehrschaos nicht mehr», sagt sie, die selbst auch in Schönbühl wohnt. Es gebe überall Chancen und Gefahren. Grundsätzlich denke sie, dass der Bau zuerst zu mehr Staus führen würde, aber es vielleicht danach besser würde.

Blick nach Zollikofen

Als Vergleich könnte das Beispiel Zollikofen dienen. Dort gibt es auch eine belastete Strasse, die Bernstrasse Richtung Bern. Um die 18’500 Autos passieren sie tagtäglich. Diese Zahl bleibt seit über 40 Jahren überraschend konstant. So waren es laut Verkehrszählung im Jahr 1981 18’577 Fahrzeuge, im Jahr 2023 18’674 Fahrzeuge.

Dazwischen geschah aber einiges: 1995 wurden im Grauholz zwei zusätzliche Autobahnspuren in Betrieb genommen. Die Begründung – wie auch schon beim ursprünglichen Bau der Autobahn vor über 60 Jahren: Den Flaschenhals in Zollikofen beseitigen und das Dorf vom Durchgangsverkehr entlasten.

Das gelang nicht. Warum sollte es jetzt, wenn die Autobahn nochmals um zwei Spuren ausgebaut wird, gelingen?

In Zollikofen hält sich Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) bezüglich der Abstimmung bedeckt. «Wir haben als Gemeinde keine Parole gefasst», sagt er. Zollikofen sei in einem Spannungsfeld. «Einerseits sind wir eine der Gemeinden, die mindestens kurzfristig ziemlich viel profitieren könnte – andererseits wirkt sich die Klimabilanz negativ auf unsere Beurteilung aus, darum haben wir auch Einsprache gegen das Projekt gemacht.»

Er persönlich gehe davon aus, dass es bei einem Ausbau der Autobahn «sicher nicht eine Zunahme» des Verkehrs auf der Bernstrasse geben würde. Er will sich aber auch nicht auf die Äste herauslassen, ob der Verkehr auf der Bernstrasse gross reduziert werden könnte.

Was aber klar scheint: Mit der Zahl von knapp 20’000 Fahrzeugen pro Tag ist die Strasse an einer Belastungsgrenze angelangt. Mehr geht einfach nicht. Oder nur durch viel Stau, was sich immer zeigt, wenn es auf der Autobahn einen Unfall gegeben hat, und die Pendler*innen sich einen Weg durch die Agglo suchen. Dann geht es nur noch im Schritttempo vorwärts.

Ortstermin zum Autobahnausbau fotografiert am Donnerstag, 31. Oktober 2024 in Schoenbuehl. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
In Schönbühl gibt es Häuser, die direkt an die Schallschutzmauer gebaut sind. (Bild: Manuel Lopez)

Zurück in Schönbühl. Hier ist die Gemeinde gegen den Ausbau der Autobahn. Sie fürchtet um die Wohn- und Lebensqualität, wie sie in ihrer Einsprache festgehalten hat.

Auch in Schönbühl ist das Verkehrschaos am schlimmsten, wenn es auf der Autobahn Stau durch einen Unfall gibt. In jenen Momenten sieht man viele Autokennzeichen aus anderen Kantonen, deren Fahrer*innen sich Schleichwege suchen, um den Stau zu umgehen. Das ist aber geschätzt weniger als einmal pro Woche der Fall.

Möglicherweise würde es durch einen Ausbau der Autobahn bei einem Unfall weniger Rückstaus geben. Und weniger Ausweichverkehr. Nur ist das nicht das Hauptproblem von Schönbühl. Das Problem ist der stetige Verkehr, vor allem zu Stosszeiten.

17.30 Uhr. Es wird langsam dunkel. Der Verkehr durch Schönbühl kriecht weiter. Hier glaubt niemand so recht daran, dass sich durch den Autobahnausbau etwas am Verkehrschaos ändern würde. Auch wenn in der Abstimmungsvorlage steht: «Bundesrat und Parlament wollen mit sechs Projekten gezielt Engpässe beseitigen, damit Lastwagen und Autos nicht in Wohnquartiere und Dörfer ausweichen.»

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Diskussion

Unsere Etikette
Thomas Schneeberger
14. November 2024 um 00:13

Die Legende zum letzten Bild verkehrt:

Nicht ist das Haus "direkt an die Schallschutzmauer gebaut", sondern die Autobahn wurde direkt an die Grundstücke mit Häusern hingepflanzt und später mit Lärmschutzwänden abgetrennt.

Bruno Vanoni
09. November 2024 um 19:30

"Einerseits sind wir eine der Gemeinden, die mindestens kurzfristig ziemlich viel profitieren könnte", sagt Zollikofens Gemeindepräsident. Aber wie denn? Zwei Fahrspuren mehr auf der nahen Grauholz-Autobahn - es ist und bleibt schleierhaft, wie Zollikofen davon profitieren soll. Beim letzten Ausbau um zwei Fahrspuren anfangs der 90er Jahre gab es jedenfalls keine spürbare Entlastung. Aber während der mehrjährigen Bauzeit dürfte die Verkehrsbelastung Zollikofens merklich zunehmen. Ein Grund mehr für ein klares NEIN auch aus Zollikofen!

Roman und Katrin Gysel und Haltmeier
09. November 2024 um 09:45

Gestern war ich in Schaffhausen, dort gibt es viele Plakate gegen den Ausbau. Weniger Verkehr wird versprochen vom Astra, mehr erwartet von der lokalen Bevölkerung und unabhängigen Studien, weil eine Autobahnauffahrt auf die A4 wegfallen wird. Damit erhöht sich der Verkehr durch die Stadt. Sowohl dort wie in Schönbühl/Zollikofen muss man sich fragen, ob Bundesrat, Parlament und das Astra transparent und redlich informieren mit ihrer Argumentation der Verkehrsentlastung!

Martin Wüthrich
09. November 2024 um 06:27

"wer strassen säät, wird mobilität ernten"

galt bereits 1998, gilt auch heute noch.

Die rechten betonköpfe mögen das nicht verarbeiten können, aber wahr ist es trotzdem.