Muri Spezial

Viel Vergnügen für Autofahrer*innen

Die frühere «Kitag»-Kinokette hat sich aus der Stadt Bern zurückgezogen und betreibt seit 2018 einen 10-Saal-Kinokomplex in Muri. Wer geht dorthin?

221118182818_bosA
Bowling, Sportsbar, Gamezone und Kidscorner: Der Cinedome in Muri bietet mehr als nur Kino. (Bild: Simon Boschi)

Zwischen zwanzig und dreissig Minuten dauert gemäss SBB-App die Fahrt aus der Stadt mit Tram und Bus zum Cinedome in Muri. Im Feierabendverkehr stimmt diese Prognose allerdings nicht. Schon nur, wenn das Tram Nummer 6 wenige Minuten zu spät kommt, wartet der 40er-Bus an der Station in Muri nicht. Der nächste kommt erst zehn Minuten später. Der Cinedome ist nicht auf Menschen ohne Auto ausgerichtet. Fast niemand steigt bei der Busstation aus.

Den grossen Kinokomplex an der Autobahn neben dem «MediaMarkt» sieht man von weitem. Er leuchtet blau. Eine blaue Stunde voller Freizeitvergnügen: Neben Kino, Bowling, Sportsbar und «Gamezone» beherbergt das Gebäude aber auch Betriebe von externen Anbietern. Den Möbelladen «JYSK», das Fitnesscenter «clever fit» und rechts vom Haupteingang das Fast-Food-Restaurant «Hans im Glück». Das zieht die Menschenmassen an einem Freitagabend an. Sie müssen mit dem Auto gekommen sein, denn der unterirdische Parkplatz ist voll.

Zwischen Birken und Burgern

Vor allem das Restaurant ist ein Besucher*innenmagnet. Um halb sieben stehen die Leute Schlange beim Empfang. Die Mitarbeiter*innen schauen auf ihren vollgekritzelten Tischplan und führen die Gäste an ihren Platz. «Habt ihr reserviert?», lautet die hoffnungsvolle Frage an das Pärchen, das ansteht. Sie haben. Zum Glück, denn das «Hans im Glück» ist praktisch voll. Anouk und ihr Freund sind zum ersten Mal im Cinedome. Normalerweise gehen sie in Thun – wo sie wohnen – ins Kino. Heute Abend soll es was Besonderes sein und das gute Essen vom Burger-Restaurant lockt. Angereist sind sie mit dem Auto. «Alles andere wäre ja mühsam», sagen sie. 

221118183626_bos
Pfeffersack, Tausendsassa, Naturbursche: Für Burger und Bowls lohnt es sich, einen Tisch zu reservieren. (Bild: Simon Boschi)

Für die, die nicht reserviert haben, wird es schwierig. Entscheiden kann man sich da nur noch, ob man lieber «zwischen den Bäumen» oder «im Gang» sitzen möchte. Im «Hans im Glück» hängen schmale Birkenstämme von der Decke und separieren die Tische und Bänke. Was auf der einen Seite eine privatere Atmosphäre schafft, beengt aber auch. Den Vierertisch teilt man sich, wenn man zu zweit gekommen ist. Es ist so dicht bestuhlt, dass die andere Partei aufstehen muss, damit man den Tisch verlassen kann. «Im Gang» bedeutet ausserhalb des eigentlichen Restaurants. Ohne Bäume, mit etwas mehr Platz und blauem Licht. Hier wird man von einer riesigen Kino-Leuchtreklame angeschienen. 

Das Burger Restaurant bietet zahlreiche Variationen mit kreativen Namen. Und auch Vegetarier*innen und Veganer*innen geniessen eine grosse Auswahl an verschiedenen Speisen. Hat man bestellt, ist die Wartezeit kurz und das Essen schnell auf dem Tisch. Praktisch. Denn die Kinovorstellungen beginnen um acht. 

Entertainment statt Kino

Links vom Haupteingang ist das Bowling mit Sportsbar, das damit wirbt, dass «auch hier für geballte Action gesorgt ist». Andrea hat mit ihrem Team von der Arbeit abgemacht und wartet noch auf einige Kolleg*innen in der halbleeren Lounge der Sportsbar. Wenn alle da sind, gehen sie bowlen und danach ins «Hans im Glück». Sie und ihre Teamkolleg*innen sind aus der halben Schweiz angereist – mit dem Auto, versteht sich. «Wäre ja sonst zu kompliziert gewesen», sagt ihre Kollegin. Auch Prewin und seine Kollegen haben das Auto genommen. Sie sind für ein oder zwei Feierabendbier da. Das machen sie öfter nach der Arbeit, die in Gümligen ist. Es sei praktisch hier, und man komme gut mit dem Auto hin, sagt er. Sie werden aber bald wieder gehen. Sie hat vor allem die Sportübertragung angelockt.

221118184417_bos
Jetzt bloss nicht ablenken lassen: Das Bowling zeigt den Fussballmatch gleich oberhalb der Bahnen. (Bild: Simon Boschi)

Das Bowlingcenter, dunkel und in Blautönen gehalten, ist fast voll. Familien und Jugendliche spielen hier eine Runde. Die Stimmung ist ausgelassen. Oberhalb der Bahnen kann man gleichzeitig einen Fussballmatch verfolgen oder die neuesten Trailer ansehen. Max ist hier mit seinem Gotti und deren Sohn. Er hat diesen Ausflug zu seinem zwölften Geburtstag geschenkt bekommen. Nach dem Bowlen werden sie im «Hans im Glück» zu Abend essen. Auch sie sind aus der Agglomeration mit dem Auto gekommen. 

Sport, Gamen, Musik

«Ein Kino muss mindestens sechs Säle haben, damit man es rentabel betreiben kann.» So Grégoire Schnegg, Chief Product Officer von «blue Cinema» zur Handelszeitung. Zudem reiche es in der heutigen Zeit nicht mehr, reines Kino zu betreiben. Entertainment werde immer wichtiger, äusserte er sich der «Hauptstadt» gegenüber schriftlich. «Blue Cinema» überträgt deshalb auch alternative Inhalte wie Opern oder aktuell die Fussball-WM live und bietet in seinen Cinedomes zusätzliche Gastronomie- und Unterhaltungsangebote.

Neben dem Kinoeingang erstreckt sich in einem langen Raum mit verglaster Front die «Gamezone». Sie ist an diesem Abend leerer als die anderen Orte. Zwei Männer spielen am Flipperkasten und eine Gruppe  junger Menschen hat eine Partie Billard offen. 

221118195448_bos
Wie am Selfcheckout in der Migros: Kinotickets können am Automaten gekauft werden. (Bild: Simon Boschi)

Anonym, anonymer, Kino

Es ist viertel vor acht. Die Parkplätze im Untergeschoss sind voll. Im «Hans im Glück» herrscht Aufbruchsstimmung. Viele wollen zahlen und bewegen sich in Richtung Kino und Kiosk. Am Kinoeingang kann man via Touchscreen die Kinokarten selbst kaufen. Wer nicht will, muss mit niemandem sprechen. 

Auf der grossen Kiosk-Fläche wuseln die Leute von Station zu Station. Popcorn und Getränke stehen hinter Glasscheiben bereit. Es gibt M&M's mit Brownie-Geschmack oder gesalzenem Karamell, Nachos, Glacé, Kaffee und Wein. Kombo Angebote werden den Kund*innen auf Schildern und Bildschirmen erklärt. Doch etwas fehlt. Der vertraute Geruch nach Popcorn, der einen sofort «gluschtig» danach macht, obschon man schon genug zu Abend gegessen hat. 

Chiara und ihr Mami stehen in der Schlange, um M&M’s und Cola zu bezahlen. Sie waren vorher im Restaurant und werden heute Abend mit dem Auto zurück ins Diemtigtal fahren. Die zwei Kassierer*innen sind so schnell, dass die beiden nicht lange warten müssen. Und ehe sie sich versehen, strömen sie mit der Menschentraube weiter die Treppe hoch zu den Kinosälen. Oben kontrolliert eine Mitarbeiterin die Billette. Im Menschenstrom ist die Begegnung so flüchtig, dass man sich ihr Gesicht kaum merken kann. 

221118181535_bos
«Deutsch synchronisierte Filme spielen aufgrund grösserer Nachfrage länger im Kino als die Originalversionen», sagt «blue Cinema»-Chef Grégoire Schnegg. (Bild: Simon Boschi)

Vor den Kinosälen steht eine Zeitschriftenbox. Das Überbleibsel aus alten Kinotagen, «Film demnächst», wird von den meisten nicht beachtet.

Im halbvollen Kinosaal sinkt man in die weichen, grau gepolsterten Sessel. Der Getränkehalter ist gekennzeichnet, so dass klar ist, ob er zum eigenen Sessel oder zu jenem des*r Sitznachbars*in gehört. Die Werbung beginnt. Man wird umhüllt von Kinosound, der nicht nur von vorne, links, rechts und hinten, sondern auch von oben kommt – der neuste Streich der Kinoklangtechnik. 

Der Film «Black Panther: Wakanda Forever» läuft in drei von zehn Sälen, darunter auch auf der grössten Leinwand des Cinedomes, dem IMAX. Am beliebtesten ist die deutsch synchronisierte Version. Das sei ein Trend, schreibt Kinochef Grégoire Schnegg auf Anfrage der «Hauptstadt». Ob die anderen Filme Publikum finden und ob sie an den Freitag- und Samstagabenden viele Besucher*innen haben, will «blue Cinema» nicht kommunizieren.

Zwei Stunden vierzig tauchen die Cineast*innen in die Marvel-Welt ein und fühlen sich mittendrin in den Kämpfen oder der Unterwasserwelt des Meeres. Nach der letzten Szene werden die Menschen mit dem langsam heller werdenden Licht zurück in die Realität geholt.

Dann leert sich der Kinosaal langsam. Kinder und Junggebliebene nehmen die Rutschbahn nach unten und finden sich im grossen Eingangsbereich des Cinedomes wieder. Der Menschenstrom fliesst aus den Kinosälen die Treppe hinunter und mündet in eine Schlange vor dem Parkticket-Automaten. Die Uhr zeigt 23:10 Uhr. Der nächste Bus in die Stadt fährt um 23:37 Uhr. 

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Diskussion

Unsere Etikette
Benjamin Weber
27. November 2022 um 13:23

Solche Artikel mit moralischem Zeigefinger gibt es bei Tamedia schon zur Genüge. Schade, dass das hier auch nötig ist.

Andreas Joss
26. November 2022 um 08:38

Ich war zwei Mal dort im Kino. Das IMAX ist tatsächlich beeindruckend, die Räumlichkeiten sind schön und die Burger im Hand im Glück richtig lecker. Aber als ÖV-Nutzer, der in der Stadt Bern wohnt, ist es ziemlich mühsam dorthin zu kommen. Wenn der Bus nicht fährt, kann man laufen, das dauert aber bis zu 15 Minuten. Als schwerhörige Person bin ich zudem auf Untertitel angewiesen, synchronisierte Filme gehen für mich also nicht. Somit gibt es für mich genug Gründe, das Cinedrome in Muri links liegen zu lassen.

Die Quinnie-Cinemas bringen fast sämtliche Filme untertitelt und im Bhf. Bern gibts auch einen Hans im Glück.

Yvonne Haslebacher
24. November 2022 um 21:59

Von den meisten Orten innerhalb Bern aus und bis nach Rubigen sind es praktische 15-25 Minuten mit dem Velo.

Georg Graf
24. November 2022 um 10:11

Sehr schönes Portrait. Macht so richtig Lust nicht dorthin zu gehen... ;)