Schmetterlinge für Ostermundigen
Im nun vorliegenden konkreten Vorschlag für eine Fusion zwischen Bern und Ostermundigen kommt die Stadt der Agglo-Gemeinde weit entgegen. Trotzdem spürt Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten «keine Schmetterlinge im Bauch».
Die Szene war eigenartig: Während Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) sich über die stategischen Vorteile der Gemeindefusion ins Feuer redete, holte Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten (parteilos) zu einem Exkurs über seine Gefühlswelt aus: Im Kopf könne er zwar hinter dem Verhandlungsergebnis stehen, das die Delegationen von Bern und Ostermundigen in den letzten anderthalb Jahren ausgehandelt haben, aber: Die Schmetterlinge in seinem Bauch würden noch gar nicht flattern.
Iten lässt also weiterhin offen, ob er pro oder contra Fusion ist, obschon er dafür die Sommerferien «durchgebügelt» habe, wir er sagte. Skurril an Itens Unentschiedenheit: Er und seine Crew haben für Ostermundigen erfolgreich verhandelt und viel für Ostermundigen herausgeholt, während die Stadt Bern eher mit Grosszügigkeit zum Verhandlungsabschluss beitrug. Was bedeutet es, wenn der erfolgreiche Verhandler so wenig Freude am Ergebnis signalisiert?
Tatsache ist jedoch auch: Obschon viele – auch die «Hauptstadt», als sie im Mai eine Woche lang im Bahnhof Ostermundigen zu Gast war – das anfängliche Fusionsfeuer zwischen Bern und Ostermundigen für erloschen hielten, zog die Projektgruppe ihre Arbeit tapfer durch. Sie legt nun einen Fusionsvorschlag mit Hand und Fuss vor, der für alle strittigen Fragen eine Lösung entwirft. Allein das ist ein Erfolg.
Erstmals werden die Folgen einer allfälligen Fusion im urbanen Zentrum Berns ersichtlich. In der offiziellen Kommunikation von Stadt Bern und Ostermundigen ist von einem «ausbalancierten Vorschlag» die Rede. Wobei die offensichtlich hartnäckige Ostermundiger Verhandlungsdelegation unter der Leitung Itens in nur einem wichtigen Punkt von einer Forderung zurücktreten musste.
Das Fusionspaket ist schwer und kompliziert, die Details sind auf der Website von Kooperation Bern-Ostermundigen konsultierbar. Hier die wesentlichen Punkte in Kurzform:
Geld
In der fusionierten Gemeinde wird der Steuerfuss der Stadt Bern (aktuell 1,54) gelten. Damit sinkt in Ostermundigen, das per 2027 eigentlich eine Steuererhöhung plant, die Steuerbelastung um zwei Zehntel. Trotzdem gelten nach der Fusion bei den Leistungen die generell höheren Standards der Stadt Bern – etwa bei Kinderbetreuung, Frühförderung oder Sozialhilfe. Zudem dehnt man soziale Angebote wie die offene Kinder- und Jugendarbeit oder die mobile Interventionsgruppe Pinto nach Ostermundigen aus. Man könnte sagen: Ostermundiger*innen bezahlen nach der Fusion weniger und erhalten mehr. Zumindest, wenn man nur die Steuern betrachtet: Gebühren – zum Beispiel für Hunde oder die Einbürgerung – sind in Bern deutlich höher als in Ostermundigen.
Ostermundigens Vizegemeindepräsidentin Aliki Panayides (SVP) fand Grund, die Stirn zu runzeln: «Wir gewichten das Steuerargument nicht so stark», sagte sie. Und meinte damit: Das Vertrauen in die Finanzpolitik der rot-grün dominierten Stadt Bern ist recht klein. Bern steckt tief in den roten Zahlen und müsste sparen. Trotzdem beschloss der Stadtrat diesen Donnerstag (dereinst auch für Ostermundigen geltende) Verbesserungen für das Personal, allein der Ausbau des Elternurlaubs zeitigt Mehrkosten von über einer Million Franken pro Jahr. Mittelfristig, so die Ostermundiger Befürchtung, könnte das in einer Steuererhöhung enden. Stadtpräsident Alec von Graffenried beteuerte aber, dass das Festhalten seiner Regierung am aktuellen Steuersatz unumstösslich sei.
Identität
Ostermundigens Gemeindepräsident Iten legt grossen Wert auf die Ostermundiger Identität, die Dorf und Stadt vereint. Es ist ihm gelungen, diverse Ostermundiger Eigenheiten im Fusionsvorschlag zu verankern. Vereine zum Beispiel werden im Stadtteil Ostermundigen Infrastrukturen weiterhin kostenlos nutzen können. Umgekehrt wird der Eintritt in die Badi Ostermundigen weiterhin kosten, während er in Bern gratis ist.
Ebenfalls durchgesetzt hat Iten sich damit, dass die Agglo-Gemeinde trotz Fusion die Ortsplanungsrevision O’mundo zu Ende führen kann. Das bedeutet, dass sie den durch den Bäre-Tower symbolisierten Wachstumskurs nach eigenen Vorstellungen weiterführen kann. Die konsequente Autofahrerin Panayides verbindet damit auch die Ambition, der strikten Tempo-30- und Parkplatzreduktionspolitik der Stadt Bern entgegezutreten. Wichtig ist ihr das auch im Zusammenhang mit der Feuerwehr: Weil sich diese auch im Blaulichtmodus an die Tempolimiten halten müsse, könnte sie ab dem Mundiger Feuerwehrmagazin weiterhin schneller unterwegs sein.
Partizipation
Wie werden die Ostermundiger Interessen in der fusionierten fünfköpfigen Stadtregierung vertreten? Das Mundiger Parlament wünschte eine vollwertige Vertretung, also einen sechsten Sitz, fix reserviert für Ostermundigen. In diesem Punkt muss die Mundiger Delegation leicht zurückbuchstabieren, weil sich diese Variante als rechtlich nicht praktikabel erwiesen hat und vom Kanton nicht goutiert worden wäre.
Nun wird ein «innovatives Modell», das in der Schweiz kein Vorbild hat, vorgeschlagen: In den ersten vier Jahren nach der Fusion vertritt ein*e Fusionsbeauftragte*r die Interessen Ostermundigens in der Regierung, allerdings bloss mit beratender Stimme. Unterstützt wird die Person von einer Stadtteilkommission, die als Mitwirkungsgremium für die Bevölkerung amtet. Von Beginn weg möglich ist natürlich, dass sich ein*e Ostermundiger*in für die Gemeinderatswahlen aufstellen lässt (und auch gewählt wird).
Wie weiter?
Nächstes Stichdatum für den Fusionsprozess ist der 1. September. Das Ostermundiger Parlament wird dann den Vorschlag zur Kenntnis nehmen und entscheiden, ob es mit dem Partizipationsmodell leben kann oder nicht. Von Mitte Oktober bis Mitte Dezember findet eine Vernehmlassung zum Fusionsvorschlag statt, ehe im Sommer 2023 die Parlamente und Ende 2023 das Stimmvolk der beiden Gemeinden entscheidet. Ende 2024 gäbe es erstmals gemeinsame Wahlen. Und anfang 2025 würden Bern und Ostermundigen zu Ostermundigen-Bern.
Angesichts des Verhandlungsergebnisses ist die Frage berechtigt, worin Stadtberner*innen Vorteile der Fusion sehen könnten. Alec von Graffenried und Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) haben an der Medienkonferenz klar gemacht, dass bei ihnen keine Gefühle im Spiel seien, sondern die strategische Überlegung, alles zu tun, um die Stadtregion Bern zu stärken. Salopp gesagt: Eine fusionierte Gemeinde könne Doppelspurigkeiten abbauen, Prozesse vereinfachen, ihre Leistungen verbessern und damit das Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwachstum ankurbeln. Also das Wachstumsmodell stärken, auf dem unser Wohlstand beruht.
Die Frage ist, ob das reicht, damit in Ostermundigen die Schmetterlinge ins Flattern kommen.