Der Shop für Arme

Der Caritas-Markt im Mattenhof verkauft verbilligte Nahrungsmittel für Armutsbetroffene. Trotzdem ist er nicht immer günstiger als Discounter wie Denner, Lidl oder Aldi. Wie kommt das Angebot zustande?

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Immer billig, aber oft nicht so billig wie Aktionen bei den Discountern: Einkauf im Caritas-Markt (Bild: Jana Leu)

Neben dem Schreibtisch im kleinen Büro von Daniel Lauper steht ein Schoggi-Osterei; ein edles, mit eingelegten Pralinen und farbigem Mäscheli. «Ostern und Weihnachten finden bei uns zeitverschoben statt», sagt Lauper und grinst. Es ist 10 Uhr am Vormittag, eben hat der Leiter des Caritas-Markts Bern den Laden aufgemacht, vor dem sich zuvor schon eine Warteschlange gebildet hatte. «In der ersten halben Stunde am Morgen ist in der Regel am meisten los», sagt Lauper, «danach wird es etwas ruhiger.»

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Gut gefülltes Früchte- und Gemüseregal: Betriebsleiter Daniel Lauper. (Bild: Jana Leu)

Per Telefon mit der Zentrale in Sempach klärt Lauper kurz den Preis des Schoggi-Produkts ab, die Preisetikette fehlte. Die Auskunft: Das qualitativ einwandfreie Osterei kostet 2.80 statt der weit über 10 Franken, die es vor Ostern regulär im Grossverteiler gekostet hätte. Spektakulär. Es ist ein nicht verkauftes Goodie, das nie ins Budget armutsbetroffener Menschen gepasst hätte und routinemässig entsorgt worden wäre.

Neu mit tiefgefrorenem Fleisch

«Wir können einen Beitrag leisten, indem wir Lebensmittel, die weggeworfen würden, Menschen mit kleinem Budget zugänglich machen. Aber bei der Reduktion von Food Waste sind wir im Moment noch nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Daniel Lauper und meint damit, was er als Leiter des Caritas-Markts Bern versucht, vor Ort einen Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung zu leisten. Schweizweit entziehen die Caritas-Märkte gemäss Eigenangaben immerhin 2300 Tonnen Lebensmittel dem Food Waste. 

Relativ neu und das Resultat umfangreicher Abklärungen mit dem Lebensmittelinspektorat ist, dass der Caritas-Markt Fleisch im Angebot hat, das vor dem Ablaufdatum eingefroren wurde und nun mit entsprechendem Hinweis verbilligt verkauft wird. Es brauche dafür persönliches Engagement und Überzeugungsarbeit, sagt Lauper, für Metzgereien sei es immer noch einfacher und wohl auch günstiger, nicht verkauftes Fleisch einfach in der Biogasanlage zu entsorgen.

Die Verhinderung von Food Waste ist für die Caritas-Märkte vorläufig nur ein Nebenaspekt, der aber ausgebaut werden soll. Hauptzweck des vom katholischen Hilfswerk Caritas getragenen Netzwerks mit derzeit 21 Supermärkten in der ganzen Schweiz ist es, armutsbetroffenen Menschen ein möglichst konstantes Angebot vergünstigter Lebensmittel und Alltagsartikel zur Verfügung zu stellen.

Von Auberginen bis Bobby-Cars

Wenn man durch den Berner Caritas-Markt geht, kann man sich tatsächlich vorstellen, sich einen anständigen Menuplan zusammenzustellen – sofern man mit frischer Ware kochen kann und will. Zum Beispiel: Joghurt und Müesli zum Frühstück, Parmigiana (Auberginen, Tomaten, Käse) am Mittag, Pasta zum Nachtessen, dazu Salat und allenfalls Brot. Ein Pfünderli vom Vortag kostet 40 Rappen. Das alles wäre an diesem Tag vorrätig.

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Fondue-Caquelons und Bobby-Cars: Auch das gibts im Caritas-Markt. (Bild: Jana Leu)

Die Auswahl an Gemüsen und Früchten etwa ist breit und mindestens teilweise saisonal. Olivenöl hat es in rauen Mengen, von verschiedenen Herstellern, Schokolade ebenfalls. Alkohol ist nicht im Angebot. Auffallend sind etwas schrill wirkende Güter im Non-Food-Sortiment: Ein Posten vergünstigter Bobby-Cars zum Beispiel oder beigenweise Fondue-Caquelons mit Schweizer Kreuz. Man kann sich nicht vorstellen, dass Letztere im Hochsommer gross Absatz finden.

Caritas arbeitet mit zahlreichen Partner*innen zusammen, zu ihnen gehören auch die Grossverteiler Migros und Coop sowie die Discounter Denner (der zu Migros gehört) und Aldi. Die Preisgestaltung funktioniert grob so: Grundnahrungsmittel wie Milch, Mehl, Teigwaren, Olivenöl oder Zucker verbilligt das Hilfswerk laut Thomas Künzler, Geschäftsführer der Caritas-Märkte, aus eigenen Mitteln um 10 bis 30 Prozent unter den eigenen Einstandspreis. Bei Früchten und Gemüsen finanziert die Stiftung der Hotel- und Gastromanagement-Gruppe SV Group Vergünstigungen, so dass Aktionspreise von 1 Franken pro Kilo Gemüse oder Früchte zustande kommen können.

Nachfrage steigt

2021 steigerten die Caritas-Märkte national den Jahresumsatz auf das Rekordhoch von 13,3 Millionen Franken. Wobei, wie die Geschäftsleitung betont, die Umsatzsteigerung noch grösser gewesen wäre, hätte Caritas die Preise stark nachgefragter Grundnahrungsmittel nicht noch zusätzlich verbilligt.

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Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl, Milch und Eier werden zusätzlich verbilligt. (Bild: Jana Leu)

Ohne exakte Zahlen zu nennen, bestätigt Daniel Lauper den Nachfragezuwachs auch für den Markt in Bern. Er sieht dafür drei Gründe: In der Corona-Krise habe die Zahl von sogenannten Working Poor – Menschen, die arbeiten, aber zu wenig verdienen, um sich ihr Leben zu finanzieren – spürbar zugenommen. Für Geflüchtete aus der Ukraine, die sich mit den Beiträgen der Asylsozialhilfe durchschlagen, sei der Caritas-Markt eine wichtige Adresse. Und: Mit der anziehenden Teuerung steige das Risiko von Menschen mit engem Budget, unter die Armutsgrenze zu fallen. Dazu berechtigt, im Caritas-Markt einzukaufen, sind nur Menschen mit einer Kund*innenkarte. Sie wird ausgestellt, wenn man etwa nachweisen kann, Bezüger*in von Sozialhilfe, AHV/IV-Ergänzungsleistungen, Stipendien oder Verbilligungen der Krankenkassenprämien zu sein. Oder Geflüchtete.

Das Hindernis bestehe für viele nicht darin, zur Caritas-Kund*innenkarte zu kommen, sagt Daniel Lauper. Sondern die Scham zu überwinden und sich einzugestehen, finanziell so am Anschlag zu sein, dass Einkäufe im Caritas-Markt etwas Linderung bringen. Lauper kennt auch die Kritik, dass Caritas gar nicht immer billiger sei als Migros, Coop oder Aldi. «Das ist korrekt», bestätigt er, «unser Konzept ist halt anders.» Die Konkurrenz mache punktuell und für eine bestimmte Frist Aktionen, die sie mitunter aus dem gut alimentierten Marketingbudget finanziere. Dabei seien die Waren oft nur vorübergehend oder bloss dann billiger, wenn man sie in grösseren Mengen kaufe – was das Wochenbudget von Menschen mit wenig Geld überstrapazieren würde.

Grösseres Lokal gesucht

Caritas hingegen wolle den Kund*innen die Sicherheit bieten, die Grundnahrungsmittel zuverlässig und immer verbilligt im Sortiment zu haben – ein Liter Milch für 1,05 Franken, ein Kilo Brot von gestern für 40 Rappen. Die Preise gelten auch, wenn man nur kleine Mengen einkauft – gut 15 Franken gibt durchschnittlich pro Einkauf aus, wer sich im Caritas-Markt eindeckt. «Wir verfolgen auch ethische und gesundheitliche Ziele», sagt Daniel Lauper. Caritas möchte verhindern, dass armutsbetroffenen Menschen mit Billigstprodukten aus ökologisch oder sozial fragwürdiger Produktion abgespiesen würden. Und «wir wollen es ermöglichen, dass sich unsere Kund*innen auch mit knappen Budgets gesund und ausgewogen ernähren können», wobei da ab und zu auch ein Schoggi-Ei von vergangener Ostern drinliegen kann. Oder eine Flasche Rivella, wenn der Hersteller dem Caritas-Markt eine Lieferung mit geringfügigem Verpackungsfehler oder knapper Mindesthaltbarkeitsdauer abgebe.

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Ist für die gestiegene Nachfrage zu klein: Caritas-Markt an der Brunnmattstrasse. (Bild: Jana Leu)

Zu den Aufgaben von Betriebsleiter Lauper gehört es, sanft zu überwachen, dass es nicht zu Hamsterkäufen kommt. Er kenne die meisten seiner Kund*innen und wisse, ob sie alleinstehend sind oder mehrere Kinder zu Hause haben. So würde er sofort erkennen, wenn jemand stark über den eigenen kurzfristigen Bedarf einkaufe.

Lauper beobachtet auch, dass eine gewisse Kreativität beim Kochen knappe Budgets entlasten könne. Eine überreife Banane sei nicht ungeniessbar, sondern müsse bloss anders verarbeitet werden – als Pürree zum Beispiel. Manchmal hat der Caritas-Markt zum Beispiel günstige Fondue-Mischungen im Angebot, und natürlich haben die oft zugewanderten Kund*innen in der Regel kein Fondue-Equipment zu Hause. Man müsse halt auf die Idee kommen, dass man mit der Fonduemischung auch Käseschnitten machen könne.

Derzeit scannt Daniel Lauper recht intensiv den Berner Liegenschaftsmarkt. Der Laden im Mattenhof ist eigentlich zu klein. Er möchte in ein grösseres Lokal wechseln, strategisch besser gelegen, am liebsten in Bern West. Dass die Nachfrage nach den Produkten des Caritas-Markts nachlässt, damit rechnet Daniel Lauper nicht. 

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