Bernburger*innen – «Hauptstadt»-Brief #237

Samstag, 28. Oktober 2023 – die Themen: Burgergemeinde; Samstagsverkauf; Christoph Simons Humor; Historisches Museum; Stadtrat; Haltekanten; Dìa de muertos; Kopf der Woche: Claude Kuhn.

Illustration zum Hauptstadt-Brief
(Bild: Marc Brunner, Büro Destruct)

Gestern Nachmittag machte ich ein kleines Experiment. Ich fuhr mit dem Velo vom Guisanplatz quer durch die Stadt Richtung Köniz und merkte mir, wie oft ich auf ein Zeichen der Burgergemeinde stiess. Ich startete beim Springgarten (Boden der Burgergemeinde), der bald überbaut werden soll, und warf einen Blick hinüber zur Baustelle der neuen Festhalle (Boden der Burgergemeinde).

Als ich vom Viktoriaplatz hinunterfuhr Richtung Stadttheater (unterstützt von der Burgergemeinde), fiel mir ein, dass ich nächste Woche im Kulturcasino (gehört der Burgergemeinde) unbedingt die fulminante iranische Oppositionelle Gilda Sahebi (eingeladen von der Burgergemeinde) hören möchte. Ich rollte vorbei am Generationenhaus (Hauptsitz der Burgergemeinde) und via Kocherpark (gehört der Burgergemeinde) Richtung Ausserholligen. Im Coop neben dem Haus der Religionen (unterstützt von der Burgergemeinde) kaufte ich ein Rivella.

Dann weiter nach Bümpliz, nach einem Schlenker durch die 70er-Jahr-Überbauung Kleefeld (auf Boden der Burgergemeinde) rollte ich über die Autobahn in den Könizbergwald (den die Burgergemeinde besitzt und bewirtschaftet) und weiter ins Dorfzentrum Köniz am Bläuacker (Boden der Burgergemeinde).

Habe ich etwas übersehen?

Die Burgergemeinde ist ein wichtiger Teil des öffentlichen Lebens von Stadt und Agglomeration Bern. Aber oft nicht sichtbar. Das Wissen über sie ist häufig bruchstückhaft. Die einen sehen in ihr eine endlos sprudelnde Geldverteilungsmaschine. Andere eine verschwiegene, männerdominierte Gemeinschaft von Alt-Patriziern, die über geheimnisvolle Kanäle Einfluss nimmt. Beides ist nicht korrekt. Die Burgergemeinde ist heute diverser und transparenter als man denkt – was nicht heisst, dass sie kein Machtfaktor wäre.

Die «Hauptstadt» hat sich in den letzten Wochen intensiv mit der Burgergemeinde befasst. Wir wollen wissen, wie sie funktioniert. Auch die Burgergemeinde untersteht dem kantonalen Gemeindegesetz. Also behandeln wir sie journalistisch wie die politische Gemeinde: Unvoreingenommen, kritisch, ergebnisoffen. Mit dem Ziel, dass unsere Leser*innen die Stadt, in der sie leben, besser verstehen.

Wir publizieren ab heute die Ergebnisse unserer Recherchen. Den Anfang mache ich mit einem zweiteiligen Text, der allgemeinverständlich aufzeigen soll, wie die Burgergemeinde entstand. Und wie sie wurde, was sie heute ist. Ich arbeite seit über 30 Jahren als Journalist in Bern. Ich kann nur sagen: Ich kenne hier kein faszinierenderes, aber auch kein herausfordernderes Thema als die Bernburger*innen.

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Licht und Schatten. Made in Bern. (Bild: Jan Müller)

Das gebe ich dir ins Wochenende mit:

Samstagsverkauf: Ab dem 1. Dezember 2023 dürfen Geschäfte in der Berner Innenstadt am Samstag bis 18 Uhr offen bleiben – statt wie bisher bis 17 Uhr. Dafür muss der Abendverkauf am Donnerstag um eine Stunde gekürzt werden. Der Berner Regierungsrat hat dafür ein Pilotprojekt bis Ende 2025 bewilligt. Die städtischen Wirtschaftsverbände begrüssen die Neuerung. Der Gewerkschaftsbund des Kantons Bern aber kritisiert in einer Mitteilung: Die zusätzliche Arbeitsstunde am Samstag gehe für die Angestellten zulasten des Soziallebens.

Lebensfreude: «Ich freue mich einfach, wenn jemand anderer sich auch kurz freut», sagt der Berner Autor Christoph Simon im Interview meiner Kollegin Marina Bolzli. Mit diesem Geist bereichert Simon die «Hauptstadt» ab sofort jeden Freitag mit einem satirischen Kurzbeitrag.

Asylunterkunft: Die Stadt Bern müsse um jeden Preis vermeiden, dass Asylsuchende in unterirdischen Unterkünften untergebracht werden. Das bekräftigte die linke Mehrheit des Stadtparlaments, indem sie am Donnerstag eine entsprechende Motion überwies. Und das, obschon Gemeinderat Michael Aebersold (SP) beteuerte, dass die Regierung ohnehin dasselbe Ziel verfolge, berichtet meine Kollegin Jana Schmid aus dem Rat.

Sanierung: Das Historische Museum Bern soll totalsaniert werden. Die Kantonsregierung und die Burgergemeinde Bern sprachen diese Woche mit je 2,5 Millionen Franken die ersten Projektkredite. Die Stadt Bern wird hier nachziehen müssen. Die Gesamtkosten von 120 Millionen Franken hatte die Stadt im Frühjahr in Frage gestellt. Dennoch gehen die  Burgergemeinde und der Kanton laut Burgerratspräsident Bruno Wild weiter vom Kostendach von 120 Millionen aus, wie er am Montag im grossen Burgerrat sagte.

Haltekanten: In Bern verkehren bald die neuen, bequemen Tramlink-Trams. Diese sind länger und minim breiter als die bisherigen Kompositionen. Deshalb müssen die Haltekanten auf dem Bahnhofplatz unter dem Baldachin verlängert und in der Breite zurückgeschnitten werden. Die Arbeiten werden ab Montag während vier Wochen nachtsüber ausgeführt.

PS: Der Tod, er ist ein übler Geselle. Es gibt nichts Besseres, als ihm mit vulkanischer mexikanischer Lebensfreude zu antworten. Das macht das Historische Museum zusammen mit der mexikanischen Botschaft dieses Wochenende, indem sie den Dìa de muertos zwei Tage lang üppig feiert. Das Historische Museum? Genau, mitgetragen von der Burgergemeinde.

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(Bild: zvg)

Berner Kopf der Woche: Claude Kuhn

Der Plakatkünstler Claude Kuhn (75) gehört zu den stillen Siegern des vergangenen Wahlwochenendes. Man kann sich vorstellen, dass seine Augen hinter der runden Brille strahlten (und Dackel Pina ein fröhliches Bellen beisteuerte), als er erfuhr, dass Flavia Wasserfallen (SP) im Sturmlauf einen Ständeratssitz eroberte. Weil: Claude Kuhn hat für Wasserfallen ein Wahlplakat gestaltet, einen Wasserfall aus Buchstaben, den Wasserfallen im Sommer in der Stadt in Wassernähe aufstellen liess.

Das heitere Spiel mit Wörtern und Natur zieht sich wie ein roter Faden durch Kuhns gestalterisches Werk. Er schuf bleibende Bilder zu einer Zeit, als die visuelle Lawine, die auf handtellergrossen Bildschirmen unsere Augen überfährt, noch klein war.

Der künstlerische Freigeist Kuhn ist ein Produkt der Burgergemeinde: Von 1972 bis zu seiner Pensionierung 2013 arbeitete er als Ausstellungsmacher und Art-Director für das Naturhistorische Museum, das der Burgergemeinde gehört.

Kuhns geistreiche Plakate waren mindestens so gut wie die Ausstellungen. So verschmolz er etwa das Hinterteil eines Zebras mit einem Fingerabdruck. Einen Blumenstrauss visualisierte er mit einem Straussenkopf, der aus einer Vase blickt. Kuhn kreierte auch Plakate für den Tierpark, für Box- und Fechtwettkämpfe, für die Münstergass-Buchhandlung – sowie für den 2018 verstorbenen Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät (SP), mit dem Kuhn eine langjährige Freundschaft verband.

Seit gestern gibt es in Bern zu seinem 75. Geburtstag die volle Dosis Claude Kuhn: Auf mehreren Berner Plätzen sind bis 24. November 90 seiner Plakate zu sehen, dazu eine Ausstellung im Kornhausforum. Zudem veröffentlicht der Berner Verleger Till Schaap ein Buch mit allen 240 Plakaten von Claude Kuhn.

Kuhns warme Visuals zeigen bis heute, dass die Stadt Bern cool sein kann. Wenn sie will.

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