Der Weg nach Ostermundigen
Mehrere Gründe, warum Gemeinden normalerweise fusionieren, kamen Bern und Ostermundigen unterwegs abhanden. Sollen sie es trotzdem tun? Ein Gedanken-Wegweiser zur Abstimmung vom 22. Oktober.
Es gibt grob gesagt zwei Gründe, warum Gemeinden an Fusionen denken: Sie werden von ihrer Problemlast – finanzieller oder personeller Natur – erdrückt und suchen Linderung im Zusammenschluss. Oder sie wollen mehr Dynamik entwickeln, die sie sich von einer Bündelung ihrer Kräfte versprechen.
Als der Fusionsprozess zwischen Bern und Ostermundigen begann, waren beide Gründe in der Agglomeration Bern präsenter als heute. Jetzt, wo das ausgehandelte Fusionspaket in beiden Gemeinden zur Volksabstimmung kommt, sind sie kaum mehr erkennbar. Man muss als Stimmbürger*in die Argumente zusammenkratzen, um für sich einen Entscheid pro oder kontra begründen zu können.
Die Not, die Vision
Kurze Rückblende: Den ersten Schritt zur Fusion machte Ostermundigen. Im August 2018 beschloss das Gemeindeparlament parteiübergreifend und mit deutlichem Mehr, eine Fusion mit der Stadt ernsthaft zu prüfen. Ostermundigen brach damit ein jahrzehntealtes Tabu, unter dem Druck tiefroter Finanzen: Hohe Sozialhilfequote, hohe Defizite, hoher Investitionsbedarf. Das Anstossen eines Zusammenschlusses mit der Stadt Bern, damals finanziell noch gut in Form, wirkte wie ein logischer Schritt in der Not.
Auf der anderen Seite stand an der Spitze der Stadt relativ neu Alec von Graffenried, der sich im Wahlkampf 2016 als moderater grüner Brückenbauer und Fusionsbefürworter positioniert hatte. Der Verein Bern neu gründen, dem er angehört, hatte zudem in dieser Phase kurz hintereinander zwei bemerkenswerte Expertisen veröffentlicht. Er liess die Vision seriös durchrechnen, wie die Fusion der zwölf engsten Agglo-Gemeinden zu einer Grossstadt Bern politisch und finanziell organisiert werden könnte.
Es zeigte sich: Eine fusionierte Stadt Bern würde an Schlagkraft gewinnen.
Der Steuerfuss im neuen Grossstadtperimeter läge bei 1,45, nur die steuergünstigen Ittigen und Muri-Gümligen müssten ihn im Vergleich zu heute erhöhen. Zudem würde effizienter Politik betrieben: Zürich, die grösste Stadt der Schweiz, kommt mit einem 125-köpfigen Parlament aus, während in der zersplitterten Agglo Bern allein die fünf Gemeinden mit gewählten Legislativen 240 Parlamentsmandate vergeben. In einer Grossstadt Bern mit 250’000 Einwohner*innen würde ein Stadtrat mit 100 Sitzen genügen. Und: Die rot-grüne Dominanz in Bern würde in einer so vergrösserten Stadt angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den Agglo-Gemeinden automatisch etwas abgeschwächt.
Lob der Zähigkeit
Diese Vision blieb zwar eine Vision. Aber der Gedanke, dass eine Fusion nicht nur eine Notlösung ist, sondern helfen kann, Trägheit und Blockaden zu überwinden, war im Moment, als Ostermundigen das Fusionstabu brach, mehr als nur eine vage Idee.
Allerdings verflüchtigte sie sich so schnell wie sie aufgetaucht war. Der Verein Bern neu gründen wurde stiller, die Fusionsstudie war schnell vergessen. Und weil mehrere fusionsinteressierte Gemeinden aus dem Fusionprozess ausstiegen, blieb mit der Kooperation Ostermundigen-Bern ein Zweier-Zusammenschluss übrig, der nie etwas Visionäres ausstrahlen konnte.
Zwei Nachbar*innen raufen sich zusammen – so wirkte dieser mehrjährige Fusionsprozess, während sich überdies noch die Problemlage verschob. Ostermundigen arbeitete sich ein klein wenig aus der finanziellen Misere, gleichzeitig manövrierte sich die Stadt Bern in genau diese hinein.
Salopp gesagt: Die Gründe, warum Gemeinden an Fusionen denken, kamen der Kooperation Bern-Ostermundigen unterwegs abhanden. Trotzdem kämpften sich die Delegationen beider Gemeinden über zwei Jahre durch unzählige Sitzungsmarathons, bis ein abstimmungsfähiger Fusionsvertrag vorlag. Allein die Zähigkeit, das durchgezogen zu haben, verdient Respekt.
Aber reicht es, damit man sich als Stimmbürger*in für ein Ja oder ein Nein entscheiden kann?
Lernen von Bümpliz
Ostermundigen erhält viel im Falle einer Fusion: Die Steuerbelastung sinkt, gleichzeitig gelten die generell höheren Leistungen der Stadt – etwa bei Kinderbetreuung, Frühförderung oder Sozialhilfe. Zudem darf Ostermundigen bestimmte Eigenheiten behalten – es darf die Ortsplanung O’mundo weiterführen, es muss die strengeren städtischen Vorschriften beim sozialen Wohnungsbau und in der Klimapolitik nicht voll übernehmen. Aus der Sicht der Stadt könnte man das als Preis dafür bezeichnen, dass sie ihr politisches Gewicht im Kanton erhöht: Die Fusion mit Ostermundigen bringt der Stadt voraussichtlich drei zusätzliche Sitze im Grossen Rat ein.
Kritiker*innen befürchten, dass Ostermundigen mit der Fusion seine Identität preisgibt und sich der rot-grün regierten Stadt ausliefert. Ein Blick nach Bümpliz zeigt, dass dieses Argument ein schwaches Fundament hat. Vor 104 Jahren wurde das verarmte Bümpliz gegen seinen Willen eingemeindet. Obschon sich das frühere Bauerndorf ab den 1950er-Jahren rasant zum heutigen Stadtteil entwickelte, blieb Bümpliz ein Ort, der hartnäckig anders tickt als Bern – und seine Interessen trotzdem effizient vertritt.
Ein wichtiger Grund dafür: Bümpliz verstand und versteht sich auch als politische Kraft. Es gab immer Bümplizer Politiker*innen aller Parteien, die bereit waren, in der Stadt Verantwortung zu übernehmen. Häufig in der Regierung, mitunter sogar als Stadtpräsident. Es ist die Voraussetzung dafür, damit eine Fusion Mehrwert produzieren kann.
Im Zweifelsfall fürs Neue
Ob der Zusammenschluss Bern-Ostermundigen Sinn ergibt, hängt langfristig weniger damit zusammen, was im Fusionsvertrag im Detail für Ostermundigen herausspringt oder nicht. Sondern inwieweit Menschen aus Ostermundigen bereit sind, sich auch in der Stadt Bern politisch zu engagieren.
Gemeindepräsident Thomas Iten, der sich bekanntlich nicht outet, ob er für oder gegen die Fusion ist, schrieb gestern in einer persönlichen Stellungnahme in der Bantiger Post: «Ich werde mich weiterhin mit aller Kraft für unsere Art des Politisierens einsetzen, ob Ostermundigen eigenständig bleibt oder sich mit Bern zusammenschliesst.» Mit anderen Worten: Bei einem Ja muss man in Bern mit Thomas Iten rechnen. Eine gute Voraussetzung dafür, dass die Fusion Früchte trägt.
Ganz knapp könnte man es so formulieren: Mag sein, dass es wenig Gründe gibt für ein euphorisches Ja zur Fusion. Für ein Nein allerdings auch. Im Zweifelsfall macht es Sinn, dem Weg den Vorzug zu geben, auf dem Bern und Ostermundigen die Probleme gemeinsam angehen.