Ready for big time
Die neue Festhalle ist offen. Sie hebt Bern in neue Sphären des Glamours. Aber eigentlich sei sie eine Halle für Chrampfer*innen, sagt CEO Tom Winter. Und eine fürs Quartier?
Ob die neue Festhalle aufreizend golden oder zurückhaltend erdfarben wirkt, hängt vom Wetter ab. Scheint die Sonne, strahlt die neue Halle am Guisanplatz wie ein Mahnmal erhöhter Berner Ambitionen in den Himmel. Bläst der Westwind trübe Wolken über die Stadt, reiht sich die Festhalle höflich ein in Berns sandsteinerne Silhouette.
Tom Winter, seit 2021 CEO der Bernexpo Groupe, steht zwischen den Tischen des «Café des Artistes» im luftigen Foyer der neuen Festhalle. «Logisch», sagt er, «wir vermarkten hier eine neue Halle überregional, national, sogar international. Man muss mit Selbstvertrauen auftreten und gross denken, wenn man in dieser Liga mitspielen will.»
Ready for big time, steht beim Eingang der Festhalle auf einem Plakat: Das ist die goldene Seite.
«Aber in Tat und Wahrheit sind wir Büetzer*innen», sagt Winter. «Ein Drittel unserer Angestellten sind Handwerker*innen. Und die Halle ist so optimiert, dass wir darin wirklich chrampfen können.» Bedeutet zum Beispiel: 40-Tonnen-Lastwagen können direkt in die schicke Halle einfahren, um Bühnenelemente auszuliefern.
Chrampfen, schaffen, pickeln: Das ist die erdfarbene Seite der neuen Festhalle.
Cube, Stage, Breakout
108 Millionen Franken hat der Bau der Festhalle gekostet, je 15 Millionen Franken steuerten Kanton und Stadt bei. Unter dem Eindruck von Corona kam es in der Stadt Bern im Frühjahr 2021 zu einem denkbar knappen Abstimmungsergebnis: Nur 51 Prozent der Stimmberechtigten sagten Ja zum Festhallen-Kredit.
Was nichts daran ändert, dass die neue Halle Bern in neue Sphären katapultiert. 9000 Personen stehend oder 4500 Personen sitzend nimmt das Gebäude auf, 30 zusätzliche Konzerte oder Kultur-Grossanlässe pro Jahr werden aber sofort in der Festhalle stattfinden.
Wobei Festhalle eigentlich ein missverständliches Wort ist: Es handelt sich um ein elegant dreigeteiltes Gebäude: Der eine Teil heisst Cube (Würfel), der andere Stage (Bühne) und in der Mitte befindet sich das Foyer, in das durch Dachluken Tageslicht sinkt. Naturgemäss ist Stage auf Bühnenevents ausgerichtet, während Cube für Tagungen und Kongresse konzipiert ist.
Aber alle Räume sind auf jede erdenkliche Art veränderbar. Wände, Etagen und Bühnen können mannigfach eingezogen und wieder zurückgefahren werden. Von der Akustik schwärmt Bernexpo in den höchsten Tönen. Das Dach der Halle ist so ausgerüstet, dass über 300 Tonnen Eventtechnik flexibel ein- und ausgebaut werden können. Und im Untergeschoss finden an einer 180 Meter langen Logistikstrasse Künstler*innengarderoben und eine grosse Produktionsküche Platz.
Aus dem Cube mit seiner rekordgrossen LED-Wand kann man in Breakout-Rooms verschwinden und weiterdiskutieren, ehe man ins Plenum zurückkehrt. Oder man kann von der Dachterrasse aus einen Call erledigen, während der Blick auf der Dachbegrünung mit ihren Totholzhaufen und einheimischen Pflanzen ruht, die der Biodiversität förderlich sein sollen.
Pickeln für schwarze Zahlen
Mit der BEA, dem Flagschiff der Bernexpo Group, ist die neue Festhalle gestern Freitag eröffnet worden. Der erste kulturelle Grossanlass ist am 7., 8. und 9. Mai die Aufführung des James-Bond-Films Casino Royale, musikalisch live begleitet durch das Berner Symphonieorchester.
Die Frage ist natürlich, welche wirtschaftliche Wirkung die Festhalle in Bern entwickelt. 2023 schlossen die Tourismusorganisation Bern Welcome, der Kursaal und Bernexpo die Schultern zum «Congress Hub Bern» zusammen, um Bern im Kongressgeschäft besser zu positionieren. Allein in den ersten paar Betriebswochen sind in der neuen Festhalle über 100 Events angesagt.
Das neue Gebäude gehört der Messepark Bern AG. An ihr beteiligt sind neben Bernexpo die Versicherung Visana, die Mobiliar, die Securitas Gruppe, HRS Real Estate, der Energiekonzern BKW sowie die öffentliche Hand (Kanton, Stadt, Burgergemeinde sowie Köniz, Ostermundigen und Muri). Die Bernexpo Groupe mietet die Festhalle von der Messepark AG und besorgt die Vermarktung.
Bernexpo-CEO Tom Winter rechnet damit, das erste Umsatzziel von sechs Millionen Franken für die Festhalle bis Ende Jahr zu erreichen. Zur «Hauptstadt» sagt er überdies, dass Bernexpo in wenigen Wochen für 2024 schwarze Zahlen vermelden werde. Wer sich aber vorstelle, die neue Festhalle werde für die Bernexpo zur Umsatz- und Gewinngarantin, täusche sich: «Wir pickeln ohne Ende für Kulturevents, genauso wie für Kongresse und Messen.»
Wichtig, sagt Tom Winter, sei für ihn aber, dass «Bernexpo und damit auch die Festhalle für alle da ist. Wir sind weder links noch rechts, weder Stadt noch Land, sondern vom Nordquartier bis weit in die Agglo, für alle».
Offen zum Quartier
A propos Nordquartier: Im Unterschied zur alten Festhalle, die mit einem hohen Zaun abgesperrt war, ist die neue Festhalle von der Papiermühlestrasse und damit vom Quartier her zugänglich. Der 500 Meter lange Laubengang, der das Gebäude umrundet, wirkt wie eine Freundlichkeitsoffensive.
Das täglich geöffnete «Café des Artistes», betrieben von der Sportgastro AG des SC Bern, will sich auch als neuer Quartiertreffpunkt etablieren. Und ja, auch der Bodenversiegelung wurde ein wenig entgegengewirkt: Vor dem Eingang zum Foyer stehen auf einer kleinen Mergelfläche einige noch sehr dünne Bäume im Wind.
Andreas Abebe, Präsident von Dialog Nordquartier, der offiziellen Quartierkommission des Stadtteils Breitenrain/Lorraine, begrüsst es, dass Bernexpo mit der Festhalle das zur Verfügung stehende Gelände wirtschaftlich besser nutzen könne. Der Dialog mit dem Quartier sei während der Planungs- und Bauphase gut und konstruktiv gewesen. Positiv aus Sicht des Quartiers sei es, dass die Publikumskapazität der neuen Halle die Option von Open-Air-Konzerten überflüssig mache – und damit auch Lärmimmissionen. «Die Festhalle ist eine gute Sache, sie bringt dringend nötige Wertschöpfung nach Bern», ergänzt Thomas Ingold, Präsident des Leists Bern Nord.
Allerdings, sagt Dialog-Präsident Andreas Abebe auch, werde erst der Betrieb der Festhalle zeigen, ob wichtige Anliegen aus dem Quartier wirklich umgesetzt würden. Zum Beispiel der möglichst ungehinderte Zugang für Fussgänger*innen vom Guisanplatz her Richtung grosser und kleiner Allmend. Oder die Lösung von Parkplatz- und Verkehrsfragen.
Letztere sind delikat, weil sie eine heikle Zone der Stadt Bern in der direkten Nachbarschaft der Festhalle berühren: die gleich hinter dem Bernexpo-Gelände beginnende Allmend, deren Nutzung im Nordquartier kontrovers diskutiert wird.
Darauf angesprochen, kommt Tom Winter, der nebenbei auch das Hofladen-Startup Rüedu mitgegründet hat, sofort in den Büetzer-Modus: «Wenn wir die Verkehrsfragen weiterhin verantwortungsvoll angehen und mit Ausdauer dranbleiben, dann ist das hier ein sehr guter Ort», sagt er.
Ready for big time heisst auch: Bereit sein für zähe Kleinarbeit.
Vom 22. bis zum 25. April hatte die «Hauptstadt» ihre Redaktion in die Markuskirche im Breitenrainquartier verlegt. Die Kirche wird im Moment experimentell zwischengenutzt, bis das Umbauprojekt startet. Wir haben jeden Morgen um 9 Uhr im Kirchenschiff unsere tägliche Redaktionssitzung abgehalten und durch den Tag dort gearbeitet und diskutiert.
Es war eine intensive Woche – für uns und für das Berner Nordquartier: Am Freitag, 25. April, begann die diesjährige BEA, und gleichzeitig wurde die neue Festhalle eröffnet. Wir haben die Aussenwoche in der Markuskirche nutzen, um tiefer in Themen einzutauchen, die den Breitsch beschäftigen. Und um das Gastroangebot im Breitsch auszutesten. Unsere Beiträge zum Breitsch publizieren wir in den nächsten Tagen fortlaufend. Du findest sie in diesem Dossier.
Was uns besonders freute, waren die Besuche und engagierten Gespräche bei Grill&Bier am Donnerstagabend, das wir zusammen mit Pfarrer Tobias Rentsch veranstaltet haben. (jsz)