Für die Fusion fehlt das Feuer
Die Chancen auf eine erfolgreiche Fusion von Ostermundigen mit Bern sind klein geworden. Auf beiden Seiten ist zu wenig Feuer für das Projekt spürbar. Vor allem Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten müsste Gas geben, er äussert sich aber unentschlossen.
Das Eis schien gebrochen. Im August 2018 entschied der Grosse Gemeinderat (GGR) von Ostermundigen auf eine Motion der heutigen SP-Gemeinderätin Bettina Fredrich, eine Fusion mit Bern ernsthaft zu prüfen. Stadtpräsident Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste) war sehr angetan. Er könne sich vorstellen, dass die unaufgeregte Art, wie die Agglo-Gemeinde mit dem heiklen Thema umgehe, weitere Gemeinden um Bern motiviere, ernsthaft über eine Fusion nachzudenken.
Zumal, so von Graffenried, die Initiative von Ostermundigen komme, das sich der Stadt anschliessen möchte. Und nicht von der rot-grünen Stadt, die vermeintlich Agglomerationsgemeinden vereinnahmen wolle. Das ermögliche «einen partnerschaftlichen Dialog».
«Die Luft ist draussen»
Vier Jahre später ist der fusionseuphorische Moment von 2018 weit weg. Keine andere Gemeinde wollte etwas von einer Fusion mit der Stadt wissen. Nur Ostermundigen und Bern blieben dabei und verhandeln derzeit intensiv über die Details eines möglichen Fusionsvertrags. Der Plan ist nach wie vor: Im letzten Quartal 2023 sagen die Stimmberechtigten in Ostermundigen und Bern an der Urne, ob sie fusionieren wollen oder nicht. Wenn ja, würde die Gemeinde Bern-Ostermundigen Anfang 2025 den Betrieb aufnehmen.
Aber glaubt wirklich noch jemand an das Fusionsprojekt?
Letzten Mittwoch trafen sich die beiden Delegationen erneut zu einer Verhandlungsrunde im Erlacherhof. Aus Ostermundigen kamen Gemeindepräsident Thomas Iten (parteilos) und seine Vize Aliki Panayides (SVP). Auf Stadtseite sassen Stadtpräsident Alec von Graffenried und Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) am Tisch. Auf technischer Ebene laufen die Gespräche gut, wie informierte Quellen auf beiden Seiten bestätigen.
Doch politisch-atmosphärisch befindet sich das Projekt auf so kühlem Niveau, dass eine erfolgreiche Fusion in weiter Ferne ist. «Die Luft ist draussen», sagt eine Person, die Kenntnis der Diskussionen zwischen den Verhandlungsdelegationen hat. Von beiden Seiten sei zu wenig Feuer spürbar, sagt eine andere Quelle.
Die Delegationen wickeln die Fusionsverhandlungen ab wie die Erarbeitung des nächstjährigen Budgets, eine Pflichtaufgabe halt, die akribische Kleinarbeit verlangt. Doch eine Fusion ist keine politische Pflichtaufgabe. Sondern ein Projekt, das von Anfang an eine klare Vision gebraucht hätte und viel Überzeugungsarbeit bedeuten würde. Auf beiden Seiten.
Die Sache mit den Finanzen
Ihm sei bewusst, dass man mit Zahlen und Fakten keine grosse Begeisterung wecke, sagte Alec von Graffenried vor zwei Jahren an einer öffentlichen Veranstaltung im Kornhausforum. Was die Emotionalisierung angehe, «da müssen wir unbedingt zulegen». Kann man mit einer technokratischen Angelegenheit wie einer Gemeindefusion überhaupt Gefühle ansprechen?
Allenfalls mit einem Blick ins Portemonnaie. 2018, als die Fusionsdebatte begann, schrieb die Stadt Bern (Steuerfuss: 1,54) grosse Überschüsse, während Ostermundigen (Steuerfuss: 1,69) als Krisengemeinde mit vielen Sozialhilfeabhängigen und roten Zahlen dastand. Inzwischen kämpfen beide mit Schwierigkeiten: Die Stadt schreibt Defizite und kann sich die notwendigen Investitionen in Schulhäuser und Sportanlagen eigentlich nicht leisten. Sparpakete zu schnüren, ist in den nächsten Jahren Pflicht.
Ostermundigens Finanzlage hat sich vordergründig etwas entspannt. Es könnte aber, wenn es eine eigenständige Gemeinde bleibt, das bevorstehende Bevölkerungswachstum finanziell fast nur verdauen, wenn es für ein paar Jahre den Steuerfuss erhöhen würde.
Itens Zögern
So oder so: Aus Ostermundigen, wo die Initiative für die Fusionsabklärung einst startete, kommen inzwischen vor allem zögerliche Signale. Gemeindepräsident Iten sagt im Interview mit der «Hauptstadt»: «Meine Vision wäre eine Fusion, bei der nicht nur Bern und Ostermundigen mitmachen.» Nachdem alle anderen Gemeinden abgesprungen sind, ist diese Vision allerdings keine mehr.
Klar ist: Aus der Sicht von Bern (145’000 Einwohner*innen) ist Ostermundigen (18’000) ein Fliegengewicht. Aus Itens Sicht sind die Signale aus Bern ungenügend. Auf jeden Fall sagt er im Interview: «Was ich aus der Bevölkerung immer wieder höre, ist: Es reicht nicht, wenn man sagt, man sei offen für Ostermundigen.» Mit anderen Worten: Iten erwartet auch einmal eine (selbstkritische) Aussage der Stadt, die sich fragt, «wo Bern von Ostermundigen profitieren könnte».
Vom Typ her wäre Thomas Iten einer, der eine Fusion ermöglichen könnte. Ein umtriebiger Macher, der Leute für ein Projekt begeistern kann.
Mehrere Quellen, die nahe an den Verhandlungen sind, bestätigen gegenüber der «Hauptstadt» die zentrale Rolle von Thomas Iten. Jedoch sei seine Haltung unklar. Auch in Bern habe man je länger, desto mehr das Gefühl, dass Ostermundigen, respektive Iten, gar nicht richtig wolle.
Vom Typ her wäre Thomas Iten einer, der eine Fusion ermöglichen könnte. Ein umtriebiger Macher, der Leute für ein Projekt begeistern kann. Aber im Interview mit der «Hauptstadt» wird deutlich, dass er sich vor allem für Ostermundigens dörfliche Struktur und die Verwaltung der kurzen Wege begeistert. So ist Iten gross geworden, so ist Iten erfolgreich. Es ist spürbar, dass er diese Strukturen erhalten möchte.
Das fehlende Feuer der Stadt
Aus der Berner Verwaltung hört man, dass schon intensiv und professionell an der Fusion gearbeitet werde, aber sowohl in Verwaltung wie in der Politik kein «Feu sacré» zu erkennen sei. Für die Verwaltung sei die Fusion ein Zusatzaufwand. Das bremse halt auch. Und Stadtpräsident Alec von Graffenried wolle zwar die Fusion wirklich. Aber mit Verve und Feuer voranzugehen, sei nicht etwas, das ihm leichtfalle.
Ein weiteres Hindernis sei die Anspruchshaltung vor allem der linken Stadträt*innen. Das sei nicht förderlich für ein Gross-Projekt, wo es pragmatische Lösungen brauche.
Rahel Ruch, langjährige Stadträtin und neuerdings Grossrätin des Grünen Bündnisses, kritisiert, «dass die engen Vorgaben für die Verhandlungen verhindert haben, dass Fusionsbegeisterung aufkommt. Man hätte mit einer Reform der Quartierkommission und einer Regierungsreform zu sieben statt fünf Gemeinderät*innen aus der Fusion ein Demokratisierungsprojekt machen können. Jetzt ist es eine rein technische Zusammenlegung.»
Was macht die SP?
Die Frage stellt sich, ob die SP, die in Ostermundigen die Initiative für die Fusionsverhandlungen ergriffen hatte und in der Stadt Bern klar hinter dem Projekt steht, mehr Feuer zeigen sollte. Kritische Stimmen sagen, dass die beiden SP-Frauen im Ostermundiger Gemeinderat – Maya Weber Hadorn und Bettina Fredrich – weder in der öffentlichen Debatte spürbar seien, noch spielten sie in den Verhandlungen eine Rolle. Iten habe, sagen Kritiker*innen, mit dem Entscheid des Gemeinderates, während den Verhandlungen kollektiv keine Position zu beziehen, den SP-Frauen den Wind aus den Segeln genommen und die Deutungshoheit über die Fusionsverhandlungen an sich gezogen.
«Wir haben noch nicht genügend schlagfertige Antworten auf die Frage: Was bringt die Fusion», sagt Maya Weber Hadorn auf Anfrage. Der Ostermundiger Gemeinderat versuche, den Prozess fair und sorgfältig abzuwickeln: «Wir wollen es gut machen für Ostermundigen.» Die Gemeinderegierung sei nicht visionslos, «wir wägen aber Chancen und Risiken vorsichtig ab. Wir wollen nicht die Katze im Sack kaufen».
Ruf nach Leadership
Bei der SP Stadt Bern engagiert sich Stadträtin Ingrid Kissling-Näf für das Fusionsdossier. Auf Anfrage sagt sie: «Ich halte das Fusionsprojekt nach wie vor für ein Jahrhundertvorhaben, das die Zusammenarbeit fördert und deshalb die Entwicklungschancen der ganzen Region verbessert.» Die Stadt habe mehrere wichtige Projekte, und die Fusion gehöre sicher dazu: «Um sie voranzutreiben, ist Leadership vordringlich.»
Auf technischer Ebene laufe das Projekt. «Aber ich nehme auch wahr, dass der Enthusiasmus ein bisschen verschwunden ist.» Sie ist Co-Präsidentin des Vereins «Bern neu gründen», wo «wir darüber nachzudenken, wie wir den Fusionsprozess unterstützen können».
Sie sei nicht der Ansicht, dass das Fusionsprojekt nur von der SP vorangetrieben werden sollte. Wichtig sei die Überparteilichkeit. «Ich erinnere daran, dass sich in der Stadt Bern auch die Bürgerlichen und sogar die SVP sich für die Fusion ausgesprochen haben.»
Dynamik auch ohne Fusion
Wie auch immer: Ein klares Votum von Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten würde an der Dynamik wohl etwas verändern. Er sagt aber lieber: Die aktuelle rasante Entwicklung im Wohnungsbau etwa, die Ostermundigen im Moment erlebe, habe «dreimal nichts mit den Fusionsverhandlungen mit Bern zu tun».