Die Kehrseite von Bern
Seit Jahren arbeitet die Stadt am Ersatz für den provisorischen Busterminal im Neufeld. Nun gibt es erneut Verzögerungen. Ein Besuch an einem Unort mit etwas verstecktem Charme.
«Unort», «Schande», «der schlimmste Busbahnhof, den ich je gesehen habe» oder sogar: «Sieht aus wie ein postapokalyptisches Lager». Wer da war, lässt auf Google selten ein gutes Haar am Carterminal im Neufeld. Wie sieht es aus an diesem Ort zwischen Bremgartenwald und Autobahnzubringer, der vielen unbekannt ist, obschon er Berns Portal zu Europa ist?
Im Licht der ersten Sonnenstrahlen, die an diesem Herbstmorgen durch die Baumwipfel des angrenzenden Waldes auf das Gelände fallen, auf die wilden Sträucher und Nachtkerzen, die zwischen dem Asphalt wuchern, fragt man sich, ob dieser Ort tatsächlich so schlimm sei. Spätestens beim zweiten Blick fallen die zahlreichen Löcher in der geteerten Einfahrt auf, die Container mit verblichenen Aufschriften, die da etwas herumstehen und alle geschlossen sind, die Toitoi-Kabinen und das ebenfalls geschlossene Festzelt mit der Aufschrift «Terminal-Beizli». Und man muss zugeben, dass der Platz höchstens einen sehr zweifelhaften Charme besitzt, der sich vielleicht nur aus der Nähe zur Autobahn, die man hört und sieht, und dem daraus erwachenden Fernweh speist.
«It looks like the backside of Bern», meint Jo. Sie ist soeben von ihren Schweizer Bekannten mit dem Auto abgesetzt worden und legt ihre Rucksäcke und Taschen in einen Einkaufswagen, der herumsteht. Backside, also die Rück- oder Kehrseite, oder auch das Hinterteil von Bern. Ansonsten habe ihr die Stadt unglaublich gut gefallen, versichert die britische Touristin, die gerade verschiedene Destinationen in Europa besucht und auf den Flixbus Richtung Grenoble wartet, der um 8.25 Uhr abfahren soll.
«Keine Visitenkarte»
Im Durchschnitt frequentieren 35 bis 45 Busse pro Tag den Carterminal Neufeld. Einige halten nur kurz, um Passagier*innen ein- und aussteigen zu lassen, andere bleiben mehrere Stunden oder auch mal über Nacht stehen. Die meisten Busse fahren bestimmte Linien ab und gehören zu Unternehmen wie Flixbus, der Bern für wenig Geld und ohne Umsteigen mit Städten wie Lyon, Barcelona oder Bukarest verbindet. Oder wie Durmo Tours, das jede Woche nach Mazedonien fährt. Der Terminal ist aber auch Ein- und Aussteigeort für Gäste lokaler Carunternehmen, die etwa den Europapark ansteuern, für Badeferien nach Spanien fahren oder für Vereine Rundreisen anbieten.
Patrik Dysli steht auf dem geteerten Platz in der Morgensonne. Er ist einer der Carunternehmer und lädt hier ab und zu Gäste auf. Der 49-Jährige arbeitet seit 30 Jahren im familieneigenen Reise- und Transportunternehmen K. Dysli AG. Und obwohl er die provisorische Haltestelle im Neufeld mitträgt, ist er alles andere als begeistert von den Zuständen. «Das ist keine Visitenkarte für die Stadt Bern», stellt er gleich zu Beginn klar, bevor er über den Platz zum einzigen Unterstand führt, der vor Wind und Wetter schützen soll – wenn man sich denn hergetraut.
Wenigstens asphaltiert
«Wenn ich Ihnen erzähle, wie es hier manchmal aussieht und wie es zu- und hergeht, dann wird Ihnen schlecht», sagt Dysli und zeigt in den düsteren, halboffenen Raum im hinteren Teil des Festzelts, wo ein paar Bänke stehen. Fäkalien, Abfall, zu stark ins Detail gehen mag Dysli nicht. Aber nachts hier alleine auf einen Bus zu warten, das stellt man sich eher ungemütlich vor. Die bestehende Infrastruktur ist dürftig. Und dass der Platz, auf dem die Busse anhalten, mittlerweile asphaltiert ist, geht auf die Initiative der Carunternehmer zurück. Von der Stadt fühle man sich alleine gelassen, meint Dysli: «Seit fast zwanzig Jahren warten wir darauf, dass hier endlich etwas passiert.»
Doch erst einmal der Reihe nach.
2006 übernehmen einige lokale Reisecar-Unternehmen den Platz, auf dem sich der heutige Terminal befindet. Sie wollen auf dem Boden, der ihnen das Bundesamt für Strassen (Astra) zur Verfügung stellt, einen provisorischen Terminal für Reisecars einrichten. Bis dahin fuhren sie die Reisegruppen meistens in die Stadt und parkierten dann auf der Schützenmatte oder am Aargauerstalden – was heute niemand mehr für eine gute Lösung hält.
Der Standort im Neufeld hingegen liegt perfekt: Unweit der Autobahn, gleich neben dem Parkhaus P+R Neufeld und nur eine siebenminütige Bernmobil-Busfahrt vom Hauptbahnhof entfernt. 2009 gründen der Schweizerische Nutzfahrzeugverband (ASTAG), die ASTAG Sektion Bern und der Carverband Bern-Solothurn, in dem auch Dysli dabei ist, die Gesellschaft Car-Terminal Bern-Neufeld. Die Gesellschaft betreibt seither den provisorischen Busbahnhof und setzt sich dafür ein, dass die Stadt in einen modernen Terminal investiert. Diese will aber lange nichts davon wissen. Erst 2014 gab die Stadt auf Anfrage der Zeitung Bund bekannt, man arbeite an der Planung eines neuen Carterminals.
Im Schneckentempo
Seit diesem ersten Hoffnungsschimmer sind knapp 10 Jahre vergangen und obwohl der Terminal immer noch fast gleich aussieht wie damals, hat sich auf der politischen Ebene einiges in Bewegung gesetzt. Nur halt eben langsam.
2015 gibt die Autoeinstellhalle Waisenhausplatz AG (AWAG) eine Studie in Auftrag, die Grundlagen für den Bau eines neuen Terminals erarbeiten soll. Die AWAG gehört mehrheitlich der Stadt und betreibt verschiedene Parkhäuser, darunter auch das neben dem Carterminal gelegene P+R Neufeld. Sie erklärt sich bereit, den zukünftigen Terminal zu betreiben. Auf die erste Studie folgen weitere Abklärungen sowie Absichtserklärungen der Stadt. Nicht nur den Car- und Busunternehmen, auch einigen Stadtpolitiker*innen geht es zu langsam vorwärts, mehrere von ihnen reichen Vorstösse ein. Erst 2019 führt der Gemeinderat schliesslich eine Grundsatzdiskussion, in der er Nägel mit Köpfen macht, die weiteren Planungsschritte definiert und sich für die AWAG als künftige Betreiberin entscheidet.
Seit 2017 begleitet Jeanette Beck das Geschäft innerhalb des Stadtplanungsamtes. Die heutige Stadtplanerin kennt den Terminal daher gut, obwohl sie noch nie vom Neufeld aus mit dem Bus verreist ist. Und sie schätzt den Ist-Zustand ähnlich ein wie Dysli und Reisende: «Was einem da geboten wird, ist ärmlich und einer Hauptstadt nicht würdig.» Für Beck überträgt sich das Defizit der Infrastruktur in ein Defizit der Willkommenskultur. Diese sollten alle Menschen spüren, egal woher und wie sie in der Stadt Bern ankämen, findet die Stadtplanerin: «Der Bus gehört auch zum öffentlichen Verkehr.» Er sei ein wichtiges Angebot für Menschen, die sich die Schiene nicht leisten könnten und nicht ins Flugzeug steigen wollten.
Was die Dimensionen des neuen Terminals angeht, klingt es bei Stadt und Carunternehmen unisono: «Nichts Luxuriöses.» Man brauche ein Dach, ein WC, einen sauber asphaltierten Platz und vielleicht eine Taxihaltestelle, meint Dysli. Das aktuelle Projekt entspricht diesen Vorstellungen, wird aber unter anderem wegen Boden- und Terrassierungsarbeiten trotzdem auf 6,6 Millionen Franken veranschlagt.
Abstimmung Herbst 2024. Vielleicht.
Doch bis das Projekt im Neufeld realisiert ist, wird es noch eine Weile dauern. Das aktuelle Terminal-Provisorium befindet sich ausserhalb der Bauzone. Das bedeutet: «Für den Bau des neuen Terminals braucht es eine Zonenplanänderung», erklärt Stadtplanerin Beck. Deshalb kam das Stadtplanungsamt überhaupt erst als Akteurin ins Spiel und aus diesem Grund wurde ein ordentliches Planungsverfahren initiiert. Der Abstimmungstermin zum Bauvorhaben wurde seither jedoch immer wieder verschoben, aktuell geht man davon aus, dass die Abstimmung im Herbst 2024 stattfindet.
Davon hört Patrik Dysli allerdings zum ersten Mal. Zuletzt ging er davon aus, dass die Bevölkerung im nächsten Frühling über die Zonenänderung abstimmen würde und ist, gelinde gesagt, nicht erfreut: «Wir werden ständig vertröstet und man weiss nie, woran man ist», so der Car-Unternehmer. Die Unsicherheit mache ihnen zu schaffen: «Wir müssten dringend die Einfahrt neu machen lassen», erklärt Dysli. «Ich habe eine Offerte machen lassen, das kostet 70‘000 Franken.» Eine zu grosse Investition, wenn man nicht wisse, wie lange es dauere, bis die Bagger auffahren.
Wieso wird der Abstimmungstermin und damit auch der Baustart immer wieder verschoben? Es gebe in der Regel enge Abhängigkeiten zwischen Planungsprozess und Projektentwicklung, meint Jeanette Beck dazu. «Verzögert sich ein Projektschritt, hat dies Auswirkungen auf das Planungsgeschäft und umgekehrt.» Im Fall des Terminals Neufeld verzögerten sich anscheinend verschiedene Schritte. So habe etwa die kantonale Vorprüfung durch das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) wegen Personalmangels und Überlastung ein Jahr gedauert, anstatt den drei Monaten, die das Amt in Aussicht stellt.
Geduld, Geduld, Geduld
Ob die Abstimmung nun tatsächlich in einem Jahr stattfinden kann, wird sich zeigen. Zuvor muss das Geschäft noch in den Stadtrat, der seinerseits einen Pendenzenberg vor sich herschiebt. Im Moment sei man noch mit der AWAG daran, letzte Details zu klären, sagt Jeanette Beck. In jedem Fall wird wohl frühestens Ende 2025 mit dem Bau begonnen.
Patrik Dysli wird sich also weiter gedulden müssen. Um 10 Uhr verabschiedet er sich und lenkt seinen grauen Pkw vom Terminalgelände. Jo ist mittlerweile wohl irgendwo auf der Autobahn Richtung Genf unterwegs und da, wo sie vorher stand, sitzt jetzt ein junger Mann auf der Bank und wartet auf den Bus, der ihn nach Belgrad bringen soll.
Er heisst Luca und war gerade eine Woche lang bei einem Freund zu Besuch. Vom Carterminal hält er nicht viel. «Es sieht fast aus wie in Serbien hier», sagt er grinsend. Doch auch der Hauptbahnhof habe ihm nicht gefallen: «Zu viele Betrunkene und Polizei.» Die Schweiz und das Reisen an sich hingegen haben es ihm angetan. Türkei, Griechenland und Peru seien Destinationen, die er in Zukunft besuchen möchte.
Wie er sich da in der Sonne fläzt, beschleicht einen wieder der Eindruck, dass es vielleicht doch nicht nur schlecht ist am Carterminal Neufeld, dem ewigen Provisorium. Zumindest bei gutem Wetter und Tageslicht.
2009: Die Gesellschaft Car-Terminal Neufeld übernimmt den Betrieb des provisorischen Terminals.
2014: Verschiedene Vertreter*innen der Stadt erklären gegenüber den Medien, die Stadt nehme die Planung eines neuen Terminals an die Hand.
2015: Die Parkhausbetreiberin AWAG, die mehrheitlich der Stadt gehört, gibt eine Studie und anschliessend ein Vorprojekt für den Bau eines neuen Terminals im Neufeld in Auftrag.
2016: Sechs Verbände fordern in einem Offenen Brief einen angemessenen Car-Terminal in Bern. Stapi Alexander Tschäppät (SP) zeigt Verständnis.
2016: Die Motion des SVP-Stadtrats Hans Ulrich Gränicher fordert eine Sanierung des Terminals.
2017: Ein Vorprojekt der AWAG liegt vor. Dieses sieht einen geteerten Platz und 14 Haltebuchten vor. Stapi Alec von Graffenried (GFL) erklärt, er sehe Handlungsbedarf.
2018: Die Stadt Bern führt eine Evaluation möglicher Standorte für einen Fernbus-Terminal durch.
2019: Der Gemeinderat leitet planungsrechtliche Schritte ein und sichert der AWAG als künftiger Bauherrin und Betreiberin einen Investitionsbeitrag zu.
2020/2021: Da sich das Terminal-Provisorium ausserhalb der Bauzone befindet, wird eine Zonenplanänderung eingeleitet, für die eine Volksabstimmung nötig ist.
2021: Öffentliche Mitwirkung.
2022: Kantonale Vorprüfung, danach öffentliche Auflage.
2023: Vorbereitung parlamentarische Beratung inklusive Abstimmungsbotschaft und Abklärungen zwischen Stadt Bern und AWAG.
2024: Voraussichtlich Behandlung im Stadtrat (Frühling), Volksabstimmung (Herbst).
2025: Voraussichtlich Genehmigung durch den Kanton, Einreichung Baugesuch.
2025/Frühjahr 2026: Frühstmöglicher Baubeginn.