Diese Wiese hat es in sich

Bei der geplanten Solaranlage beim Flughafen Belpmoos läuft alles auf einen Streitpunkt hinaus: Wie schützenswert ist die dortige Trockenwiese? Eine Auslegeordnung.

Trockenwiese Belp
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Von nationaler oder regionaler Bedeutung? Um diese Trockenwiese streiten sich Befürworter*innen und Gegner*innen der geplanten Solaranlage. (Bild: Danielle Liniger)

Im Belpmoos treffen Welten aufeinander. An sonnigen Nachmittagen tummeln sich auf der Schwemmebene zwischen Aare und Gürbe Hündelerinnen neben Flugzeugfanatikern. Im Flughafenbistro trinken Rentner in Strohhüten Café Crème, während auf dem Rollfeld Privatjets landen – neben seltenen Schmetterlingsarten und Lachmöwen.

So sangen es Patent Ochsner schon in den 1990er Jahren: 

I stah jede Tag da usse

Gseh die Flüger cho u gah

(…)

Uf dr Startbahn hocke Möwe

Und s Fäud isch wyss vom Ryf

Die Berner Mundartrocker konnten damals noch nicht ahnen, dass die merkwürdige Idylle rund um den Flughafen Bern-Belp dereinst ausgerechnet durch erneuerbare Energien bedroht werden sollte. 

Privatjets und Solarpanels

Der Flughafen Bern-Belp ist vergleichsweise winzig. Während jährlich über 30 Millionen Passagier*innen den Flughafen Zürich nutzen, sind es in Belp rund 60'000. Der fast 100-jährige Flughafen wird heute vorwiegend von Privatjets angeflogen.

Die Betreiberin Flughafen Bern AG hat seit Jahren Geldprobleme. Nachdem 2018 die Fluggesellschaft Skywork in Konkurs gegangen war, schrieb die Flughafen AG hohe Verluste. Seit 2022 ist sie zwar wieder in den schwarzen Zahlen, doch die angeschlagenen Finanzen lassen es weiterhin nicht zu, die teilweise veraltete Infrastruktur umfassend zu erneuern. Ein Zustupf vom Kanton durch Steuergelder fiel 2021 ins Wasser.

In der Hoffnung auf stabilere Geldflüsse setzt der Flughafen auf das Geschäft mit erneuerbaren Energien.

2023 kündigte die Flughafen Bern AG gemeinsam mit dem kantonalen Energieunternehmen BKW an, auf dem Flughafengelände die grösste Freiflächen-Solaranlage der Schweiz bauen zu wollen. Später trat auch der städtische Energieversorger EWB mit einer Beteiligung von zehn Prozent dem Projekt «Belpmoos Solar» bei. 

Rund ein Drittel des Flughafengeländes soll mit über 56'000 Fotovoltaik-Modulen ausgestattet werden. Sie könnten Strom für bis zu 19'000 Zwei-Personen-Haushalte produzieren, 30 Prozent davon im Winter. 

Die Module sollen auf der unbebauten Grasfläche direkt neben dem Flughafen-Rollfeld stehen. 

Biotop von regionaler Bedeutung – und von nationaler?

Ein Teil der besagten Fläche ist, für Laien kaum erkennbar, eine über Jahrzehnte entstandene Trockenwiese. Eine der grössten im gesamten Mittelland. 

Eine Trockenwiese ist eine ungedüngte Wiese, die oft äusserst artenreich ist: Viele Pflanzen- und Tierarten wie Blumen und Insekten, die zunehmend an Lebensräumen einbüssen, gedeihen dort. Durch intensive Landwirtschaft gibt es immer weniger ungedüngte Flächen. In den letzten 60 Jahren sind rund 90 Prozent der Trockenwiesen und -weiden in der Schweiz verschwunden. 

Trockenwiese Belp
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Der Bundesrat entscheidet über die Einstufung der Trockenwiese beim Belpmoos. (Bild: Danielle Liniger)

Die Wiese beim Flughafen Bern-Belp ist im kantonalen Inventar als «Biotop von regionaler Bedeutung» erfasst. Dadurch ist vorgeschrieben, wie sie etwa gemäht werden darf. Seit längerer Zeit steht die Frage im Raum, ob sie auch ins nationale Inventar aufgenommen und als «Biotop von nationaler Bedeutung» eingestuft werden sollte. 

Dann stünde sie umfassend unter Schutz. Der Bau einer Solaranlage auf der Fläche wäre gesetzlich verboten. Damit könnte das Projekt Belpmoos Solar gar nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang realisiert werden. Entsprechend brisant ist das Verfahren um die rechtliche Qualifikation dieser Wiese geworden, seit Belpmoos Solar in den Köpfen ist.

Gegen die Solaranlagen auf der Trockenwiese stellen sich Naturschutzverbände wie Pro Natura Bern oder der eigens wegen dem Projekt gegründete Verein Natur-Belpmoos.

«Kriterien grundsätzlich erfüllt»

Welche Trockenwiesenstandorte ins nationale Inventar aufgenommen werden, wird in einem mehrstufigen Verfahren bestimmt. Normalerweise empfehlen die Kantone Flächen auf ihrem Gebiet zu Handen des Bundesamts für Umwelt (Bafu). Dieses erweitert die Liste entsprechend und legt sie dem Bundesrat vor, der über die Aufnahme entscheidet.

Aktuell läuft eine Revision des Bundesinventars. Im Jahr 2022 hat der Kanton Bern die Belper Wiese dem Bafu im Rahmen dieser Revision zur Aufnahme empfohlen. Doch als die Pläne mit der Solaranlage bekannt wurden, machte der Kanton einen Rückzieher: Im Februar 2023 liess er das Gesuch um Aufnahme sistieren. 

Das machte die Republik letztes Jahr öffentlich. Der Kanton Bern bestätigt gegenüber der «Hauptstadt»: «Nachdem das Projekt Belpmoos Solar bekannt wurde, wurde das Gesuch sistiert, um zu klären, was die verschiedenen Inventarstufen für das Solarprojekt bedeuten».

Im August 2024 gingen beim Bafu allerdings zwei neue Gesuche zur Aufnahme der Belper Wiese ins Bundesinventar ein. Sie kamen von der Naturschutzorganisation Pro Natura sowie von Privatpersonen. Das Bafu teilt auf Anfrage der «Hauptstadt» mit, dass Hinweise für eine Aufnahme auch von Dritten kommen können. Die Prüfung erfolge dann in Absprache mit dem Kanton. Damit kam das Verfahren wieder ins Rollen. Solange nicht geklärt ist, ob die Trockenwiese beim Belpmoos den Schutz des Bundesinventars erhält, kann «Belpmoos Solar» nicht gebaut werden.

Im Dezember gab der Bundesrat den Vorschlag für das revidierte Inventar in die Vernehmlassung. Das Belpmoos findet sich nicht auf der Liste. Die Prüfung der Wiese sei noch pendent, schreibt das Bafu dazu auf Anfrage. Die Aufnahme werde aktuell in Absprache mit dem Kanton Bern geprüft. Das Gebiet könnte «noch in die aktuelle Revision aufgenommen werden, sofern die entsprechenden Bewertungskriterien erfüllt wären».

Es weist einiges darauf hin, dass die Wiese diese Kriterien erfüllt. Der Kanton Bern schreibt auf Anfrage: «Gemäss der Einschätzung der betroffenen kantonalen Fachabteilung erfüllt das Belpmoos voraussichtlich die Bundeskriterien.»

Das Bafu will sich nicht zu der Frage äussern, solange das Verfahren läuft. Der «Hauptstadt» liegt allerdings eine E-Mail des Abteilungsleiters Biodiversität und Landschaft des Bafu vor. Im Februar schrieb er auf Nachfrage einer Privatperson zum Belpmoos: «Gemäss unserer Beurteilung erfüllt es grundsätzlich die Kriterien der nationalen Bedeutung.»

Trotzdem zieht sich das Verfahren offenbar hin. Weder das Bafu noch der Kanton wollen angeben, wann die Prüfung abgeschlossen und der allfällige Eintrag der Trockenwiese Belpmoos ins Inventar dem Bundesrat unterbreitet wird. Dieser verabschiedet die aktuelle Revision des Bundesinventars voraussichtlich im Herbst 2025. Per Anfang 2026 soll das neue Inventar in Kraft gesetzt werden.

Findet die Wiese im Belpmoos keinen Eingang in diese Revision, wird wahrscheinlich in einem separaten Verfahren darüber entschieden. Wann das der Fall sein könnte, ist offen.

Studie unter Verschluss

Im Projektbeschrieb von Belpmoos Solar ist die Trockenwiese nicht erwähnt. Auch als die BKW, die Flughafen Bern AG und EWB ihr Projekt den Medien vorstellten, war die Trockenwiese kein Thema. Sie beschreiben die Anlage sogar als «Chance für die Natur», weil in einem Teil des Flughafenareals durch Verzicht auf Bewirtschaftung neue Lebensräume entstehen würden. Dafür wurden sie aus Naturschutz-Kreisen scharf kritisiert

Die Belpmoos Solar AG hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die auch Umweltauswirkungen untersuchte. Auf Anfrage der «Hauptstadt» schreibt die BKW, die Studie werde nicht veröffentlicht, so lange «nicht alle amtlichen Stellen im Genehmigungsverfahren Einblick in die Studie genommen und eine Stellungnahme verfasst haben». Auch die Autor*innen der Expertise hält die BKW unter Verschluss.

Trotzdem kommt die BKW in ihrer Antwort an die «Hauptstadt» explizit auf die Trockenwiesen-Problematik zu spreche. Für die Machbarkeitsstudie sei eine umfangreiche Kartierung des gesamten Perimeters vorgenommen worden. Dabei habe sich gezeigt, so die BKW, dass «gewisse Teilflächen die Kriterien für eine Aufnahme ins nationale Inventar der Trockenwiesenstandorte erfüllen».

Der Entscheid, welche davon tatsächlich unter nationalen Schutz gestellt werden sollen, obliege dem Bafu. Aber der BKW ist klar, dass diese Flächen für das Solarprojekt nicht mehr zur Verfügung stehen würden. «Das Layout der Solaranlage müsste entsprechend angepasst werden», hält die BKW fest.

Die Belpmoos Solar AG möchte laut eigenen Angaben bis Ende 2025 eine Baubewilligung erhalten und die Solaranlage 2026 in Betrieb nehmen. Ein Baugesuch kann sie erst einreichen, wenn der Bundesrat über die Qualifikation der Trockenwiese entschieden hat.

Trockenwiese Belp
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Der Boden, auf dem sich der Flughafen befindet, gehört der Stadt Bern. Deshalb beschäftigt Belpmoos Solar auch die Stadtpolitik. (Bild: Danielle Liniger)

Allerdings würde es auch dann nicht automatisch freie Fahrt für das Solarprojekt geben, sollten Bafu und Bundesrat die Trockenwiese Belpmoos nicht ins Bundesinventar aufnehmen. Stefan Zlot, Co-Präsident des Vereins Natur-Belpmoos, kündigt gegenüber der «Hauptstadt» an, dass der Verein in diesem Fall ein Baugesuch rechtlich anfechten werde, wenn nötig bis vor Bundesgericht. Und damit wäre Natur-Belpmoos bei weitem nicht alleine, fügt Zlot an.

Vorstösse im Stadtparlament

Vor dem Projekt Belpmoos Solar stehen zudem lokalpolitische Hürden. Der Grund: Das Land, auf dem sich der Flughafen und die Trockenwiese befinden, gehört der Stadt Bern. Damit die Solaranlage gebaut werden kann, müsste die Stadt ihre Baurechts- und Pachtverträge mit der Flughafen Bern AG anpassen. Im Berner Stadtparlament sind zwei Motionen aus den Reihen der Parteien Grünes Bündnis, Junge Alternative und Juso hängig, die das verhindern wollen. Sie kritisieren, dass mit der geplanten Solaranlage Greenwashing betrieben werden, wenn man bedenke, wieviel Treibhausgase der Flughafenbetrieb ausstosse.

Die erste Motion verlangt, dass der Gemeinderat die nötigen Vertragsänderungen nicht zulässt. Die zweite will erreichen, dass die Solaranlagen ausschliesslich auf den bereits bebauten Teilen des Geländes zugelassen werden – konkret auf der Landebahn. Die logische Folge: Der Flugbetrieb müsste eingestellt werden.

Anders sieht es die städtische SP. Sie verlangt in einer dritten Motion, dass die Stadtregierung die Anlage auf der Trockenwiese zulässt. Sie soll aber gleichzeitig in ihren Verträgen Massnahmen zur Artenförderung und ein Monitoring für Naturschäden vorschreiben.

Die Vorstösse werden voraussichtlich nach den Sommerferien im Stadtrat behandelt. Der Gemeinderat hat sich bisher grundsätzlich positiv zur geplanten Solaranlage geäussert.

Klar ist: Das Belpmoos wird in den nächsten Monaten viel zu reden geben – so unscheinbar die Wiese auch daherkommt. Beim Flughafenbistro weist einzig ein Schild mit dem Titel «Natur auf dem Flugplatzareal» auf die Tiere und Pflanzen hin, die sich dort zwischen Privatjets und Spaziergänger*innen offenbar pudelwohl fühlen: Wiesensalbei, Damenbrettfalter, Grünes Heupferd, Feldhase, Fuchs, Rotmilan, Lachmöwe.

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Diskussion

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Stefan Graf
30. April 2025 um 07:51

Die Trockenwiese im Belpmoos ist nicht einfach Brachland, das beliebig umgenutzt werden kann. Das hat mit Landschaftsschutz zunächst gar nichts zu tun. Als Flugfeld unterliegt sie den Bestimmungen des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL). Der SIL legt für jeden Flugplatz in der Schweiz eindeutig fest, was dort sein soll oder nicht sein darf. In Bern bestimmt er, dass auf der Wiese nichts gebaut werden darf, was die aviatische Nutzung einschränkt oder unmöglich macht, und gleichzeitig, dass der Segelflug, der die Wiese seit über 100 Jahren als Sportplatz nutzt, einen Platz im Angebot des Flughafens haben muss. Also eigentlich alles klar? Leider nicht ganz, denn die gleichen Kräfte, die den biologischen Wert der Trockenwiese wegdefinieren wollen, schrauben auch schon mächtig am SIL, um ihn ihren Wünschen anzupassen. Für die Stromsicherheit im Kanton bräuchte es solche Manipulationen gar nicht; sie entspringen ausschliesslich dem Geschäftsinteresse von Flughafen und BKW.

Werner Hoffmann
29. April 2025 um 07:57

In vielen Städten der Welt braucht die Anreise zum Flughafen mindestens so viel Zeit wie die von Bern zum Flughafen Zürich. Ein separater City-Flughafen für eine Stadt in der Grösse von Bern ist einfach unsinnig. Anderseits wäre ein Museum des Flugverkehrs touristisch durchaus attraktiv; so wäre ein Besuch in einem echten Kontrollturm doch sicher gut zu vermarkten. Deshalb: Flughafen schliessen, die Solarpanels auf die ehemalige Landebahn stellen, und den Berner Tourismus mit einer neuen Idee befeuern!