Ein Blick in die Berner Startup-Welt

Startup-Gründer*innen waren in Bern lange Mangelware. Doch das ändert sich gerade. Unterwegs in der hiesigen Szene – vom Progr bis zum ZID.

ZID Coworking Bernapark 2023 fotografiert am Mittwoch, 22. November 2023 in Stettlen. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Wohin führt der Weg des Startup-Standorts Bern? Hier ein Bild aus dem ZID im Bernapark. (Bild: Simon Boschi)

Im Progr am Waisenhausplatz wummern an diesem Morgen keine Bässe, nur der Startup-Beat ist hier zu spüren. Gründer*innen haben sich in der Aula für einen Austausch versammelt. Obwohl es erst acht Uhr ist, sind die Gespräche lebendig, man spürt, dass viele der jungen Menschen gerade in einer der wichtigsten Phasen ihres Berufslebens sind. Sie alle haben vor kurzem ein eigenes Unternehmen gegründet oder stehen kurz davor. Sie suchen deshalb ein Netzwerk von Gleichgesinnten – der «Wirtschaftsraum Bern» und «be-advanced» wollen als Organisatoren des Anlasses dabei helfen. Es handelt sich dabei um die Standortförderung sowie eine Vernetzungsplattform für Innovation und Unternehmertum.

«Finde heraus, was deine Kund*innen wollen» – unter diesem Motto steht das Neugründer*innen-Frühstück. Einer, der das schon recht gut zu wissen scheint, ist der 21-jährige Laurin Schütz. Er hat sich in diesem Jahr mit einem Schreinereibetrieb selbstständig gemacht. «Es läuft», sagt Schütz über «Laurin’s Wood Studio», das auch auf Instagram präsent ist. Er verkauft dort nicht nur selbst gebaute Möbel, sondern unterstützt auch andere Schreinereien in der Planungsphase oder packt als «Leiharbeiter» gleich direkt bei ihnen an, wenn sie Bedarf haben. 

No risk, no fun?

Jungunternehmerin ist auch Selina Muth, die seit 2023 zusammen mit Isabelle Lindner in ihrem Volta Studio am Eigerplatz Design-Dienste anbietet. «Alle Agenturen, für die wir arbeiteten, behaupteten, sie hätten flache Hierarchien. Wir wollen diese wirklich leben», sagt Muth. Das sei zugleich auch ihr Antrieb, etwas Eigenes zu machen. 

Einen Tisch weiter nippt Luca Kern am Kaffee. Der Entwickler und Jurist hat im Frühjahr 2023 die DeepReturn GmbH gegründet – das Startup automatisiert Support Chats mithilfe von künstlicher Intelligenz. Das sei zum Beispiel für Immobilienverwaltungen relevant, erklärt Kern. In seiner sich rasch entwickelnden Branche hat er schweizweit und international Kontakte geknüpft und stellt fest: Im Vergleich zu Zürich sei die Startup-Szene in Bern weniger spürbar. In der Limmatstadt gab es von Beginn weg mehr Interesse an seinen Anwendungen. Moderner und weltoffener gehe es dort zu, bilanziert er. In Bern hingegen sei der persönliche Bezug und das Netzwerk wichtiger.

Impressionen der Hauptstadt im Bernapark 2023 fotografiert am Freitag, 17. November 2023 in Stettlen. (haupstadt.be / Simon Boschi)
«Hauptstadt» im Bernapark Stettlen

Der bachsteinerne Kamin ist unübersehbar. Er wirkt wie ein erhobener Zeigefinger, wenn man aus dem einsamen Gümligental nach Stettlen hinunterschaut. Hier passiert etwas, signalisiert der Schlot der früheren Kartonfabrik Deisswil. Der mächtige Industriekomplex wird schrittweise umgebaut zu einem urban anmutenden Quartier namens Bernapark, in dem gearbeitet, gewohnt, gelebt wird.

Bern ist nicht berühmt für seinen Unternehmergeist. Der Bernapark ist ein Wagnis draussen im Grünen. Als Inspirationsort für Start-ups will das Zentrum für Innovation und Digitalisierung (ZID), in dessen geräumigem Co-Working-Space die «Hauptstadt»-Redaktion eine Woche lang gearbeitet hat, junges Unternehmertum fördern. Wörter wie Pioniergeist stehen an der Wand, ab und zu fährt ein Servierroboter durch den Gang, irgendwo steht: «Have you found Steve Jobs in you?».

Die «Hauptstadt», selber ein junges, kämpferisches Unternehmen, hat hingeschaut im Bernapark Deisswil und in der Gemeinde Stettlen.

Kern und sein Co-Gründer finanzieren ihr Startup momentan aus den Einnahmen, die sie mit ihren Dienstleistungen erzielen. «Bootstrapped» nennt man das in der Szene. Wollen Jungunternehmen schnell wachsen und möglichst früh ins Ausland expandieren, geht das allerdings selten auf diese Weise. Es braucht Fremdkapital.

Viele Investorengelder fliessen nach Zürich

Und wohin dieses Kapital fliesst, gibt Aufschluss über die Machtverhältnisse im Schweizer Startup-Game: 2022 gingen mehr als die Hälfte aller in Schweizer Jungunternehmen investierten Gelder in den Kanton Zürich, rund 2,1 Milliarden Franken waren das. Danach folgten die Waadt und Genf. Bern kommt erst auf Rang neun mit gerade mal 35 Millionen Franken und liegt noch hinter Freiburg und dem Tessin. Bei der Anzahl an finanzierten Startups sieht es im Kantonsvergleich ein wenig besser aus: Da rangiert Bern immerhin auf Platz sechs. Was aber im Umkehrschluss bedeutet, dass sich in Bern relativ viele Unternehmen den relativ kleinen Investmentkuchen teilen müssen.

Das geht aus dem jüngsten Venture Capital Report hervor. Stefan Kyora hat an ihm mitgearbeitet und verantwortet zugleich als Chefredaktor den Startupticker, eine für die Branche wichtige News-Plattform mit Sitz in Luzern.

Neugründer*innen-Früstück Bern 2021
© Danielle Liniger
Das Neugründer*innen-Frühstück ist eine der Initiativen von «be-advanced». (Bild: Danielle Liniger)

In Bern sei die Startup-Szene immer noch ein vergleichsweise junges Phänomen, sagt Kyora am Telefon. «In den letzten Jahren ist aber sehr viel passiert.» Kyora nennt in dem Zusammenhang das Berner Unternehmen Cascination, das sich mit Entwicklungen der computergestützten und bildgeführten Chirurgie einen Namen machte. Es sind diese Leuchttürme, die jungen Gründer*innen als Vorbild dienen, und die an einem Standort eine Startup-Dynamik in Gang bringen können. 

Ökosystem ist da – reicht das?

Und doch braucht es mehr für eine lebendige Startup-Szene. Experten wie Kyora sprechen auch von einem «Ökosystem». Und über das verfügt Bern mittlerweile: Der Impact Hub will den Gründer*innen-Geist wecken, im Medizinbereich hat sich der Sitem Startup Club gegründet, Aare Ventures versammelt Investoren, die Innovationsagentur be-advanced, kümmert sich dezidiert um Jungunternehmen und ein Mal im Jahr trifft sich die gesamte Branche im Kursaal zu den Startup Days.

Ein weiterer wichtiger Organismus in diesem Ökosystem: Das Zentrum für Innovation und Digitalisierung (ZID) im Bernapark Stettlen. Vor den Toren Berns hat der Investor Hans-Ulrich Müller diesen Startup-Ort im Bernapark geschaffen. Neonleuchten, lange Gänge, hippe Holztische: An einem von ihnen lehnt ZID-Geschäftsführer Frank Lange. Er führt das Zentrum seit dem Frühjahr 2023. Sechzehn Unternehmen sind dort aktuell daheim. 

Was ist überhaupt ein «Startup»?

Branchenexperten wie Stefan Kyora und auch der Unternehmerverband Economiesuisse sagen, dass es schwierig sei, eine einheitliche Definition für Startups zu liefern. Längst nicht alle neu gegründeten Unternehmen in der Schweiz sind auch Startups: Weniger als ein Prozent der jährlich rund 40'000 Neugründungen hierzulande werden als solche bezeichnet. 

Wenn man von Startups spricht, meint man im Allgemeinen junge Unternehmen mit einer innovativen Geschäftsidee und ambitionierten Wachstumsplänen. Das Geschäftsmodell verfolgt häufig einen wissenschafts- und technologiebasierten Ansatz und ist skalierbar, das heisst, dass es relativ schnell im jeweiligen Marktsegment erfolgreich sein kann.

Für Lange steht der Startup-Standort Bern vor einem wichtigen nächsten Entwicklungsschritt: Es gebe zwar Förderinstitutionen, Gründerprogramme an Hochschulen und Investor*innen, aber diese müssten sich nun stärker vernetzen, findet der Geschäftsführer. Nicht nur untereinander gibt es bei der Vernetzung noch Luft nach oben, auch was die Verbindungen ins Ausland betrifft.

Womit kann Bern auftrumpfen?

Das ZID bemüht sich erst seit diesem Sommer mit einem Accelerator-Programm darum, dass Schweizer Jungunternehmen in den USA Fuss fassen. Derzeit unterstütze man zwölf Startups bei ihrem Engagement in Übersee, wobei drei von ihnen in Bern angesiedelt seien, sagt der Programmverantwortliche Kaspar Zimmerli. 

Worin sich Expert*innen und Exponent*innen einig sind: Wichtig für den Standort Bern wird sein, ob es Jungunternehmen gelingt, neben dem erfolgreichen Medizintechnik-Schwerpunkt noch andere neue Felder zu bewirtschaften. ZID-Geschäftsführer Lange denkt beispielsweise an die Themen Nachhaltigkeit und Recycling, bei denen sich Bern einen Namen machen könnte. Auch innovative Technologien im Bereich der Gesetzgebung und des Rechtswesens könnten der Bundesstadt gut zu Gesicht stehen. Bern hat in neuen forschungsintensiven Feldern gegenüber Zürich und der Genferseeregion allerdings immer mit dem Nachteil zu kämpfen, keine Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) zu beheimaten. Die vergleichsweise hohen Unternehmenssteuern im Kanton Bern fallen zusätzlich ins Gewicht.

ZID Coworking Bernapark 2023 fotografiert am Mittwoch, 22. November 2023 in Stettlen. (haupstadt.be / Simon Boschi)
Strukturen mit Leben füllen – eine der Herausforderungen für den Startup-Platz Bern. Hier der Co-Working-Space im ZID. (Bild: Simon Boschi)

Dass es nicht immer Raketenwissenschaft sein muss, sondern dass sich in Bern kurze Wege und ein starkes Netzwerk auszahlen können, zeigt das Startup Ileve Optics. Ihm liegt eine simple Idee zu Grunde: Eine Velobrille in der Schweiz herzustellen, die perfekt passen soll. Silvia Nadenbousch und Simon Krähenbühl arbeiten seit 2021 an der Umsetzung.

Cancellara trägt sie schon

Vier verschiedene Modelle aus dem 3D-Drucker verkaufen die beiden über ihr Onlinegeschäft und in Velo-Shops. In der Gründungsphase bekamen sie eine einmalige Förderung des Kantons Bern in Höhe von 100’000 Franken. Unterdessen ist der Olympiasieger und Velo-Botschafter Fabian Cancellara als Investor eingestiegen. Über die genaue Höhe der Beteiligung wurde Stillschweigen vereinbart. Fest steht auf jeden Fall: «Fabian kommt regelmässig bei uns vorbei, um Brillen zu testen», sagt Nadenbousch, die sich unter anderem um Marketing und Kommunikation im Unternehmen kümmert. Cancellara wohnt in Ittigen, nur zwei Haltestellen oder sechs Minuten Fahrt vom Ileve-Sitz im ZID Bernapark entfernt. Mit dem Velohersteller BMC in Grenchen, der Laufradschmiede DT Swiss in Biel und Suplest Shoes aus Burgdorf gebe es ausserdem einen guten Nährboden, um das eigene Produkt weiterzuentwickeln, und an die Velo fahrende Frau und den Mann bringen zu können. Vergleichbares lasse sich im Rest der Schweiz nur schwer finden, sagt Nadenbousch.

Ileve macht es vor: Nicht nur die Idee ist wichtig, auch das Netzwerk. Und das beginnt sich in Bern gerade erst richtig zu bilden. Spannend zu beobachten wird sein, ob in diesen Netzwerken auch Menschen, die nicht ihren Ursprung in Bern haben, ihren Platz finden werden. Der Wirtschafts-Thinktank Avenir Suisse hat kürzlich ermittelt,  dass in der Schweiz rund 50 Prozent der Startup-Gründer*innen und 80 Prozent der Unicorn-Gründer*innen (Startups mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar) über einen ausländischen Pass verfügen. Und die Ausländer*innen als Innovationstreiber*innen zieht es bislang tendenziell nicht nach Bern: Vier von fünf der durch Ausländer*innen gegründeten Startups haben ihren Ursprung in den Kantonen Zürich, Waadt, Genf und beider Basel.

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Diskussion

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Andreas Kronawitter
02. Dezember 2023 um 14:08

Es ist müssig zu schauen, was man nicht hat (z.B. ETHs): Basel hat die auch nicht. Im Startupleben gilt immer: wie mache ich das Maximum aus dem, was ich habe? Bern ist z.B. die Mobilitätshauptstadt der Schweiz. Nicht nur grosse Staatsbetriebe wie die SBB oder BLS und die Verwaltung - hier sehr wichtig - ist nahe, sondern auch starke Unternehmen wie Thömus / Stromer, Fairtiq, HESS etc. Die BFH mit dem Schwerpunkt auf automatisierten Fahren ist auch da, dazu der Innopark in Biel mit starker Batteriegruppe. Aber natürlich, die Unterstützung von Unternehmen im Kanton Bern ist im Vergleich zu anderen Regionen eher Mau. Ich bin auch nicht sicher, ob ich nochmals in Bern gründen würde.