Mit dem Rücken zur Wand

Der Probenleiter der Tanzcompagnie von Bühnen Bern hat Tänzerinnen belästigt. Trotzdem ist er bis heute am Haus tätig. Die Stadt Bern kritisiert, dass sie als grösste Subventionsgeberin über die interne Untersuchung von Bühnen Bern nicht informiert worden sei.

2209291524_bos
Stellen sich der Kritik: Ballett-Chefin Isabelle Bischof, Intendant Florian Scholz, Rechtsanwältin Monika Hirzel. (Bild: Simon Boschi)

Bühnen Bern sieht sich mit Vorwürfen sexueller Übergriffe konfrontiert. Es geht um Belästigungsvorwürfe im Ensemble des Bern Balletts. Sie sind am Donnerstag in der Schweiz-Ausgabe der «Zeit» publik gemacht worden. Kurzgefasst: Eine Tänzerin wandte sich im April 2021 an die Tanzleitung von Bühnen Bern, weil sie sich sexuell belästigt fühlte vom Probenleiter.

Alle 17 damaligen Mitglieder der Compagnie drückten in einem Brief ihre Solidarität mit der Tänzerin aus. «Der Probenleiter wurde augenblicklich freigestellt und wir beauftragten eine externe Fachstelle mit der Untersuchung der Vorwürfe», sagt Intendant Florian Scholz an der Medienkonferenz am Donnerstag.

Die Pressekonferenz ist kurzfristig am Morgen für den Nachmittag angekündigt worden. Online nehmen über 20 Medienvertreter*innen teil, dazu kommen ein Dutzend Anwesende im Foyer des Stadttheaters. Vorne sitzen Florian Scholz, Intendant von Bühnen Bern, sichtbar nervös, neben ihm Isabelle Bischof, Leiterin von Bern Ballett, die höchstens einsilbige Sätze von sich geben wird, und Monika Hirzel, Rechtsanwältin bei «BeTrieb», versiert darin, nur zu sagen, was sie auch sagen darf.

«In aller Demut entschuldigt»

Zwei Monate untersuchte «BeTrieb» die Vorfälle. «15 Personen wurden befragt, wir beurteilen den Fall rechtlich», erklärt Rechtsanwältin Monika Hirzel. Das Resultat des Berichts: Ja, es handle sich bei Äusserungen zwei Personen gegenüber um verbale Belästigung. Den Verdacht von körperlichen Belästigungen hingegen konnte der Bericht nicht erhärten, die Aussagen der Tänzer*innen seien zu vage geblieben. 

«Wir empfahlen, mindestens eine Verwarnung mit der Androhung einer Kündigung im Wiederholungsfall auszusprechen», sagt Monika Hirzel an der Medienkonferenz. «Das Verhalten war nicht so schwerwiegend, der Betroffene hat das Potenzial, sich zu verbessern», fügt sie an.

Bühnen Bern setzten die Empfehlung von «BeTrieb» wortgetreu um. Im August 2021 kam der verwarnte Probenleiter zurück. Erst für ein halbes Jahr auf Probe, danach wurde er wieder fest angestellt. «Er absolvierte die Zeit der Bewährung tadellos», sagt Scholz.

2209291502_bos
Internationales Interesse: Medienkonferenz im Foyer des Stadttheaters mit Live-Übertragung. (Bild: Simon Boschi)

Die beiden Tänzerinnen, deren Vorwürfe sich laut Scholz in der Untersuchung bestätigten, waren zum Zeitpunkt der Rückkehr des Probenleiters nicht mehr von Bühnen Bern angestellt. Als Elevinnen waren sie von Anfang an nur für eine Saison verpflichtet worden. «Ich habe mich in aller Demut bei den Betroffenen entschuldigt», sagt Florian Scholz.

Transparenz gegen aussen

Bühnen Bern hat sich im Sommer 2020 einen Verhaltenskodex gegeben, der Nulltoleranz bezüglich Diskriminierung und Belästigung einfordert. Dort steht unter anderem: 

Insbesondere tolerieren die Bühnen Bern am Arbeitsplatz weder verbale, elektronische, körperliche, sexuelle oder psychologische Diskriminierung oder Belästigung aufgrund von Herkunft, Nationalität, Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung, Religion, Familienstand, politischer Überzeugung, sexueller Orientierung oder irgendeines anderen wahrnehmbaren Unterschieds. 

Laut der Darstellung von Scholz war dieser Kodex für die Führung von Bühnen Bern handlungsleitend. In der Konsequenz blieben aber Bühnen Bern auf der arbeitsrechtlich sicheren Seite und sprachen gegenüber dem Beschuldigten die als Mindestmassnahme empfohlene Verwarnung aus.  

Fragen wirft der Umgang von Bühnen Bern mit Transparenz auf, zu der sie sich in ihrem Kodex ebenfalls bekennen. Die nun diskutierten Vorfälle spielten sich im Frühjahr und Sommer 2021 ab, als ähnliche Übergriffe an anderen Häusern in den Medien thematisiert wurden. Warum stellte Bühnen Bern nicht von sich aus Transparenz her und machte bekannt, dass eine interne Untersuchung läuft? «Ich wollte unser Haus schützen», sagt Scholz mit Verweis auf das persönlichkeitsrechtlich heikle Thema.

Stadt hätte informiert werden sollen

Allerdings sind Bühnen Bern gemäss Leistungsvertrag verpflichtet, «die Stadt Bern umgehend über besondere Vorkommnisse, die für die Erfüllung des Vertrags von Bedeutung sein können, zu orientieren». Das schreibt Franziska Burkhardt, Kulturbeauftragte Stadt Bern, auf Anfrage. Laut ihr wurde die Stadt nicht über die Untersuchung informiert. «Gemäss Vertrag hätte sie darüber informiert werden sollen», so Burkhardt. 

Die Stadt Bern ist mit 18 Millionen Franken pro Jahr die grösste Subventionsgeberin. Geld erhalten Bühnen Bern für ihr Jahresbudget von rund 38 Millionen Franken auch von Kanton (15 Millionen) und der Regionalkonferenz (5 Millionen). Auch der Kanton hatte laut Iris Frey, der stellvertretenden Kommunikationsleiterin der Bildungs- und Kulturdirektion, keine Kenntnis des Falls.

Kritik von Berufsverband

Wenn offensiv kommuniziert würde, dass Kritik von Tänzerinnen ernst genommen und untersucht wird, könnte gegenüber den Angestellten auch Vertrauen in die Strukturen geschaffen werden. Stattdessen blieb Scholz äusserst vage, als er im Frühjahr 2021, als die interne Untersuchung lief, von einem Journalisten der NZZ für einen Hintergrundartikel zum Thema Machtmissbrauch und Übergriffigkeit im Theaterbetrieb befragt wurde.

Er äusserte sich im Artikel vom 8. Juni 2021 über «die Konfliktlage durch die besondere künstlerische Arbeitsweise», in der laut ihm die «Intimität des Ensembles alle Aspekte der menschlichen Existenz» darstelle. «Und da ist in der Vergangenheit auch viel Missbrauch geschehen», sagte er in diesem Artikel. Weiter sprach er sich für steile statt flache Hierarchien aus: «Wenn jeder seinen klaren Freiraum hat und genau weiss, wo sein Bereich ist.»

2209291501_bos
Wollte «sein Haus schützen»: Intendant Florian Scholz. (Bild: Simon Boschi)

Am Donnerstag sagt Scholz weiter, dass der Berufsverband Szene Schweiz über die interne Untersuchung informiert gewesen sei. Dessen Geschäftsführerin Salva Leutenegger äussert nun in einem Interview mit Bund/Berner Zeitung (Abo) Unverständnis darüber, dass der suspendierte Probenleiter wieder an seine frühere Stelle zurückkehren durfte.  

Transparenz gegen Innen

Die Tänzer*innen des Ensembles wurden über den fertiggestellten internen Untersuchungsbericht nur ins Bild gesetzt, wenn sie zuvor eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschrieben hatten. Eine Tänzerin unterzeichnete diese laut Scholz nicht – und erhielt auch nicht offiziell Kenntnis von den Inhalten des Berichts.

Ohnehin wurden die Tänzer*innen, wie das in solchen Fällen laut Anwältin Hirzel üblich ist, nur über diejenigen Passagen persönlich informiert, in denen sie selber Aussagen machten. «Der Bericht ist voller persönlicher Details, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind», sagt Scholz. Den Ensemblemitgliedern stehe es aber frei, sich später mündlich untereinander darüber auszutauschen, was sie erfahren hätten.

Im Sommer stiessen jedoch, wie das üblich ist im Tanzbetrieb, neue Tänzer*innen zum Ensemble, während andere Verträge ausliefen. Die Neuen wurden nicht über die Belästigungsvorwürfe und die Untersuchung informiert. Allerdings, führt Tanzdirektorin Isabelle Bischof aus, habe es eine Aufklärung über sensible Themen und den Verhaltenskodex gegeben. Zudem wurden die Stellen genannt, wohin sich potenziell Belästigte wenden können: An den Intendanten, die Direktorin, die Personalverantwortliche – oder eine externe Stelle bei der Stadt.

Wie steht es mit dem Vertrauen?

Die Frage ist allerdings, ob genügend Vertrauen besteht, diese internen Problemdeponien zu nutzen. Laut dem Artikel der  «Zeit» gibt es neue Kritik am Verhalten des Probenleiters, die sich auf die Zeit nach seiner Rückkehr bezieht. 

Er sei «bestürzt» gewesen, das jetzt zu lesen, so Florian Scholz. Bis am Mittwochabend habe er davon nichts gewusst, sagt er an der Medienkonferenz. Worauf «Zeit»-Journalistin Barbara Achermann in den Chat des Live-Streams schreibt: «Es stimmt nicht, dass Herr Scholz erst seit gestern Abend von den Vorwürfen weiss. Wir haben ihn bereits am letzten Donnerstag mit allen detaillierten Vorwürfen, auch aktuellen, konfrontiert.»

2209291512_bos
Beteuern die gute Stimmung in der Compagnie: Ballett-Direktorin Bischof und Intendant Scholz. (Bild: Simon Boschi)

Laut Scholz könne man zu diesen neuen Vorwürfen noch nichts sagen. «Wir werden jetzt einen sehr intensiven Austausch über das Vorgeworfene angehen.» Und wenn sich die Kritik erneut bestätige, werde das Konsequenzen haben.

Stimmung «friedlich und gut»

Im Moment sei die Stimmung in der Compagnie aber «friedlich und gut», so Scholz, der das Ensemble zusammen mit Isabelle Bischof am Morgen nach Erscheinen des «Zeit»-Artikels zur Aussprache getroffen hat. Die Compagnie habe dabei ihr Vertrauen dem Probenleiter gegenüber ausgesprochen. «Eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses wird von der Gesamtcompagnie gewünscht», bestätigen Bischof und Scholz. Von den 17 Tänzer*innen, die im April 2021 das Solidaritätsschreiben unterzeichnet haben, sind aktuell noch 8 Mitglied im Ensemble.

Trotz den Vorkommnissen hat Bern Ballett bisher keine Schwierigkeiten, neue Tänzer*innen zu rekrutieren. Isabelle Bischof rechnet aber damit, dass sich das nach den öffentlichen Medienberichten ändern werde. Sie befürchtet einen Reputationsschaden.

tracking pixel